„Wir brauchen freie Fläche“

Ein Bauprojekt in Emden erhält den „Dinosaurier des Jahres“: Bodenversiegelung für Einfamilienhäuser sei weder klima- noch naturverträglich, sagt Umweltschützer Jörg-Andreas Krüger

Wenn die Walze (nicht mehr) kommt: Die Versiegelung von Böden muss aufhören, fordert der Umweltverband Nabu Foto: Rolf Georg Brenner/PantherMedia/imago

Interview Enno Schöningh

taz: Herr Krüger, der Dinosaurier des Jahres ist ein Negativpreis für Umweltsünder. 2021 geht der Preis an das Baugebiet Conrebbersweg in Emden. Warum?

Jörg-Andreas Krüger: Wir zeichnen mit dem Dino des Jahres Projekte aus, die aus der Zeit gefallen sind. In Conrebbersweg werden 75 Hektar Grünland für ein Neubaugebiet aus Einfamilienhäusern versiegelt. Die Stadt Emden versucht damit, ein attraktives Angebot an Menschen zu machen, die vielleicht in Emden wohnen wollen.

Was erhoffen Sie sich konkret von der diesjährigen Preisverleihung?

Wir möchten zur Diskussion in und um Emden herum anregen. Die Stadt hat gerade verkündet, dass sie die Vermarktung des Baugebiets starten will. Das heißt, dass jetzt die letzte Möglichkeit ist, noch mal innezuhalten und umzudrehen. Außerdem wollen wir auf den bundesweit hohen Flächenfußabdruck von 50 Hektar Boden- und Flächenversiegelung täglich hinweisen. Bis 2040 entspricht das einer Fläche von der Größe des Saarlands. In einem dicht besiedelten Land wie Deutschland müssen wir anerkennen, dass Fläche endlich ist und dass wir freie Fläche brauchen.

Was soll Ihrer Meinung nach mit dem Gebiet geschehen?

Das Gebiet sollte als Grünlandgebiet erhalten werden. Wenn es die Kriterien für Naturschutz erfüllt, dann sollte es als Naturschutzgebiet dauerhaft gesichert werden.

Warum ist Flächenversiegelung eine Umweltsauerei?

Zum einen fällt der Lebensraum für die Arten weg, die dort leben. In Emden sind das Vogelarten wie der Wiesenpieper, Feldschwirl und Kiebitz. Die sind hochbedroht und stehen auf der roten Liste. Auch wird das im Boden gespeicherte C02 freigesetzt. Auf versiegelten Flächen kann außerdem kein Niederschlag mehr versickern, bei Starkregen gibt es entsprechende Schwierigkeiten mit Hochwasser. Zusätzlich heizen sich versiegelte Flächen stärker auf. Ich lebe in Berlin und hatte im Sommer 2018 und 2019 den Eindruck, die Stadt kommt aus der muffigen Stauwärme nicht mehr raus.

Trotz allem halten Kommunen sehr an Boden- und Flächenversiegelungen fest. Wie erklären Sie sich das?

Seit 50 Jahren gilt das Einfamilienhaus am Stadt- oder Ortsrand als das erstrebenswerte Ziel für eine junge Familie. Dann hat man etwas erreicht. Doch wir müssen in vielen Lebensbereichen unsere Wertemuster ändern. Wir können nicht alle auf 120 Quadratmetern pro Person leben. Das Wohnen im Zentrum von Ortschaften und Städten sollte wieder attraktiver werden. Dazu gehören neue Konzepte von klimafreundlichem und ökologischem Wohnen. Doch für viele Kommunen ist es eben einfacher, eine grüne Fläche zuzubauen. Da außerdem die Steuerzuweisung von der Einwohnerzahl abhängt, möchte man in schrumpfenden Kommunen den Abwanderungsprozess eindämmen. Denn mit geringeren Geldern kann man sich weniger Bibliotheken und Schwimmbäder leisten.

Flächenversiegelung ist schlecht für die Natur – doch Wohnraum ist vielerorts knapp und oft für ärmere Menschen kaum zu bezahlen. Besteht zwangsläufig ein sozialökologischer Konflikt?

Foto: Nabu

Jörg-Andreas Krüger ist Landschaftsarchitekt und seit 2019 Präsident des Deutschen Naturschutzbundes (Nabu). Der Verband ist mit 820.000 Mitgliedern die größte Umweltorganisation in Deutschland.

Das glaube ich nicht. Wohnraum für schwächere Einkommen entsteht nicht durch Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese. Das Finanzvolumen, um mir ein Einfamilienhaus leisten zu können, entspricht eben nicht den schwächeren Einkommen. Für diese muss ein Konzept für ein sozialökologisch verträgliches Leben in der Stadt entwickelt werden.

Glauben Sie, dass die neue Bundesregierung das Problem Flächenversiegelung adäquat angeht?

Die neue Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Da sagen wir: Das kann und darf nicht auf der Wiese passieren. Das muss eine Aufstockung von Gebäuden in den Ballungsräumen sein, wo eben auch die hohe Nachfrage ist. Außerdem gibt es viel Leerstand in den ländlichen Räumen. Wie sehen unsere Arbeits- und Lebensbedingungen der Zukunft aus? Benötigen wir weiterhin Zuzug in die Stadt, weil alle attraktiven Jobs dort sind? Oder ist es möglich, über mobiles Arbeiten, durch eine gute digitale Infrastruktur und durch ein vernünftiges ÖPNV-Konzept den ländlichen Raum anzuschließen? Das sind doch die klugen Konzepte nach vorne.

Die Auszeichnung „Dinosaurier des Jahres“ wird seit 1993 vergeben. Was hat der Preis bisher bewirkt?

Wir haben die Preis­trä­ge­r*in­nen zu öffentlichen Veranstaltungen wie Talkshows eingeladen und den gesellschaftlichen Diskurs gepflegt. Doch es geht nicht darum, einen Blame-und-Shame-Preis zu machen. Der Preis ist vielmehr ein Diskussionsanlass. Wir wollen mit dem Preis darauf aufmerksam machen, was aus unserer Sicht falsch läuft. Wir werden die diesjährige Preisvergabe nutzen, um sowohl in Emden als auch bundesweit die Diskussion über Flächenversiegelung weiterzubringen.