Küstenschützerin über Sturmflut: „Kein Deich war gefährdet“

Sturmtief Zeynep hat an Nord- und Ostsee für eine Sturmflut gesorgt. Auf die war man gut vorbereitet, erklärt Küstenschützerin Birgit Matelski.

Ein Fußgängerübergang wird während des Orkantiefs Zeynep von den Wellen der Nordsee umspült

Zeynep war gewaltig – aber die Küsten­schützer*innen bereiten sich auf viel größere Sturmfluten vor Foto: Daniel Reinhardt/dpa

taz: Frau Matelski, haben Sie dieses Wochenende durchgearbeitet?

Birgit Matelski: Ja, von Freitag auf Samstag schon. Selbst Montagnacht saßen zwei Kollegen ab drei Uhr im Büro. Sie haben die Wasserstände beobachtet.

Zeynep brachte die schwerste Sturmflut seit fast zehn Jahren. Wie haben Westküste und Tideelbe das überstanden?

Zu keiner Zeit war ein Deich gefährdet, obwohl die Flut an einigen Stellen die höchste in diesem Jahrhundert war. Das klingt dramatisch. Aber wir Küstenschützer sehen das nüchterner: Eine Sturmflut gehört für uns zur Routine. Und im Vergleich zu den Fluten, auf die wir uns vorbereiten, war diese niedrig – in Anführungszeichen.

Birgit Matelski leitet seit 2018 den Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz in Schleswig-Holstein.

Auf welche Art von Sturmfluten bereiten Sie sich vor?

Auf unwahrscheinlich schwe­re. Solche, die statistisch gesehen nur einmal in 200 Jahren auftreten. Ihre Höhe berechnen wir alle zehn Jahre neu, auf Basis des aktuellen Wasserstands.

Bund und Länder gehen davon aus, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um 61 bis 102 Zentimeter steigen wird. Was würde das bedeuten?

Wenn der Wasserspiegel steigt, laufen Sturmfluten höher auf. Auch ein höherer Seegang ist dann möglich, Sturmfluten hätten mehr Energie. Das bedeutet eine größere Belastung für die Deiche. An die passen wir sie an.

Wie?

Wesentlich sind die Höhe, die Breite und die Neigung eines Deichs. Es darf nicht zu viel Wasser über den Deich laufen, denn auf der Binnenböschung ist er am anfälligsten für Wellenschlag. Deshalb müssen die Wellen schon vorher, auf der Außenseite gebrochen werden. Das erreicht man mit einer flachen Außenböschung. An ihr läuft sich eine Welle sozusagen tot. Wir bauen nun einige Landesschutzdeiche zu Klimadeichen aus. Die funktionieren nach dem Baukasten-Prinzip. Man kann oben eine Kappe drauf setzen, die einen Meter hoch ist. Wenn das nicht reicht, kann man die Außenböschung weiter abflachen.

Wie viele Deiche müssen so ausgebaut werden?

In Schleswig-Holstein haben wir 430 Kilometer Landesschutzdeiche. Wir haben jeden Abschnitt geprüft, mit dem Ergebnis: Insgesamt 93 Kilometer müssen verstärkt werden. Zwanzig Kilometer haben wir seit 2012 ausgebaut, es bleiben also noch 73 Kilometer. Als nächstes sind zum Beispiel Maßnahmen auf Eiderstedt und in Friedrichskoog geplant. Bis alles fertig ist, dauert es bestimmt 30 Jahre.

Ist das noch rechtzeitig?

Auf jeden Fall. Laut Prognosen steigt der Meeresspiegel erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts rasanter an.

Welche Rollen spielen natürliche Elemente, etwa Salzwiesen, für den Küstenschutz?

Salzwiesen bis zu 200 Meter vor der Küste nehmen Energie aus den Wellen und schützen so die Deiche. Wo Vorland ist, müssen wir Deiche nicht ganz so hoch bauen. Deshalb pflegen wir es. Ich würde aber noch weiter draußen anfangen: beim Wattenmeer, dem sogenannten flächenhaften Küstenschutz. Ohne das Watt hätten wir viel höhere Wasserstände und viel höhere Wellen. Deshalb wollen wir es in seiner Größe und Höhe erhalten. Wie – darüber denken wir gerade nach.

Durch Zeynep sind auch einige Dünen abgebrochen.

Ja. Wie schlimm diese Abbrüche sind, können wir noch nicht sagen. Für eine Bilanz ist es zu früh. Grundsätzlich sind Vordünenabbrüche an den sandigen Küsten kein Thema. Es wäre natürlich schön, wenn sie länger hielten, aber dafür sind sie da: zum Verschleiß bei Sturmfluten. Sie lassen sich wiederherstellen. Dafür nehmen wir Sand aus dem Meer, aus einer Entnahmestelle westlich von Sylt. Der wird vor den Strand gespült. Außerdem setzen wir Sandfangzäune aus Reisig, damit sich die Vordünen wieder aufbauen können. Wenn Randdünen abbrechen, also Steilufer wie das Rote Kliff auf Sylt, tut das mehr weh: Diese Dünen sind dann weg.

Der Küstenschutz kostet im Jahr zwischen 75 und 80 Millionen Euro. Wird das in Zukunft noch mehr werden?

Das kann ich mir vorstellen. Wir kriegen Geld vom Bund, ein bisschen von der EU und einiges vom Land. Da muss man sicherlich ran, wenn man sich an den Klimawandel anpassen will.

Wie steht die Bevölkerung zum Küstenschutz und seinem Preis?

Wir schützen mit den Deichen ein Viertel der Landesfläche. Von daher ist das Verständnis da. Jeder hier kennt Geschichten von den Eltern, Oma oder Opa über die großen Sturmfluten.

Gibt es auch Gebiete, die Sie langfristig nicht vor dem Wasser schützen können?

Wir sind überzeugt: Selbst auf den Halligen, die am meisten gefährdet sind, werden wir es für dieses Jahrhundert schaffen. Der Plan dazu ist da.

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