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Türkischer Währungsverfall dramatisch

Die Zentralbank hat trotz Inflation erneut den Leitzins gesenkt. Es droht ein Ausverkauf des Landes

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Trotz einer massiven Inflation und einer Währung, die von Verlust zu Verlust taumelt, hat die Zentralbank in Ankara am Donnerstag erneut den Leitzins gesenkt. Statt 15 Prozent betragen die Zinsen jetzt nur noch 14 Prozent. Schon im Vorfeld hatte die Lira in Erwartung dieser Entscheidung wieder massiv gegenüber Dollar und Euro an Wert verloren. Für einen Dollar muss man nun 15 Lira bezahlen, vor einem Jahr waren es noch 7 Lira, und das war schon ein kaum denkbarer Wechselkurs. Die neuerliche vierte Zinssenkung seit März dieses Jahres erfolgte auf direkte Anweisung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Sie konterkariert die Bemühungen der Zentralbank, die in den letzten zwei Wochen noch für mehrere Milliarden Dollar Lira gekauft hatte, um den Wert der türkischen Währung zu stabilisieren. Jetzt geht es mit der Lira weiter abwärts und bringt die Bevölkerung immer mehr um ihre Kaufkraft.

Um dem Unmut zu begegnen, hat Erdoğan vor zwei Wochen eine neue Wirtschaftspolitik angekündigt, die auf den Geldzufluss von außen verzichtet, und stattdessen über den billigen Lira-Kurs den Export ankurbelt. Die Türkei, so Erdoğan, solle das China Europas werden, die Werkbank, die die EU mit billigen Produkten versorgt. Es würde eine kurze problematische Phase geben, danach wäre der Wohlstand dann aber umso größer.

Außer Erdoğan und einer Handvoll seiner engsten Mitarbeiter glaubt niemand an diese neue Politik. Die Inflation steigt beständig auf teilweise 50 Prozent, und die türkische Lira hat allein 2021 die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem Dollar verloren. Um die schlimmsten Auswirkungen von Inflation und Währungsverfall abzumildern, sollte am Donnerstag noch die Erhöhung des Mindestlohns verkündet werden, von dem die Hälfte aller Arbeitnehmer abhängig sind.

Erdoğan hat erst kürzlich seinen Finanzminister ausgetauscht, der nun den türkischen Geschäftsleuten den neuen Kurs verkaufen soll. Teilnehmer einer Konferenz sagten anschließend, der Minister habe zugegeben, dass es extrem schwierig würde, wenn die neue Politik nicht bald Ergebnisse zeige. Erdoğan will mit seiner Politik die Abhängigkeit von spekulativem Kapital, mit dem das Außenhandelsdefizit ausgeglichen wurde, beenden. Stattdessen wird die türkische Börse in den letzten Wochen von US-Hedgefonds geflutet, die auf einen weiter sinkenden Lira-Preis spekulieren.

Außerdem droht ein Ausverkauf des Landes. Während sich die Bulgaren im kleinen Grenzverkehr preiswert mit Konsumgütern versorgen, kaufen reiche Araber, Iraner und Russen sich im großen Stil Immobilien in Istanbul und in den begehrten Regionen am Mittelmeer.

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