Beziehung von Mensch und Pferd: „Wildpferde waren immer Jagdwild“

Der Autor und Journalist Stefan Schomann über die Darstellung von Pferden, ausgestorbene Pferderassen und das Anschreiben gegen das Artensterben.

Pferde als 17.000 Jahre alte Höhlenmalerei in Frankreich

Als die Pferde noch wild waren: Höhlenmalerei in Frankreich, über 17.000 Jahre alt Foto: Foto: agefotostock/imago

Herr Schomann, Sie schreiben in Ihrem Buch, Pferde „führen uns zu uns selbst zurück“. Wohin?

Stefan Schomann: Sie führen uns zurück zu unserer eigenen Natur. Auch wir waren einst Fernwanderwild und sind durch Savannen gestreift. Diese schweifende Lebensweise rufen Pferde in uns wach, deshalb ist es so beglückend, mit ihnen umherzuziehen.

Sie erzählen von über 30.000 Jahre alten Pferdedarstellungen in Höhlen in Frankreich und Spanien, von dem Pferdchen aus Mammutknochen aus der Vogelherdhöhle in Baden-Württemberg. Was hat die Menschen damals an wilden Pferden fasziniert?

Sie haben auch Hirsche, Wisente oder Auerochsen gezeichnet. Aber beispielsweise in Lascaux in Frankreich sind über 60 Prozent aller dargestellten Tiere Pferde. Dabei waren Pferde rares Wild, die 60 Prozent entsprechen nicht der Jagdquote. Sie waren viel schwerer zur Strecke zu bringen als Hirsche und Rentiere. Man spürt, dass die Maler oder Malerinnen ein obsessives und beinah erotisches Verhältnis zu Pferden hatten, dass sie sich mit ihnen mehr auseinandergesetzt haben als mit Nashörnern oder Mammuts …

Jahrgang 1962, ist Journalist und Autor. Sein Buch „Auf der Suche nach den wilden Pferden“ ist im Herbst bei Galiani Berlin erschienen und hat 464 Seiten.

… obwohl sie nicht auf ihnen geritten sind …

… nein, das war lange vor der Domestikation. Aber schon damals bestand eine privilegierte Beziehung zum Pferd. Die Künstler haben sich systematisch mit der Natur beschäftigt. Das heißt aber auch, sie waren schon nicht mehr völlig Teil von ihr. Die Spaltung von Mensch und Natur fing damals an. Die Natur wird dem Menschen gegenüberstellt – das ist bis heute unser Thema.

Verschwindet die Faszination für wilde Pferde mit dem Moment, in dem Menschen anfangen, sie vor Wagen zu spannen und zu reiten?

Verschwunden ist sie nicht, aber sie hat sich verändert. Während die alten Felsbilder von Wildheit und Schönheit der Tiere erzählen, glorifizieren die Menschen später die überlegene Kraft und Schnelligkeit des Pferds. Vor allem in Europa wird das Pferd zum Macht- und Herrschaftssymbol. Das zeigen die vielen Reiterstatuen, etwa der Bamberger Reiter aus dem frühen Mittelalter. Die normale Bevölkerung ist zu Fuß gegangen. Es gab immer zu wenig Pferde. Bei den Steppenvölkern war das anders, Skythen, Hunnen oder Mongolen hatten Pferde ohne Ende. Das hat ihre militärische Überlegenheit gegenüber Europa und China begründet.

Im Jahr 1967 oder 1968 hat der 13-jährige Nyamsurem Muchar an einer Wasserstelle am Nordrand der Wüste Gobi ein Wildpferd, ein Tachi, gesehen – wohl das Letzte seiner Art. Wer oder was hat die Wildpferde vernichtet?

Letztlich die Konkurrenz zu den Hauspferden. Sie konkurrierten um Wasser und Futter, außerdem waren die Wildpferde übergriffig, sie haben die zahmen Stuten entführt und die Hengste angegriffen. In Steppenländern gibt es keine Zäune oder Ställe, die Nutztiere leben in derselben Landschaft wie die Wildtiere, sie begegnen sich. Außerdem waren Wildpferde Freiwild, sie wurden gejagt. Verschwunden sind sie schließlich von West nach Ost: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts starb der Tarpan aus, das osteuropäische Wildpferd. In der zweiten Hälfte die Wildpferde in Kasachstan, Turkmenistan und Russland. In der Mongolei und in China konnten sich die Tachi gerade noch halten, weil moderne Feuerwaffen dort erst später aufkamen.

Auf der ersten und der letzten Seite Ihres Buches sind Listen ausgestorbener Tierarten abgedruckt, sie rahmen Ihr Buch ein. Was fehlt uns ohne Andentaucher, Schomburgk-Hirsch oder Falklandfuchs?

