BGH-Urteil über verdeckte Ermittler: Grenzen für Agents Provocateurs

Ein verdeckter Ermittler überredete zwei Klein-Dealer zum Verkauf größerer Mengen Kokain. Der BGH hob das Strafurteil auf.

Hände in Schutzhandschuhen tragen Knospen von Cannabis

Knospen von Cannabis-Pflanzen, die für den medizinischen Gebrauch angebaut werden Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Wenn ein Klein-Dealer von einem Verdeckten Ermittler der Polizei zu einem größeren Drogen-Geschäft gedrängt wird, kann der Klein-Dealer hierfür nicht bestraft werden. Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH). Es liege dann ein „Verfahrenshindernis“ vor, sagte der Vorsitzende Richter Rolf Raum.

Konkret ging es um zwei Männer aus Pakistan, die in einem Asylheim in Emmendingen (Südbaden) lebten. Sie handelten in kleinem Stil mit Drogen, um die Sucht des Älteren zu finanzieren. Der Mann kaufte Marihuana und Kokain für den Eigengebrauch und verkaufte jeweils die Hälfte weiter.

Die Polizei hatte auf die beiden Männer und ihre Lieferanten einen verdeckten Ermittler angesetzt. Er kam im März 2020 mehrfach vorbei und kaufte kleine Mengen Drogen, zum Beispiel zehn Gramm Marihuana für 100 Euro. Immer wieder fragte er, ob er auch „größere Mengen“ bekommen könne. Schließlich wollte er drei Kilo Marihuana und hundert Gramm Kokain kaufen, im Wert von rund 20.000 Euro.

Die Brüder sagten zu, hatten aber Probleme, die Ware zu beschaffen. Ihnen half dann ein LKW-Fahrer, der zumindest das Marihuana auftreiben konnte. Bei der Übergabe griff die Polizei zu.

Auch „Aufstiftung“ ist problematisch

Das Landgericht Freiburg verurteilte im Februar 2021 den älteren Bruder (heute 36) als Haupttäter zu drei Jahren und zwei Monaten Haft, den jüngeren Mann (34) zu zwei Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung und den 30-jährigen LKW-Fahrer zu zwei Jahren mit Bewährung.

In der Revision hob der BGH das Freiburger Urteil nun aber weitgehend auf und ordnete eine neue Verhandlung an. Dabei muss das Landgericht prüfen, ob die polizeiliche Tatprovokation rechtsstaatswidrig war. Nur das Urteil gegen den LKW-Fahrer ließ der BGH bestehen, weil das Locken des Verdeckten Ermittlers keinen Einfluss auf ihn hatte.

Der BGH bestätigte zunächst seine bisherige Linie, dass Scheinkäufe der Polizei im Drogenmilieu nicht generell verboten sind. Allerdings müssen die Angesprochenen bereits tatgeneigt sein und der Lockspitzel dürfe keinen Druck ausüben.

Problematisch ist es nicht nur, so der BGH, wenn ein Lockspitzel Leute anspricht, die bisher gar nicht kriminell waren, sondern auch wenn sie in deutlich geringerem Umfang strafbar agierten. Richter Raum nannte es eine „Aufstiftung“, wenn ein Klein-Dealer zu größeren Geschäften angestiftet wird.

Unzulässiger Druck liegt laut dem Richter nicht nur vor, wenn ein Spitzel zu Drohungen greift. Auch jede andere Form der Manipulation sei unzulässig. Im konkreten Fall hatte der verdeckte Ermittler – ein Afghane – gegenüber den pakistanischen Brüdern immer wieder betont, Afghanen und Pakistani müssten zusammenhalten. Ob das bereits als Manipulation zu werten ist, muss nun das Landgericht prüfen.

Neu ist, dass nun auch der 1. BGH-Strafsenat als Folge einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation von einem „Verfahrenshindernis“ ausgeht, das die Bestrafung gänzlich ausschließt. Bisher hatten die BGH-Richter:innen überwiegend nur eine Strafmilderung angenommen. Richter Raum berief sich jetzt auf die strengere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Az.: 1 StR 197/21

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.