Rockband Kabul Dreams über Afghanistan: „Musik machen ist verboten“

Die Rockband Kabul Dreams lebt seit 2015 im US-Exil. Die Musiker halten den Kontakt zu Familie und Freun­d:in­nen in der Heimat. Zuhause ist es unerträglich.

Die afghanische Rockband Kabul Dreams bei einem Konzert am Festival "South by Southwest in Austin/Texas, 2019

Kabul Dreams 2019 bei einem Auftritt am Festival South by Southwest in Austin/Texas Foto: Katrina Lat

taz: Sulyman Qardash, Siddique Ahmed, sind Sie derzeit in Kontakt mit Freunden, Verwandten und Musikerkollegen in Afghanistan und was können Sie über deren Situation sagen?

Sulyman Qardash (SQ): Die Situation ist unerträglich. Viele Leute bleiben aus Angst zu Hause, besonders Frauen. Verwandte von mir haben auf mittlerer Ebene für die Regierung gearbeitet. Nun bekommen sie keinen Lohn mehr. Die Banken zahlen aktuell umgerechnet 170 Euro pro Woche aus, es gibt kein Kreditkartensystem wie im Westen, nur Bargeld. Und das ist knapp. Wie es die Taliban mit der Meinungsfreiheit und der freien Presse halten, ist ja bekannt.

Siddique Ahmed (SIA): Frauen, die bis zur Machtübernahme gearbeitet haben, können das nun nicht mehr tun. Nach 40 Kriegs- und Konfliktjahren leben in Afghanistan ohnehin viele Witwen. Ihnen bleibt nun nichts zum Leben – nicht für sich selbst, nicht für ihre Kinder. Künst­le­r:in­nen haben ebenfalls nichts mehr, um ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien zu bestreiten. Und das Schlimmste ist: Es gibt auch keinerlei Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Die Taliban sind dabei, Musik erneut zu verbieten. Sie zerstören und verbrennen offenbar Instrumente.

Siddique: Sie haben öffentlich erklärt, dass Musikmachen verboten ist, und sie haben auch öffentlich gesagt, dass Musiker andere Dinge tun sollen, um Geld zu verdienen. Wer mit Musik seinen Lebensunterhalt bestritten hat, dem bleibt nichts anderes übrig. Viele Hochzeitssänger haben keinerlei Einkünfte mehr, um ihre Familien zu unterstützen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es wieder so sein wird wie in den 1990er Jahren, als schon einmal Musikhören verboten war.

Sulyman Qardash, Anfang 30, ist Sänger und Gitarrist von Kabul Dreams. Er lebt in Fremont/Kalifornien.

Siddique Ahmed, 40, ist Bassist von Kabul Dreams. Er lebt in San Francisco.

Kabul Dreams: Gründete sich 2008 in Kabul, spielte häufig in Afghanistan und tourte auch durch Europa und die USA. 2014 flohen die Musiker in die USA. Kabul Dreams haben zwei Alben veröffentlicht. Zuletzt erschienen: „With Love from Kabul Dreams“ EP (2019), soundcloud.com/kabul­dreams

Neben Qardash und Ahmed spielt Drummer Jai Dhar bei Kabul Dreams; er nahm nicht am Interview teil. Das Gespräch mit Sänger und Gitarrist Sulyman Qardash und Bassist Siddique Ahmed fand vor Kurzem via Zoom statt.

Zuletzt war zu hören, dass Mitglieder des Afghanistan National Institute of Music (Anim) fliehen konnten.

Siddique: Ungefähr 100 Personen ist die Flucht gelungen. Ich stehe aber auch mit Schü­le­r:in­nen in Kontakt, die vor Ort ausharren müssen. Nachwievor arbeite ich ehrenamtlich für das Anim und zeige Jugendlichen in Videochats, wie man Musik aufnimmt und produziert.

Im August hat Ihre Band den Song „Sadae Man“ gepostet. In ihm geht es darum, wie wichtig es ist, dass die afghanische Jugend aufbegehrt und mit einer Stimme spricht. Können junge Afghanen zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt etwas tun?

Sulyman: Es wäre vermessen, ihnen von hier aus zu sagen, was sie tun sollen. Das Einzige, was man sagen kann: Seid vorsichtig. Schützt euer Leben und das eurer Lieben, wenn eure Stimme in Zukunft gehört werden soll.

Sie haben kürzlich auch den Song „Butcher of the City“ veröffentlicht – bezieht der sich direkt auf die Machtübernahme der Taliban?

Sulyman: Ich habe den Song schon 2018 komponiert, aber wir haben ihn nie aufgenommen. Jetzt haben wir ihn als Live-Version eingespielt. Den Text schrieb ich, nachdem Gulbuddin Hekmatjar nach Kabul zurückkehrte. Das war ein Schock für uns. Sein Spitzname ist „Der Schlächter der Stadt“, weil er so viele Menschen getötet hat (Anm.: Hekmatjar war von 1993 bis 1994 Premierminister, er ließ Kabul beschießen und tötete Tausende Zivilisten, später war er Al-Qaida-Anhänger. 2017 kehrte er nach Kabul zurück und wurde von Präsident Aschraf Ghani hofiert. Hekmatjar konnte 2019 bei der Präsidentschaftswahl antreten). Das Traurige ist: Der Songtext bildet auch das ab, was zuletzt passiert ist. Je nachdem, wen man in den Figuren sieht.

