: „Schürfen in der Rohstoffmine Stadt“
Urban Mining ist keinesfalls eine neue Idee, um mit wenigen neuen Rohstoffen zu bauen: Ausreichend Wertstoffe gibt es in jeder Stadt, die wiederverwendet werden können, sagt die Bremer Architektin Ute Dechantsreiter. Zwar ist das bislang noch nicht wirtschaftlich, aber auch wegen der steigenden Materialpreise müsse das Konzept zwingend vorangetrieben werden
Interview Lenard Brar Manthey Rojas
taz: Frau Dechantsreiter, ist Bremen ein großes Baustofflager?
Ute Dechantsreiter: Sicherlich. Wir haben hier historische und moderne Jahrgänge in der Gebäudesubstanz. Und wir haben in Bremen verschiedene Baustoffe und Qualitäten beim verwendet. Insofern haben wir natürlich schon in den Gebäuden und in der Infrastruktur ein großes Baustoff-Reservoir angelegt. Diese Werte gilt es zu erkennen.
Auch in Bremen wäre somit „Urban Mining“ möglich?
Es geht dabei ja zunächst darum, vorhandene Wertstoffe in Gebäuden und Infrastruktur zu erkennen. Wenn wir Gebäude verändern oder Infrastruktur rückbauen, fragen wir: Welche Wertstoffe sind dort vorhanden und wie wollen wir diese zurückgewinnen? Das ist dieses Schürfen in der Rohstoffmine Stadt. Dabei ist das oberste Ziel die sortenreine Rückgewinnung, damit wir die Materialien als Sekundärrohstoffe wieder hochwertig in den Kreislauf der Bauwirtschaft zurückbringen. Bezogen auf die Erstellung und den Rückbau von Gebäuden sollten wir möglichst keinen Abfall mehr produzieren.
Was kann man damit machen?
Bei einem Abbruch könnte man zum Beispiel den Beton gewinnen und, statt diesen im Straßenunterbau zu verwenden, wieder ins Betonwerk zurückbringen. Wenn dafür in Norddeutschland die Infrastruktur stehen würde, könnten wir einen qualifizierten Recyclingbeton herstellen.
Können Sie dafür konkrete Umsetzungsbeispiele in Norddeutschland nennen?
Ein Beispiel ist ein Neubau der Stadtwerke Neustadt in Holstein, das 2019 fertiggestellt wurde. Mein Auftrag war es dort, das Materialkonzept zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass gebrauchte Materialien in diesen Neubau eingesetzt werden und gleichzeitig so gebaut wird, dass man später die Bauteile möglichst wieder voneinander trennen kann, damit sie wieder sortenrein zurückgewonnen werden können: So wurden Bürotrennwände aus einer Abbruchmaßnahme wiederverwendet sowie eine Fassadenbekleidung aus altem Eichenholz eingesetzt, die Teppichböden bestehen aus alten Fischernetzen und die Akustikpaneele aus Seegras. Hier in Bremen haben wir erprobt, wie man in die Sanierung von sechs Häusern möglichst viele gebrauchte Bauteile einbauen und dadurch Material sparen kann. Heute, nach 30 Jahren, kann ich sagen: Alle Bauteile, die wir damals eingebaut haben, sind noch vorhanden. Das Einzige, was ausgewechselt wurde, war eine Kloschüssel.
Woran liegt es, dass man diese Ressourcen in den Städten so lange ignoriert hat?
Weil es sich wirtschaftlich in den Augen der einzelnen Betriebe nicht besonders lohnt. Es ist allein schon ein sehr hoher Aufwand, alles zu sortieren.
Also braucht es Koordinierung?
Ja, der personelle Aufwand beim selektiven Rückbau ist groß. Es muss jemanden geben, der auch händisch und schadensfrei die Bauteile ausbaut. Man muss also erst mal genau hinsehen, dann überlegen, wie der Rückbau und in welchem Zeitraum erfolgen kann. Die entscheidenden Fragen: Lohnt es sich, diese Bauteile auszubauen, Baustoffe sortenrein zu trennen, zu katalogisieren und zwischenzulagern? Das ist oft ein wirtschaftliches Problem. Wir wollen in Bremen alle an einen Tisch holen, damit es in Zukunft reibungslosere Abläufe gibt. Recycling geht nicht alleine. Es braucht ein gemeinschaftliches Handeln. Dann wird es wirtschaftlich und wir schonen gleichzeitig die Umwelt.
Gibt es rechtliche Schwierigkeiten in dieser Hinsicht?
Ute Dechantsreiter
62, ist Architektin in Bremen und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit nachhaltigem Bauen.
Die Haftung und Gewährleistung beim Wiedereinsatz ist ein großes Thema gerade für Architekten. Wir brauchen einheitliche Regelungen wie durch die Ersatzbaustoffverordnung vorgesehen und mehr zertifizierte Recycling-Produkte und Informationen.
Gibt es auch Vorbehalte bei den Privatpersonen gegenüber gebrauchten Materialien?
Nein – wenn die Qualität stimmt. Junge Leute, die jetzt neu bauen, denken auch schon weiter. Aktuell ist es so, dass wir hier schon eine neue längst überfällige Bewegung haben. Zugleich erinnert mich das gefühlsmäßig an die Öko-Bewegung der 80er. Wir waren Außenseiter. Heute werden die damals bewahrten Gebäude, die wir ökologisch saniert haben, besonders geschätzt.
Wird Urban Mining in nächster Zeit ein großes Thema werden?
Es ist schon ein großes Thema mit dem Blick auf endliche Ressourcen und steigenden Baumaterialpreisen. Es ist in der Gesellschaft angekommen. Nun müssen wir unsere Energien bündeln.
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