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Bremen hält Afghanen weiter hin

In Bremen streitet Rot-Grün-Rot um ein Landesaufnahmeprogramm für afghanische Geflüchtete. Der SPD-Innensenator schiebt die Verantwortung auf den Bund

Von Jan Zier

4.300 Menschen fordern in einer Petition ein Landesaufnahmeprogramm für Geflüchtete aus Afghanistan von der rot-grün-roten Bremer Landesregierung. Gestern wurde sie an Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) übergeben. Doch während der Flüchtlingsrat, die Linke und auch die Grünen sich für ein solches Programm einsetzen, sprach sich Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) in der Vergangenheit klar dagegen aus: „Ein solches Programm wäre nur für die Galerie, es hätte keinerlei Auswirkungen“, sagte er in einem Interview mit dem Weser-Kurier.

Der scheidende Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat solche Landesaufnahmeprogramme bisher verhindert – so konnte eine entsprechende Initiative aus Thüringen nicht umgesetzt werden. Auch die Innenbehörde in Bremen verweist darauf, dass der Bund wiederholt einem Bundes- wie auch Landesaufnahmeprogrammen für Af­gha­n*in­nen eine Absage erteilt habe. In Schleswig-Holstein hatte die Landesregierung gleichwohl im August ein solches beschlossen. Das Bundesinnenministerium muss die Initiativen jeweils aktiv unterstützen, sonst kann das Land niemanden aufnehmen.

„Die Bremer Regierung hat die rechtliche Kompetenz, den Angehörigen von afghanischen Bre­me­r*in­nen Schutz zu gewähren“, sagt Nazanin Ghafouri vom Flüchtlingsrat Bremen. Der Senat nutze seine Möglichkeiten aber nicht – mit „fadenscheinigen Begründungen“. Die solidarische Aufnahme von Afghan*innen, die in Nachbarstaaten fliehen konnten, und die Erteilung sicherer Aufenthaltstitel für alle hier lebenden Af­gha­n*in­nen sei „rechtlich möglich und politisch nötig“, so der Flüchtlingsrat.

In Bremen leben derzeit 3.814 Af­gha­n*in­nen, weniger als 100 von ihnen haben laut Innenressort einen ungesicherten Duldungsstatus. 1.575 bekamen Asyl gewährt. Sie können ihre Ehe­part­ne­r*in­nen oder Kinder nachholen. Erwachsene Kinder, Geschwister oder Eltern sind ausgeschlossen vom Familiennachzug.

Ein Landesaufnahmeprogramm könnte das ändern. Dem Flüchtlingsrat geht es nicht nur um volljährige Familienangehörige, sondern auch um Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, Journalist*innen, Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t*in­nen oder queere Menschen. Außerdem fordert der Flüchtlingsrat einen Abschiebestopp und ein Bleiberecht für alle hier lebenden Afghan*innen.

„Auf Initiative Bremens“, wie der Bremer Senat sagt, gab es zuletzt „einen Appell“ der Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder, verwaiste und unbegleitete Minderjährige bei der Aufnahme „vorrangig zu berücksichtigen“. Mehr als eine eindringliche Bitte an Seehofer war das erst mal nicht.

Viele Af­gha­n*in­nen haben große Angst um ihre Familie – aber kein Recht auf Familiennachzug

Die zuständige Senatorin Anja Stahmann (Grüne) sprach gleichwohl von einem „wichtigen Signal“. „Wir müssen alles Mögliche unternehmen“, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Mustafa Öztürk – aber ohne die Unterstützung des Bundes geht es seiner Auffassung nach nicht. „Sonst verlaufen die Anträge im Nichts.“ Öztürk will aber nicht warten, bis es einen neuen Bundesinnenminister gibt.

Die Linke verweist auf Landesaufnahmeprogramme für die Angehörigen syrischer Geflüchteter. Insgesamt seien so 26.108 Menschen aufgenommen worden, 315 in Bremen. Etwas Vergleichbares für Afghan*in­nen sei „überfällig“, sagt die Vorsitzende der Linksfraktion, Sofia Leonidakis: „Viele Bremer Af­gha­n*in­nen haben sich verzweifelt an uns gewandt.“ Sie hätten große Angst um ihre Angehörigen in Afghanistan – aber oft kein Recht auf Familiennachzug.

Es gebe „sehr wohl Überlegungen“ für ein Landesaufnahmeprogramm, heißt es jetzt aus der Bremer Innenbehörde. Wegen der Widerstände aus Berlin seien „die Realisierungschancen derzeit völlig offen“.

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