Ihre Familien sind beide vor dem Taliban-Regime in den Neunzigern geflohen, Sie sind als Flüchtlinge in Usbekistan und Pakistan aufgewachsen. Nach der Rückkehr gründeten Sie 2008 in Kabul Ihre Band. Wie war es als Rockband in Afghanistan?

Siddique: Wir kehrten aus verschiedenen Ländern zurück nach Afghanistan. Ich aus Pakistan, Sulyman aus Usbekistan, Ex-Drummer Mojtaba Habibi Shandiz aus dem Iran. Wir brachten alle etwas mit, hatten Instrumente gelernt, waren zur Schule gegangen – welch ein Glück. Nicht alle Flüchtlinge haben diese Chance. Als wir zurückkamen, wollten wir Rock für unsere eigenen Leute spielen. Anfangs ging es eher um grundlegende Dinge, wie die schwierige Stromversorgung. Wir haben oft geprobt und wollten sichergehen, dass wir als Musiker gut sind. Natürlich mussten wir alles selbst machen, wir haben die Songs aufgenommen und sie gemischt.

Gründeten sich noch andere Bands?

Sulyman: Ja, es gab mehrere Bands, die ähnlich wie wir Musik gespielt haben.

Sie haben manchmal auf öffentlichen Plätzen gespielt. Dann begannen die Taliban damit, Sie einzuschüchtern. Auf welche Weise wurden Sie bedroht?

Sulyman: Zunächst muss man zwischen den negativen Reaktionen der Menschen und der Bedrohung durch die Taliban differenzieren. Einige Leute kamen irritiert zu uns und fragten uns, was wir da machen. So ähnlich muss es gewesen sein, als Elvis Presley anfing, mit den Hüften zu schwingen, und evangelikale Christen glaubten, Dämonen hätten von ihm Besitz ergriffen. Die Taliban haben uns dagegen erst den Strom abgedreht; und zwar deshalb, weil Jungen und Mädchen zusammen im Publikum waren. Wir dachten zunächst, die Stromversorgung sei unterbrochen, wie es gelegentlich in Kabul vorkommt. Dann kamen Konzertveranstalter zu uns und sagten, das Konzert sei vorzeitig beendet. Als wir im Auto saßen, tauchten Leute auf und sagten: „Wir wissen, was ihr tut, hört damit auf! Versteht das als Warnung!“ Solche Vorfälle gab es öfter. Als Band trägt man nicht nur für sich selbst, sondern auch für sein Publikum große Verantwortung. Es gab damals ja Kulturorte in Kabul, an denen sich Ex­plo­sionen ereigneten und Menschen getötet wurden. Bomben und Selbstmordattentate waren an der Tagesordnung. Das ist der traurige Alltag in Kabul.

Bands wie Oasis hätten Sie geprägt, heißt es. Mir kommt auch die US-Band Placebo in den Sinn. Welche Haltung hat Ihnen deren Musik vermittelt?

Sulyman: …der Typ hinter Ihnen hat auch viel verändert (er zeigt auf ein Bowie-Plakat, das im Hintergrund zu sehen ist). Bei David Bowie waren die Personas und Alter Egos prägend, die er geschaffen hat. Musikalisch hat er uns vielleicht nicht so stark geprägt, aber er sagte: Sei, was immer du sein willst. Oasis hatten großen Einfluss auf uns, weil sie so positive und simple Songs komponiert haben. Noel Gal­la­gher ist für mich einer der größten Komponisten aller Zeiten. Placebo dagegen haben gesellschaftliche und soziale Probleme angesprochen, die Songs waren schnell und aggressiv. Diese Musik war ein Zufluchtsort für mich. Diese Bands zeigten einem auch, was man zu dritt für Krach machen kann! Ihre Message war: Du kannst das auch.

Welche Musik ist in Usbekistan und Pakistan, wo Sie als Jugendliche lebten, populär?

Sulyman: In Usbekistan geht es sehr restriktiv zu, wenn es darum geht, politische Meinungen zu äußern – zur Musik hatte ich aber immer freien Zugang. So konnte ich auch eine Musikschule besuchen und Instrumente lernen. Das war ermutigend. Musik ist eigentlich auch in der afghanischen Kultur ­omnipräsent. Als das Taliban-Regime Anfang der nuller Jahre zusammengebrochen war, sah man als Erstes tanzende Leute auf den Straßen. Danach gab es viele Fortschritte, zum Beispiel etablierten sich ­Fernsehsendungen à la „Deutschland sucht den Superstar“. Jetzt wird alles abgeschaltet, was die Menschen mögen.

Konnten Sie in den USA seit Beginn der Pandemie Konzerte spielen?

Sulyman: Nein. Wir warten noch bis März 2022. Wir wollen, dass unsere Konzerte in einem sicheren Rahmen stattfinden.

Sind auch Europakonzerte geplant?

Siddique: … wenn Sie uns einladen, ja! In Deutschland würden wir gerne touren, das ist das Land, aus dem wir die meisten Mitteilungen auf Social Media bekommen. Irgendwann klappt es bestimmt.

Wird es denn bald ein neues Album geben?

Siddique: Wir arbeiten an neuen Songs. Ob ein Album daraus wird – wir werden sehen. Auf Farsi zu texten ist für uns eine Herausforderung, denn Suleyman schreibt die Texte, und Farsi ist nicht seine Muttersprache. Deshalb haben wir viele Songs mit englischen Texten. Wir arbeiten mit befreundeten Lyrikern, um Texte auf Farsi verfassen zu können.

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