Radfahren als Ausdauer-Exzess: Somnambuler Taumel

Extremradsportler Rainer Steinberger möchte am Race Across America teilnehmen. Der 45-Jährige aus dem Bayerischen Wald ist wie gemacht dafür.

"Dann macht es Klick": Rainer Steinberger ist auf langen Strecken zuhause.

„Dann macht es Klick“: Rainer Steinberger ist auf langen Strecken zu Hause Foto: imago-images

Zu den großen, fast schon mythischen Herausforderungen im Ausdauersport gehört neben dem Ironman und dem Wüsten-Marathon des Sables sicherlich auch das Race ­Across America. Rainer Steinberger, von der Mittelbayerischen Zeitung gern mal als „Promi aus Pösing“ bezeichnet, möchte das Radrennen im Sommer 2022 angehen, und wer weiß, vielleicht sogar gewinnen.

Der 45-Jährige lebt, wie er sagt, „im tiefsten Bayrischen Wald“, und so spricht er auch – mit schwerem Dialekt. „Es musste in meinem Leben immer höher, schneller, weiter gehen. Da bin ich schon extrem veranlagt“, sagt er, „auf der Rolle“ strampelnd. Das lockere Gespräch mit der taz führt er auf dem Rennrad gänzlich ohne Atemnot, obwohl er „zum Einfahren“ 180 Watt tritt; Trimm-dich-Radler, so viel steht fest, würden bei diesem Tempo keuchen.

Rainer Steinberger verdient sein Geld als Übungsleiter im Reha-Sport und als Personal Trainer, mittlerweile sagt er aber: „Ich bin Berufsradfahrer.“ Das ist ein recht spätes Karriere-Coming-out, aber was will man machen, sagt Steinberger: „Das Schicksal schickt mich immer wieder in eine bestimmte Richtung. Ich kenne natürlich den Spruch: Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann erzähl ihm von deinen Plänen. Aber was solls, ich habe es immer wieder versucht.“

Über die Appalachen

Im Sommer wartet dann also ein Radrennen über fast 5.000 Kilometer auf ihn, mit ungefähr 50.000 Höhenmetern, mit Gebirgen wie der Sierra Nevada, den Rocky Mountains und den Appalachen, mit der Mojave-Wüste und dem grandiosen Monument Valley, aber auch der Eintönigkeit der Great Plains.

Der Start des Race Across America, das es seit 1982 gibt, erfolgt an der Westküste in Ocean­side/Kalifornien, und nachdem ein Dutzend Bundesstaaten durchquert wurden, kommt der Sieger nach gut einer Woche an der Ostküste der USA in Annapolis/Maryland an. Den Streckenrekord hält der österreichische Mehrfachsieger Christian Strasser mit 7 Tagen 15 Stunden und 56 Minuten. Dessen Durchschnittsgeschwindigkeit im Jahr 2014: 26,43 km/h. Ein unglaublicher Wert, den Sonntagsradler (wie der Autor dieser Zeilen) nicht mal auf ihrer 60-Kilometer-Runde schaffen.

Steinberger hat mit Karate angefangen, kam dann zum Boxen. Aber weil er schnell gesehen hat, dass er es in dieser Sportart „nicht zum Weltmeister bringen kann“, stieg er um – und wurde Triathlet, vor gut zwanzig Jahren. Es dauerte nicht lang, und Steinberger landete auf Hawaii, im Mekka der Mehrkämpfer, ging als Ironman auf die Strecke: 3,6 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und obendrauf ein Marathonlauf. Seine beste Platzierung: Siebzigster. Seine beste Zeit: 9 Stunden und 5 Minuten.

„Der absolute Tiefpunkt“

Er hätte sich wohl weiter im Ranking der Eisenmänner verbessert, wenn seine Achillessehne nicht so geschmerzt hätte. Später laborierte er an einem Bandscheibenvorfall herum. „Das war der absolute Tiefpunkt“, blickt er zurück. Aber er schaffte es ohne OP aus dem Tief heraus, suchte 2012 noch einmal die Herausforderung auf Hawaii. Doch ein Infekt hatte ihn so sehr geschwächt, dass er nicht mal unter die besten 200 Athleten kam.

Da Steinberger, wie er sagt, immer neue Ziele braucht, versuchte er es alsbald mit einem 24-Stunden-Radrennen. Und siehe da: Er wurde trotz Knie- und Rückenschmerzen Zweiter: „Da habe ich gedacht, hoppla, da geht was, das machen wir jetzt mal ernsthafter.“ So wurde die Strecke länger und der Wille unbändiger. Steinberger, der Radl­extremist, wurde zu dem Geheimtipp in der Szene der Langkurbler. Zuletzt gewann er das Race Around Austria über „nur“ 2.170 Kilometer und das Race Across Italy über 774 Kilometer, er siegte zuvor beim „Rad am Ring“ (728 Kilometer) und beim Overall Race Around Slovenia (1.250 km).

Steinberger besorgte sich Sponsoren, baute um sich ein Betreuerteam auf, das ihn bei den Touren im Bus und Wohnwagen begleitet. In die USA will er mit neun Betreuern, viel Equipment und drei Rädern reisen. Das Ganze kostet über 30.000 Euro, Siegprämien gibt es nicht, vielmehr müssen die Radler ein saftiges Startgeld bezahlen. „Das ist Abenteuerurlaub mit einem großen Ziel. Da geht viel Geld den Bach runter, weswegen ich das nie als so großen Traum angesehen habe“, sagt er über die Unternehmung, bei der er verdammt wenig schlafen wird, in acht Tagen nur sieben oder acht Stunden: am besten in 15-Minuten-Häppchen. „Das wird ein absoluter Grenzgang. Ich bin dann so verwachsen mit den Rad, ich könnte glatt im Zirkus auftreten“, sagt er und lacht.

Manchmal, wenn Rainer Steinberger im somnambulen Taumel über den Asphalt rast, dann verliert er den Bezug zur Realität. „Es macht auf einmal Klick, und man ist in einer anderen Welt.“ Wenn er aus dem Nebel wieder als Person erscheine, frage er sich manchmal ernsthaft: „Wer bin ich? Wo bin ich? Bin ich ein Radfahrer?“ Zum Glück gibt es ja noch seine Crew, die solche existenziellen Nöte schnell ausräumen kann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.