Kampf gegen sexualisierte Gewalt: Angst vor dem Kontrollverlust

Die neue Regierung kündigt ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport an. Die Begeisterung beim DOSB hält sich in Grenzen.

Zwei Judokämpfer, die auf dem Foto nur verschwommen erkenntlich sind

Im Kampf gegen sexualisierter Gewalt müssen im Sport die Konturen geschärft werden Foto: Mika Volkmann/imago

Großes Lob kommt schon einmal aus den eigenen Reihen. „Dieser Koali­tionsvertrag ist sportpolitisch eine Wucht!“, twitterte der SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir, der zuletzt im Sportausschuss saß. Ein ehrgeiziges Programm haben die Regierungsparteien aus SPD, Grünen und FDP zweifellos formuliert. Unter anderem soll es ein Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Sport geben, die Datei „Gewalttäter Sport“ soll rechtsstaatlicher, die Förderung von Spitzensport unabhängiger sowie transparenter und die Offensive für Investi­tionen in Sportstätten geweitet werden, wie es in schönster Politikprosa heißt.

Das innovativste Vorhaben dieses Kapitels verbirgt sich jedoch hinter diesem Satz: „Um den Kampf gegen physische, psychische und insbesondere sexualisierte Gewalt im Sport zu verbessern, unterstützen wir den Aufbau eines unabhängigen Zentrums für Safe Sport.“ Damit greifen die Regierungsparteien eine Idee auf, für die vergangenen Mai im Sportausschuss des Deutschen Bundestags Maximilian Klein geworben hatte. Er sprach im Namen von Athleten Deutschland e. V., der immer einflussreicher werdenden Interessenvertretung deutscher Spit­zen­sport­le­r:innen.

In der öffentlichen Anhörung machte er – von wissenschaftlicher Seite unterstützt – auf ein Grundproblem aufmerksam: Betroffene physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt haben kein Vertrauen in die Ansprechpersonen einer Organisation, der auch die Tä­te­r:in­nen angehören.

Vereinzelte Spitzensportverbände, wie der Deutsche Schwimm-Verband und der Deutsche Turner-Bund, die zuletzt mit aufsehenerregenden Missbrauchsfällen konfrontiert waren, sympathisieren mit diesen Konzepten, die die Bekämpfung dieser Gewaltformen von sportunabhängigen Strukturen aus denken. Einem entscheidenden Akteur, dem Deutschen Olympischen Sportbund, fällt es jedoch schwer, so zu denken, kratzt der Vorschlag eines unabhängigen Zentrums Safe Sport doch an einem Heiligtum: der Autonomie des Sports.

Bremsende Reaktionen

Der nun erklärte politische Wille, diesen Vorschlag umzusetzen, bringt den DOSB in Bedrängnis. Zumal das Bundesministerium des Inneren nach der Anhörung im Mai gleich eine Machbarkeitsstudie für die Einrichtung eines Zentrums Safe Sport in Auftrag gab, deren Ergebnisse Mitte Dezember erwartet werden.

DOSB im Defensivmodus

„Wir können uns die Initiierung eines solchen Dialogs vorstellen“

Bremsend wirkten schon im Mai die Reaktionen des DOSB. Ein solches Zentrum sei „nicht der Königsweg“. Sportverbände und -vereine müssten selbst Verantwortung übernehmen. Gern verweist man auf eigene Anstrengungen und Erfolge. Zuletzt wurde ein Stufenmodell entwickelt, das die schrittweise Umsetzung von Maßnahmen zur Prävention von sexualisierter Gewalt vorsieht und damit die Freigabe von Finanzmitteln verknüpft.

Trägheit will man sich beim DOSB nicht vorwerfen lassen. Auf eine Anfrage der taz zum neuen Koalitionsvertrag reagiert der Dachverband rasch. Man freue sich, dass das Themengebiet sexualisierte Gewalt nun auf allen politischen Ebenen angekommen sei, nachdem der DOSB sich durch seine Jugendorganisation viele Jahre in diesem Bereich engagiere. Man begrüße die im Vertrag enthaltene Stärkung von Prävention, Kinderschutz und Schutz vor Gewalt im Sport.

Es fällt auf, dass der DOSB seine Vorbehalte in der veränderten politischen Lage vorsichtiger formuliert. Hatte man vor ein paar Monaten kritisch zu bedenken gegeben, die Aufgaben und Funktionen eines unabhängigen Zentrums Safe Sport müssten konkret definiert werden, will der Verband sich nun nicht konkret äußern, was man damit genau meint und was man sich wünscht: „Wir werden zunächst die Ergebnisse der BMI-Machbarkeitsstudie zur ‚Einrichtung für sicheren und gewaltfreien Sport‘ analysieren.“ Danach sei ein „breit angelegter Dialog“ darüber notwendig. „Wir können uns die Ini­tiie­rung eines solchen Dialogs vorstellen.“

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Warten auf die Studie

Handlungsdrang hört man aus diesen Worten des DOSB nach wie vor nicht heraus, fordern doch Athleten Deutschland e. V. diesen Dialog, wie ihr Konzept realisiert werden könnte, seit Monaten ein. Letztere wollen den DOSB auch nicht aus der Verantwortung präventiver Arbeit nehmen. Problematisiert haben sie lediglich die bislang übliche Praxis, dass der Sport sich selbst kontrolliert und über sich richtet, also auch für Intervention und Aufarbeitung zuständig ist.

Auf die Frage der taz, ob der DOSB sich vorstellen könne, die Aufarbeitung etwa sexualisierter Gewalt im Sport an eine unabhängige Organisation abzugeben, antwortet der Verband ausweichend: „Inwiefern ‚Aufarbeitung‘ in einer bundeszentralen Einrichtung stattfinden kann, welche Strukturen dafür aufgebaut werden müssen, wird hoffentlich die Machbarkeitsstudie aufzeigen.“

Man muss noch ein wenig abwarten, wie kooperativ sich der DOSB beim Aufbau eines unabhängigen Zentrums Safe Sport verhalten wird. Der anstehende Führungswechsel innerhalb des DOSB wird dabei ebenfalls von großer Bedeutung sein. Und ob die politische Willenserklärung der Regierungsparteien mit den notwendigen finanziellen Mitteln unterfüttert wird, muss auch noch geklärt werden.

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