: Wir räumen den Irak auf
Eine Gruppe junger Jesidinnen befreit die vom „Islamischen Staat“ verwüstete und verminte Region Sindschar von den gefährlichen Resten des Krieges
Tafan Najat aus Suleimania ist Chefredakteurin einer Onlineplattform, die vor allem Frauenthemen aufgreift.
Jeden Morgen in der Woche steht Amira um drei Uhr auf. Sie zieht einen Arbeitsanzug an und greift sich Helm und die schwere Schutzweste. Leise verlässt die 20-Jährige das Haus, um ihre Familie nicht zu wecken. Gemeinsam mit Kolleginnen fährt sie zum Einsatzort in der nordirakischen Region Sindschar. „Zuerst besprechen wir, wo wir weitere Minen und andere Sprengkörper suchen müssen, um sie dann unschädlich zu machen“, sagt sie. Dann geht es ins Feld.
Amira gehört zu einem Team der britischen Minenräumorganisation MAG, die in der Region 30 Jesidinnen beschäftigt. Ausgerüstet mit den nötigsten Kenntnissen und moderner Technik säubern die Mädchen und Frauen das Terrain von den todbringenden Überbleibseln des jüngsten Krieges.
In den Jahren 2014 bis 2017 hatte der „Islamische Staat“ (IS) in der an Syrien grenzenden Region Sindschar Zehntausende Männer und Frauen als „Ungläubige“ und „Teufelsanbeter“ ermordet, entführt, vergewaltigt, versklavt. Nach dem Genozid an den Jesiden haben die IS-Terroristen das Land und die Städte weitflächig bombardiert und gezielt Sprengfallen gelegt. Damit wollten sie eine Rückkehr der Hunderttausenden Geflüchteten verhindern.
Im Distrikt Gruzer, wo Amira und ihre Kolleginnen derzeit arbeiten, kamen allein zwischen Oktober 2017 und 2019 etwa 30 Zivilisten durch Minen und andere Sprengkörper ums Leben, mindestens 40 Personen wurden verletzt. „Diese tödliche Gefahr wurde bei uns als Kalter Krieg bekannt. Viele Geflüchtete fürchten sich, zurückzukehren in ihre Heimat“, sagt Dschalal Pisu, Verwaltungsdirektor des Distrikts Gruzer.
Das soll sich ändern: „Unser Ziel ist es, kein einziges Überbleibsel des Krieges unentdeckt zu lassen“, so Zhyan, eine Teamkollegin. Mindestens ebenso wichtig sei es klarzustellen, „dass jesidische Mädchen und Frauen sich nicht schämen müssen, diesen Job zu machen. Wir wollen wie die Männer und mit ihnen gemeinsam für eine sichere Umgebung für die Jesiden arbeiten.“
Das geht vielen Konservativen zu weit. Aus Angst vor persönlichen, gewaltsamen Angriffen möchte Zhyan deshalb ihren richtigen Namen nicht veröffentlicht sehen. „Unsere Gemeinschaft hat kein Verständnis für unsere harte, gefährliche Arbeit. Obwohl wir das Leben sicherer machen, kritisieren sie uns. Es sei keine Arbeit für Frauen, heißt es. Dabei beweisen wir jeden Tag, dass wir erfolgreich sind.“ Tatsächlich haben Amira, ihre Kolleginnen und weitere Teams in der Region schon fünf Distrikte und viele Dörfer von Minen und Sprengkörpern befreit.
„Es stimmt, manchmal ist mein Leben in Gefahr“, sagt Amira, „aber ich liebe meine Arbeit, weil ich mein Land säubere von den dreckigen IS-Hinterlassenschaften. Ich möchte, dass die Bürger ohne Furcht zurückkommen in ihre Heimat.“
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