Tja, das ist die Frage: Brauchen wir Artenvielfalt? Ja, unbedingt, und die Tachi veranschaulichen das sehr gut. Sie waren in Freiheit ja schon ausgestorben und sind eher durch glückliche Umstände zurückgekehrt. Um 1900 herum hat man ein paar Fohlen gefangen. Mit 13 fortpflanzungsfähigen Exemplaren konnte man die Art erhalten und schließlich 90 Jahre später wieder auswildern. In der Mongolei und China sind sie jetzt zurück. In Kasachstan ist das nicht gelungen. Dort spüren die Menschen die Leere, die bleibt, wenn eine so große, charismatische Art aus der Steppe verschwunden ist. Gegen diese Ödnis habe ich angeschrieben.

Seit wann etwa empfinden Menschen Wildpferde als exotisch, als nicht mehr heimische Tierart?

Wildpferde waren immer Jagdwild, und Jagd bildete ein Privileg des Adels. Darum waren es vor allem einzelne Adelige, die sich für ihren Schutz starkmachten, ähnlich wie beim Auerochsen oder beim Wisent. Der polnische Graf Zamoyski zum Beispiel unterhielt die letzte Tarpanherde. Sie fiel schließlich dem napoleonischen Feldzug nach Russland zum Opfer, die Pferde wurden an die verarmten örtlichen Bauern verteilt …

… und dann waren sie weg und bald vergessen. Naturforscher wie Alexander von Humboldt oder Alfred Brehm reisten nach Mittelasien und fuhren dort quasi am Tachi vorbei. Warum sind gerade die Wissenschaftler am Wildpferd gescheitert?

Häufig lagen die vermeintlichen Amateure richtig, die wussten oft mehr und haben genauer hingesehen als die angeblichen Koryphäen. Die Lehrmeinung Mitte des 19. Jahrhunderts war, es gebe keine wilden Pferde und Kamele mehr. Deshalb mussten alle Sichtungen und Gerüchte darüber falsch sein. Da war viel akademischer Dünkel im Spiel. Umso größer war die Überraschung, als der russische Oberst Nikolai Przewalski um 1880 ein wildes Pferd entdeckte. Und das zu einer Zeit, in der man dachte, schon alle großen Tiere zu kennen.

Zur selben Zeit entstanden in Mittel- und Westeuropa Zoos, die auch Prze­walskipferde zeigten. Was waren sie für die Art – Retter oder eher Totengräber?

Liest man Berichte darüber, wie die Zoos ihre Tiere beschafften, wie sie ganze Herden niedermetzeln ließen, um an die Jungtiere zu kommen, dann ist man empört. Damit haben sie die Vernichtung der Art beschleunigt. Es ging ihnen damals vor allem um das sensationelle Ausstellungsstück, nicht darum, die Art zu erhalten. Andererseits, wenn sie diese Fohlen nicht gefangen und gerettet hätten, wäre die Art sang- und klanglos verschwunden. Insofern muss man ihnen auch dankbar sein. Auch Natur- und Artenschutz haben eine eigene Evolutionsgeschichte, die versuche ich anhand dieses Beispiels zu erzählen.

Ende des 20. Jahrhunderts haben dann eine Reihe von Privatpersonen die Rückkehr der Przewalskipferde in die Mongolei ermöglicht. Haben sich die mongolischen Nomaden über die neuen Nachbarn so sehr gefreut, wie, sagen wir mal, die Waldbauern im ­Sauerland über die Rückkehr des Wisents?

Na ja, die Beziehung ist schon auch prekär, das wird nach außen hin immer heruntergespielt. Die Tachi werden nicht gejagt, aber es gibt Konflikte, etwa um Wasser und Futter. Die Viehzüchter haben Angst, dass die Wildtiere Nutztiere mit Viren und Krankheiten anstecken, obwohl das in der Praxis fast immer umgekehrt läuft. Aber die Bevölkerung sieht auch Vorteile, die Aufmerksamkeit, die ihre entlegene Region dadurch bekommt.

Sie haben sich in Ihrem Buch „auf die Suche nach den wilden Pferden“ gemacht. Warum landet man dabei immer beim Menschen?

Man kann sicher auch spannende Bücher über Nachtfalter oder Feuersalamander schreiben. Aber Pferde sind für Autoren vorzügliche Medien, haben sie die Menschen doch seit Anbeginn der Geschichte begleitet. Der gesamte Steppenraum Eurasiens, vom Burgenland hinter Wien bis zur koreanischen Grenze, das war alles mal Wildpferdeland. Da ist noch viel Platz für spannende Projekte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.