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„Slippery Slope“, ein Musical im Maxim Gorki Theater um kulturelle Aneignung, macht vor allem Spaß. Auch wenn unsicher bleibt, wie viel Ernst in der Sache steckt

Die Handlung holpert, doch die einzelnen Auftritte sind hinreißend: „Slippery Slope“ Foto: Marcus Lieberenz

Von Katrin Bettina Müller

Wer noch keine Leiche im Keller hat, bekommt sicher eine hineingelegt. Das erfahren in „Slippery Slope“, einem excellent gesungenen und gespielten Musical am Maxim Gorki Theater so ziemlich alle: die radikalfeministische Journalistin Stanka, ihre Chefin Klara, geschätzt für ihre kühle Entscheidungsfreudigkeit, deren Mann Gustav, Pop-Interpret von nomadischer, schamanistischer, Roma- und Klezmer-Musik, und dessen musikalische Partnerin Sky, die ihn binnen Monaten in Puncto Followers und Karriere überholt hat.

Das Stück ist eine großteils in Songs geschriebene Satire auf nach Enthüllung gierende Medien, alternde Popstars und junge Tik-Tok-Aufsteigerinnen, Pornokünstlerinnen und Krisenberater. Sie alle glitzern und strahlen in dieser Inszenierung von Yael Ronen, was nicht nur an den Kostümen von Amit Epstein liegt, sondern auch an ihren Stimmen und den verführerischen Melodien, die Shlomi Shaban und Yanif Friedel für sie komponiert haben.

Zuerst gehört die Bühne Gustav (Lindy Larsson), nicht gerade sympathisch, wie er sich ans Publikum ranzuwanzen versucht mit einer Erzählung von seiner großen Liebe zu Sky, von ihm auf einem englischen Pferdemarkt entdeckt, gefördert und ausgebildet. Das ist seine Version der Geschichte. Oder, wie ihm bald Musikerinnen seiner Tournee vorwerfen, deren Kultur und Können (sie kommt aus einer Familie von Travellern) er sich angeeignet und ausgebeutet hat, um die eigene Einfallslosigkeit und den Verfall zu vertuschen.

Sky (Riah May Knight), die in Kostümen aus Kunstblumen oder Kuscheltieren auftritt, versucht diese Deutung der Geschichte von sich abzustreifen, begreift sich selbst als souverän, wenn nicht Gustav überlegen. Dass sie dem albernen Gustav keine kulturelle Aneignung und rassistische Auslegung ankreiden will, sondern sich gar noch im exotistischen Stereotyp wohlfühlt, löst einen Shitstorm aus. Hier tritt dann Stanka (Vidina Popov) auf den Plan, die das Schweigen von Klara (Anastasia Gubareva), was die Beziehung zwischen Gustav und Sky angeht, verdächtig findet. So nimmt die Suche nach Dreck am Stecken ihren Lauf, die in der Welt dieses Musicals als karrierefördernd dargestellt wird.

Die Handlung und ihre manchmal auch holprigen Volten sind das eine. Die etwas überkonstruierte Handlung kommentiert ein Klima, in dem Debatten um Machtmissbrauch in der Kultur notwendig werden und für Aufregung sorgen – auch am Gorki-Theater –, als doch von sehr unterschiedlichen Interessen hochgekocht. Einerseits macht sich die Inszenierung, auch gerade durch den Witz der Songtexte, die das Pathos und die Inbrunst, mit der sie gesungen werden, konterkarieren, über jede der Figuren lustig. Schließt damit aber andererseits nicht aus, das jede/r von ihnen zum Opfer eines Shitstorms werden kann.

Andererseits kann jede Figur zum Opfer eines Shitstorms werden

Es geht dabei auch um Eitelkeiten und den Hunger nach Aufmerksamkeit, ganz gewiss. Im Finale betteln in einem gemeinsamen Auftritt alle „Believe in me“, sie drängen sich dabei von den schrägen Brettern, die hier die Bühne bilden. Also doch nur ein Konkurrenzkampf? Oder ein Nebeneinander von Blasen mit alternativen Wahrheiten? Das ist als Bilanz der Geschichte etwas dünn und unbefriedigend.

Die einzelnen Auftritte sind hingegen so hinreißend, dass man sich gerne daran halten möchte. Zum Beispiel wenn Klara, die eben noch erklären musste, dass ihre Loyalität zu Gustav nicht auf Liebe, sondern auf Strategie beruht, ihren „Queen size bed blues“ anstimmt, über die Einsamkeit im Ehebett und verlorene Illusionen: „the king he feels abandoned/ the queen just doesn't know/ what happened to the prince she loved/ ten mattresses ago“.

Die Songzeilen sind nicht immer kongruent zum Verhalten der Charaktere im Spiel, die Musik gesteht ihnen eine Emotionalität, etwas Uneindeutiges und Zweifelndes zu, das sie sich in ihren Auftritten in der Realität nicht leisten können. Das wiederum macht die Inszenierung stark.

Wieder am 9. und 10. November und im Dezember