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Rassistischer Angriff auf junge Berlinerin

Eine Jugendliche wird von sechs Erwachsenen angegriffen – angeblich, weil sie keine Maske trägt. Mit einem Insta-Video wehrt sie sich gegen diese Falschmeldung und spricht von Rassismus. Auch die Polizei korrigiert ihre erste Darstellung des Falls

Von Susanne Memarnia

Eine junge Frau wird von mehreren Erwachsenen in der Tram erst rassistisch beleidigt und anschließend verprügelt. Doch als Medien über den Fall berichten, findet sie sich plötzlich als Maskenverweigerin dargestellt. „Jugendliche (17) ohne Corona-Maske in Tram verprügelt“, schreibt die B.Z., „Erwachsene verprügeln 17-Jährige, weil sie keine Maske trägt“, titelt Focus. Alle, die den Fall aufgreifen, schlagen in dieselbe Kerbe – dass es um Rassismus ging, wird nur am Rande erwähnt.

Entsetzt über diese Darstellung geht die Frau am Dienstagnachmittag an die Öffentlichkeit, lädt auf Instagram ein Video hoch, in dem sie eindringlich erzählt, wie sie am Samstagabend in Prenzlauer Berg von drei Frauen und drei Männern zuerst rassistisch beleidigt und schließlich sogar zusammengeschlagen wird. Obwohl es zahlreiche Zeugen gab, habe ihr niemand geholfen, berichtet sie unter Tränen in der Aufnahme, die sie auf einem Krankenhausbett zeigt. Bis Mittwochmittag wurde das Video binnen 17 Stunden bereits 1,5 Millionen Mal geklickt.

Ursprung der Mediengeschichte ist eine Polizeimeldung von Sonntag, die so beginnt: „Bei einem Streit über eine fehlende Mund-Nase-Bedeckung wurde gestern Abend in Prenzlauer Berg eine 17-Jährige verletzt.“ Im Folgenden wird geschildert, was der jungen Frau, die nach dem Angriff die Polizei gerufen hat, passiert sei. Es entsteht der Eindruck, sie selbst habe angegeben, ihre fehlende Coronamaske sei Auslöser des Angriffs gewesen. Die Medien haben diese Darstellung offenbar ungeprüft übernommen, teils nicht einmal mit Angabe der Quelle, sondern als Tatsache.

Auf taz-Anfrage erklärte die Polizei am Mittwoch, die Informationen für die Meldung „stammten aus den vor Ort aufgenommenen Strafanzeigen, die, wie die weiteren Ermittlungen gezeigt haben, missverständlich formuliert waren“. Inzwischen habe man, auch durch Auswertung von Videomaterial, festgestellt können, „dass die Jugendliche beim Ein- und Aussteigen aus der Tram eine Mund-Nase-Bedeckung trug und diese lediglich bei dem auf die rassistischen Beleidigungen folgenden Streitgespräch mit den sechs Erwachsenen kurzfristig nach unten gezogen hatte. Die sechs tatverdächtigen Erwachsenen trugen überwiegend keine Mund-Nase-Bedeckungen.“

So erzählt es auch Sözeri in ihrem Video. Sie sei zusammengeschlagen worden, „weil ich Ausländerin bin“ – und zwar von alkoholisierten Männern und Frauen, die keine Maske trugen. Der Vorfall ereignete sich zunächst in der Tram M4 – dann, als alle ausstiegen, ging es laut Polizeibericht an der Haltestelle Greifswalder Straße weiter. Nur ein paar Sekunden des Angriffs konnte Sözeri mit ihrem Handy filmen, das zu Boden ging.

Der Angriff, der nach ihrer Schilderung mit rassistischen Pöbeleien begann, gipfelte darin, dass zwei Männer Sözeri an den Armen festhielten, ­während drei Frauen und ein dritter Mann ihr auf Kopf und Bauch schlugen und in die Beine traten. „Natürlich habe ich zu ­diesem Zeitpunkt auch um Hilfe geschrien“, fährt die junge Frau fort, „der Bahnhof war voll.“ Doch keiner habe eingegriffen.

Als die Gruppe von ihr abließ, nahm Sözeri ihr Handy auf und filmte erneut. Sie hat die beiden Szenen in ihr Instagram-Video aufgenommen – man kann eine in der Tat gut besuchte Haltestelle mit Menschen sehen, die unbeteiligt zuschauen.

Laut Polizeibericht erkannten die von Sözeri gerufenen Beamten dank des Handyvideos einen der Männer aus einem vorangegangenen Einsatz in einer Kneipe wieder. Dort „konnten die drei Männer, 42, 44 und 51 Jahre alt, festgestellt und ihnen der Tatvorwurf gemacht werden“. Sie wurden nach Alkoholtest und Personalfeststellung freigelassen, von den drei Frauen fehlt jede Spur. Die Polizei sucht nun Zeugen.

Sözeri sagt im Video, sie liege seit zwei Tagen im Krankenhaus mit Gehirnerschütterung, einem Bauchtrauma und „etlichen Prellungen und Verletzungen“ am ganzen Körper. „Ich bin körperlich und psychisch wirklich am Ende, weil ich nicht verstehen kann, wie 2022 immer noch solche Menschen auf diesem Planeten leben können.“

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