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Das Glück an der Kasse

Buchhandlungen verkaufen längst nicht nur Bücher. Gerade vor Weihnachten boomt der Verkauf von kleinen Geschenkartikeln. Über Sinn und Unsinn von Kramgeschenken

Diese Nachwuchsleser freuen sich über Comics, auch die liegen oft neben der Kasse aus Foto: Werner Otto/mauritius images

Von Julia Hubernagel

Weihnachten ist im Allgemeinen eine ungünstige Zeit, um kollektiv Konsumkritik zu betreiben. Wer im Familienkreis vorschlägt, auf das Schenken zu verzichten, begegnet oft verständnislosen Blicken. Einigt man sich auf „bewusstes Schenken“, liegt der Griff zum Buch gedanklich nahe.

Doch auch damit ist die Arbeit nicht getan: Schenke ich etwas Forderndes oder leichte Kost? Klassiker oder Zeitpolitisches? Und was, wenn die zu Beschenkende ohnehin alles schon gelesen hat? Lieber doch etwas zum Hinstellen, etwas Schönes, je universeller desto erfolgsversprechender, denkt man sich da vielleicht, ratlos vor wohlgeordneten Bücherregalen stehend.

Nahe der Kasse locken auch im Buchladen das überforderte Auge unverfängliche Mitbringsel, gerade teuer genug, um als Geschenk durchzugehen. Der Trend geht zum Buch plus x. Lesezeichen, Klemmlampe und Notizbücher, das alles gehört zur Lese-experience dazu. Überhaupt das Notizbuch: Es ist erstaunlich, wie viel manch einer bereit ist, für ein Buch mit leeren Seiten zu zahlen.

Bestes Beispiel sind das „Moleskine“ oder auch das „Leuchtturm 1917“, den Edel-Notebook-Marken werden gar eigene Ecken im Buchladen eingeräumt. Zur Wahl stehen die schlichten Klassiker in „myrtengrün“ und „saphir“, hochpreisige Sonder­editionen sowie das Notizbuch „Voyageur“. Wer darin schreibt, befindet sich in direkter geistiger Nachfolge von van Gogh und Hemingway, lässt sich auf der Firmenhomepage von Moleskine nachlesen. To Have and Have Not, das ist hier gar keine Frage mehr.

Neben den Notizheften liegen meist hübsch aufgereiht „Coffee Table Books“, die, genau, auf dem Couchtisch einfach gut aussehen. Immer geeignet sind auch Bücher mit Infos zum Angeben, „365 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern“ etwa oder „1374 skurrile Fakten, die man nie mehr vergisst“. Dass der Informationsgehalt dieser Bücher ihrem Preis selten gerecht wird, ist dabei zweitrangig. Darum geht es doch auch beim Schenken, oder? Dinge zu verschenken, die man sich selbst nie kaufen würde – warum eigentlich nicht? Immerhin bildet der Besitz, bilden gesammelte Gegenstände „ein geistiges Reservat, in dem ihr Besitzer herrscht“, wenn man dem Philosophen Jean Baudrillard glauben mag. Oder anders gesagt: Der Konsument ist König.

Der linke Buchladen im Kiez verkauft immerhin Hannah-Arendt-Postkarten

Der Mensch macht hierzulande im Leben durchschnittlich 80 Weihnachtsfeiern mit, Geburtstag hat er auch jedes Jahr aufs Neue. Es wäre Wahnsinn, würde jedes Geschenk gefallen und behalten werden. Großer Beliebtheit erfreuen sich daher Geschenke, deren Lebensdauer begrenzt ist, wie Schokolade, Parfum oder Duftkerzen. Oder eben Kalender, die in Buchhandlungen neben den Büchern am häufigsten verkauft werden, wie ein Berliner Buchhändler erzählt. Auch hier ist die Spannbreite groß: Aufgeklärte Groß­städ­te­r:in­nen freuen sich über den queerfeministischen Taschenkalender, in Buchhandlungsketten in Einkaufscentern hängen etwas verschämt ganz hinten immer noch Erotikkalender zum Abreißen. Rote Haare im Januar, glattrasiert im April.

Neu dazugekommen in der Geschenkecke der Buchläden sind in den letzten Jahren jedoch Bücher zum Mitmachen. „Journal prompts“, also Anregungen zum Tagebuchschreiben, sollen helfen, die eigene Kreativität zu kanalisieren, vorzugsweise direkt nach dem Aufstehen. Wem das noch zu unproduktiv ist, seien die mittlerweile unzähligen To-do-List-Bücher empfohlen. Die Aufgaben des Tages lassen sich garantiert leichter bewältigen, wenn man sie in goldumrandete Textfelder kalligrafiert. Dazu male man kleine Wassergläser aus, um das hydration level zu tracken, und kreuze an, an wie vielen Tage der Woche für Sport leider wieder keine Zeit blieb. Für gnadenlose Kontrollfreaks eignet sich das „Five Year Memory Book“: One Line A Day und ich habe ein erschreckendes Gesamtzeugnis über eine halbe Dekade geschaffen, das noch meine Enkelkinder gruseln wird.

Etwa ein Viertel der Gesamtverkäufe mache der „Non-Book“-Anteil aus, weiß der freundliche Berliner Buchhändler, und so überrascht es nicht, dass wirklich jedes kleine Buchgeschäft eine Ecke mit Geschenkartikeln eingerichtet hat. Selbst der linke Buchladen im Kiez kann sich dem Weihnachtskommerz nicht verschließen und verkauft immerhin Postkarten mit Hannah-Arendt- oder Robert-Walser-Motiv. Letzterer hat neben einigen wunderbaren Romanen auch folgenden Kalenderspruch geschrieben: „Was kann uns glücklicher machen als das Glück, das wir anderen schenken?“ Übertreiben sollte man es mit dem Schenken freilich auch nicht und es vielleicht lieber mit den Griechen halten: „Allzu gern schenken ist krankhaft“, befand Epicharmos. Das war wahrscheinlich im Dezember.

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