Gasförderung in der Nordsee: Weltpolitik im Watt

Niedersachsen will das Wattenmeergesetz novellieren und Tiefbohrungen im Nationalpark verbieten. Gasförderung direkt daneben ist aber okay.

Die Insel Borkum von oben

Hier in der Nähe soll gebohrt werden: Insel Borkum Foto: Sina Schuldt/dpa

OSNABRÜCK taz | Zuweilen legen Politiker abenteuerliche Denkkurven hin. Eine davon hat sich jüngst Olaf Lies geleistet, Niedersachsens Umweltminister (SPD).

Es geht um den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, zugleich Unesco-Biosphärenreservat und Teil des Unesco-Weltnaturerbes. Die Lebensvielfalt in seinen Prielen und Röhrichten, auf seinen Sandbänken und Salzwiesen ist einzigartig, vom Schweinswal bis zum Seegras, von der Lachmöwe bis zur Dünenrose, von der Scholle bis zum Halligflieder. Lies zeigt sich gern als ihr Beschützer.

Die Novellierung des Wattenmeergesetzes, die Niedersachsens Landesregierung in ihrer Kabinettssitzung vom 15. März 2022 beschlossen hat, passt da gut ins Bild. Sie sei auf den Weg gebracht, sagt die Niedersächsische Staatskanzlei, um den Nationalpark „vor den Gefahren, die durch Tiefbohrungen in seinem Gebiet für die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt hervorgerufen werden können, zu schützen“. Bohrungen gab es dort zwar noch nie, aber verboten sind sie bisher nicht. Gut, diese Schutzlücke zu schließen. Noch vor der Sommerpause soll das Gesetz vom Landtag beraten und beschlossen werden.

Das Niedersächsische Wattenmeer sei ein „einzigartiger Naturraum“, sagt Lies. Tiefbohrungen nach Gas oder Öl werde es im Nationalpark nicht geben. Allerdings sagt er auch, „angesichts der aktuellen Entwicklungen“ müsse man „Projekte für Fördervorhaben in der Nordsee jenseits des Nationalparks grundsätzlich neu bewerten“. Der Schutz von Umwelt und Natur sei sicherzustellen. Die Energieversorgung aber auch.

Meinungsumschwung in der Politik

Nicht nur die Einwohner von Borkum werden hier hellhörig. Unweit ihrer Insel will das niederländische Unternehmen ONE-Dyas B. V. Erdgas fördern, im deutsch-niederländischen Grenzgebiet, unmittelbar am Nationalpark. Dieses Vorhaben sei von dem Bohrverbot „zunächst nicht betroffen“, teilt die Staatskanzlei mit.

Anfang Juni 2021 hatte Lies noch ganz anders geklungen. In einer Erklärung seines Ministeriums zu ONE-Dyas heißt es: „Ich lehne dieses Vorhaben am Rand unseres Nationalparks ‚Niedersächsisches Wattenmeer‘ strikt ab.

Es passt nicht in die Zeit, wenn wir auf europäischer Ebene breit über den Klimaschutz und Klimaneutralität diskutieren und gleichzeitig 500 Meter hinter unserer Grenze wieder nach Gas gebohrt wird.“ Die Zeit der fossilen Energieträger laufe aus. Die Erdgasförderung am Rande des Nationalparks sei „widersinnig“. Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Lies offenbar umgedacht.

Axel Ebeler, Vize-Landesvorsitzender des BUND Niedersachsen, empört das. Die Gesetzesnovelle selbst findet er gut. Aber die „Rolle rückwärts“ des Ministers zu ONE-Dyas versteht er nicht: „Letztes Jahr hat er das noch vollmundig verkündet. Und jetzt ist es wie bei Adenauer: ‚Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?‘“ Ebeler hält es für einen Fehler, „Sachen im Schnellschuss anzuschieben“, die sich am Ende womöglich als Bumerang erweisen.

Auch eine Bohrung in der Nähe des Nationalparks sei abzulehnen, sagt Ebeler der taz. „Zu sagen, das berühre dessen Grenze ja nicht, ist Augenwischerei. Da kann es zu Erdbeben kommen, zu Bodenabsenkungen. Und zwischen dem Nationalpark und dem Rest der See gibt es ja keine feste Grenze, das sind aquatische Verbindungen, das beeinflusst einander ja.“

Zudem werde womöglich nicht nur senkrecht gebohrt, sondern auch seitlich, in den Meeresgrund des Nationalparks hinein. „Solche Ablenkbohrungen“, sagt Ebeler, „darf es nicht geben!“ Auch Lies hatte vor Bodenabsenkungen gewarnt, davor, dass „der Nationalpark von der Seite angebohrt wird“. Beides spielt für ihn jetzt anscheinend keine Rolle mehr.

Auf Augenhöhe mit dem Great Barrier Reef

Auch Hans-Ulrich Rösner, Leiter des Wattenmeerbüros des WWF Deutschland, findet klare Worte. Die Gesetzesnovelle begrüßt er. Aber: „Die Gefahr, dass der Nationalpark beeinträchtigt werden könnte, wenn ONE-Dyas bohren und fördern darf, ist gegeben“, sagt er der taz. „Jegliche Bohrung für Gas oder Öl in seiner Nähe sollte unterbleiben.“ Durch Explorations- und Produktionsprozesse von ONE-Dyas könne es zu Schadstoff-Freisetzungen kommen, fürchtet Rösner. „Und das gefährdet den Nationalpark dann natürlich.“

Den fragilen Schutzraum Watt zum Schauplatz neuer Ausbeutung fossiler Energien zu machen, aus Angst, das russische Gas könne ausbleiben, wäre fatal

Das Watt, als Weltnaturerbe auf Augenhöhe mit dem Great Barrier Reef vor der Nordostküste Australiens, dem isländischen Vatnajökull-Nationalpark und der Serengeti in Tansania, ist ein fragiler Naturraum. Es zum Schauplatz neuer Ausbeutung fossiler Energien zu machen, aus Angst, das russische Gas könne ausbleiben, wäre fatal.

Wie es aussieht, wenn das Watt zum Industriegebiet wird, lässt sich an der Mittelplate ablesen, Deutschlands größtem und förderstärkstem Ölfeld am Südrand des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Die Bohr- und Förderinsel Mittelplate A von Wintershall, installiert auf einer Sandbank, dominiert und verändert die gesamte Landschaft. Nicht nur, dass sie kein schöner Anblick ist. Sie degradiert die Natur zur Ressource.

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