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Das Bild, das bleibt

Die kosmetische Konservierung Verstorbener, auch Einbalsamierung genannt, kann auch hierzulande durchgeführt werden. Sie macht den für viele wichtigen Abschied auch mit etwas Verspätung möglich

Von Friederike Grabitz

Margot Krämer* erfuhr am Telefon, dass ihre Mutter im Sterben lag. Sie hatte keine Chance, sie noch einmal zu sehen: Die junge Frau arbeitet in Schweden, wegen der Corona-Bestimmungen war ein letzter Besuch im Krankenhaus nicht möglich, die Bestattung musste um einige Wochen verschoben werden. Nun wollte sie ihre verstorbene Mutter wenigstens noch einmal sehen, um ihren Tod zu verarbeiten.

Nach dem deutschen Gesetz müssen Menschen aber spätestens zehn Tage nach dem Tod bestattet werden. Also kontaktierte Krämer das Gesundheitsamt und bekam dort eine Sondergenehmigung und einen Aufschub. Um sich von ihrer Mutter verabschieden zu können, beauftragte sie Sören Hansen vom Bestattungshaus Lociks in Pansdorf bei Lübeck, die Verstorbene kosmetisch zu konservieren.

130 Bestatter bieten in Deutschland die kosmetische Konservierung, auch Einbalsamierung genannt, an. Sie behandeln die Körper Verstorbener so, dass sie über den natürlichen Verfall hinaus erhalten bleiben, zum Beispiel für eine Aufbahrung.

Der Aufbahrungsraum des Bestattungsinstituts ist lichtdurchflutet, am Fenster stehen Blumen und zwei Engel-Statuen, dahinter explodiert das Grün des Waldes, der an das Gelände grenzt. „Zwei Drittel unserer Kunden wollen ihre Verstorbenen noch einmal sehen“, erzählt Inhaber Kai Lociks. Das sei wichtig, um zu verstehen, dass die Person wirklich verstorben sei. Und „die Bilder, die im Kopf entstehen, sind oft viel schlimmer als das, was man dann sieht.“

Die Vorbereitung Verstorbener auf eine solche Aufbahrung ist für seinen Mitarbeiter Sören Hansen Alltag. In einer „kosmetischen Behandlung“ wäscht er sie, versorgt eventuelle Wunden und Spuren von Medikamenten und kleidet sie frisch ein. Viele Menschen, sagt er, wirken nach dem Tod friedlicher als im Krankenhausbett, wo sie oft Schmerzen haben. „Als mein Vater starb, durfte ich ihn danach nicht noch einmal sehen“, erzählt er. „Ich sollte ihn lebendig in Erinnerung behalten. Deshalb habe ich ihn ausgemergelt und mit offenem Mund in Erinnerung. Es wäre gut gewesen, anders Abschied zu nehmen, denn das letzte Bild bleibt.“

Weil viele Angehörige, wie Margot Krämer, nicht die Möglichkeit haben, schnell zu einer Beerdigung anzureisen, wenn sie zum Beispiel zuerst in Quarantäne müssen, sind Einbalsamierungen in der Corona-Zeit beliebter als sonst. Bei Überführungen in andere Länder sind sie sogar gesetzlich vorgeschrieben.

Die Behandlung ist aufwendig: Neben der kosmetischen Behandlung tauscht Hansen die Körperflüssigkeiten der Verstorbenen mit einem Dialyse-Gerät komplett aus. Er führt eine Lösung aus Wasser, Formaldehyd und anderen Stoffen in Arterien und Venen ein. Welche Stoffe das sind, muss er individuell entscheiden. Bei Gelbsucht zum Beispiel nutzt er Alternativen, weil der Körper bei Kontakt mit Formaldehyd grün werden würde. Ist der Körper stark ausgetrocknet, gibt er spezielle Fette in die Mischung.Manchmal arbeitet er mehrere Stunden an einem Verstorbenen, „Das kann man sich nicht bezahlen lassen“, sagt er.

400 bis 600 Euro kostet das Verfahren die Hinterbliebenen. Er hat beim Verein Deutscher Thanatologen (VDT) eine einjährige Zusatzausbildung absolviert, zu der medizinische und chemische Module und Praktika mit insgesamt 80 Einbalsamierungen gehören.

Die Konservierung Verstorbener hat eine Tradition bis ins alte Ägypten, wo Adlige und Könige mumifiziert wurden. In der Form, die wir heute nutzen, geht sie zurück auf Napoleon, der die Ansage machte, dass alle in seinen Feldzügen Gefallenen zurück in die Heimat gebracht werden sollten. „Damals wurden sie oft mit giftigen Stoffen wie Arsen behandelt, weil es noch kein Formaldehyd gab“, sagt Hansen.

Auch heute ist die Einbalsamierung nicht wirklich umweltschonend, denn Formaldehyd ist ein flüssiges Gas. Nach einer Erdbestattung oder bei der Verbrennung verflüchtigt es sich zwar schnell, muss aber sehr sorgsam eingesetzt werden. Deshalb arbeitet Hansen bei einer Balsamierung mit Schutzkleidung, einer Gasmaske und offenem Fenster. Und es „ist ein Eingriff in den Körper, der sich nicht rückgängig machen lässt“, sagt Lociks.

Deshalb bewirbt er die Einbalsamierung nicht als Standard, sondern lässt sie nur in besonderen Fällen durchführen. Unter 400 Sterbefällen, die er 2021 begleitet hat, waren vier bis fünf kosmetische Konservierungen. In einigen Ländern gehört die Behandlung dagegen zum Standard, etwa in Großbritannien. In Frankreich gibt es dafür einen eigenen Ausbildungsberuf, und in den USA werden fast alle Verstorbenen aufgebahrt, konserviert und viel stärker kosmetisch behandelt als bei uns: Dort würden „Puppen aus ihnen gemacht, Wunden weggeschminkt, Spuren einer Krankheit kaschiert“, sagt Lociks. „Wir machen dagegen nur, was absolut nötig ist.“ Nach einem Verkehrsunfall reinigen sie die Wunden, überschminken sie aber nicht. Die Verstorbenen müssen nicht aussehen wie Schlafende.

Hansens Arbeitsort ist zwar steril, aber nicht unpersönlich. Er spricht mit den Verstorbenen wie mit Patienten, sagt ihnen, was er gerade tut. Seine Schutzkleidung hängt auf einem Schulskelett, das bei den Mitarbeitern als „Hermann“ bekannt ist. Es erinnert ihn an die eigene Sterblichkeit. „Wenn man in diesem Bereich arbeitet, wird man entspannter im Umgang mit dem Tod“ sagt Jan Lociks.

* Name geändert

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