Die Spaltung der Linken: Widerstand in Arbeitsteilung

Die Linke spaltet sich gerne selbst, lautet ein Klischee. Doch gerade in der Vielfalt der Meinungen steckt Potenzial für einen besseren Widerstand.

Eine protestierende Menschenmenge

Eine rechnet, eine boxt, einer schießt Spinnweben: Demo gegen Rassismus und Polizeigewalt in Berlin Foto: Eventpress Porikys/imago images

Gerade ist es wieder naheliegend zu behaupten, die gesellschaftliche Linke zerlege sich selbst. Wir werfen einander vor, unsolidarisch zu sein, oder wir zerbrechen angeblich an Genderstern-Konflikten. Sowieso hatten wir es nie leicht, uns haben erst die Sozialdemokraten verraten, jetzt die Grünen und die Linke, oje, wer ist das noch mal?

Immer, wenn sich Linke öffentlich streiten, findet sich zuverlässig ein Chor, der „ganz nüchtern“ die große Spaltung diagnostiziert. Wenn man Schü­le­r:in­nen oft genug sagt, dass sie den Abschluss nicht schaffen, ist es wahrscheinlicher, dass sie den Abschluss nicht schaffen – nicht aus Mangel an Können, sondern weil niemand an sie glaubt. Wenn man oft genug hört, dass man gespalten ist, übersieht man dann leichter, dass nicht jeder Dehnungsstreifen ein Graben sein muss?

Im Kampf gegen das Böse tun sich in vielen Geschichten Menschen mit verschiedenen Stärken zusammen: Eine rechnet, eine boxt, einer schießt Spinnweben, ein anderer hat absurd viel Hoffnung. Gewinnen können sie nur gemeinsam.

Klingt kitschig, ist aber Arbeitsteilung. Vielfältiger Widerstand kann der stabilste Widerstand sein, weil er mit vielen Mitteln an vielen Stellen wirkt – multiple streams of resistance, sozusagen.

Es geht auch ohne „Wir“

Voraussetzung dafür ist keine harmonische Community. Es braucht kein „Wir“ in allen Belangen, vermutlich braucht vielfältiger Widerstand zunächst nur drei Dinge. Dass er sich selbst und die eigene Stärke erkennt. Dass er die ihm eigenen Ungerechtigkeiten nicht ignoriert. Und dass er die gemeinsame Aufgabe nicht vergisst.

Es ist nötig, dass jemand schreit vor Wut. Dass jemand schreibt vor Sprachlosigkeit, Pause macht vor Erschöpfung, Respekt verliert vor Entsetzen. Dass jemand einen Zweifel ausbreitet und jemand anderes direkt daneben eine Gewissheit. Es ist nötig, diese Vielfalt nicht zu delegitimieren, indem man behauptet, nur der eigene Weg sei richtig.

Wahr ist auch, dass sich nicht je­de:r eine Aufgabe aussuchen kann. Jemand will schreiben, aber es heißt, „da haben wir schon zwei“. Oder zweifeln, aber dann nicht ernst genommen wird. Und vielleicht will jemand schreien, aber wird schon fürs Flüstern bedroht.

Vielfältiger Widerstand vereint

Diese Ungleichheiten sind nicht hinnehmbar, wenn man das gute Leben für alle will. Ihretwegen muss gestritten und verhandelt werden, auch mit sich selbst, immer. Das ist keine Schwäche, solange der vielfältige Widerstand zusammensteht, wenn er muss: Wenn der Faschismus sich im Wohnzimmer breitmacht oder einen Messestand aufbaut.

Wenn es wieder heißt, Menschenverachtung sei von Meinungsfreiheit gedeckt. Dann müssen mit allen Mitteln Löcher gestopft und Einfallstore geschlossen werden. Dann muss es ein Wir geben, das sich zumindest in dieser Sache einig ist. Und das wachsam bleibt für den Dreck, der schon in den eigenen Tapeten hängt.

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Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Ihr erster Roman 'Wovon wir träumen' erschien 2022 bei Piper. Zuletzt wurden ihre Kurzgeschichten in Das Wetter Buch für Text und Musik und Delfi Zeitschrift für Neue Literatur veröffentlicht.

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