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Betriebsräte könnenan die Uni gehen

Die Aufgaben von Arbeitnehmer-Vertretern werden komplexer. Deshalb bietet die Uni Bremen den Master-Studiengang „Arbeit-Beratung-Organisation“ an. Abitur ist nicht nötig

Von Joachim Göres

Michael Adebar ist Betriebsratsvorsitzender des „Leibniz-Instituts für Werkstofforientierte Technologie“ in Bremen. Von seiner Tätigkeit als Baustoffprüfer ist er freigestellt, um sich hauptamtlich um die Belange der mehr als 200 Beschäftigten zu kümmern. Dazu gehören etwa die Ausarbeitung einer Vereinbarung zum mobilen Arbeiten oder die Schaffung besserer Bedingungen für die Forscher, die oft nur befristet angestellt sind. Mit solchen Dingen hat Adebar, der einst eine Ausbildung und dann das Fachabitur machte, gut zu tun.

Aber dann hörte der 40-Jährige davon, dass die Universität Bremen seit 2019 ein in Deutschland einmaliges Master-Studium anbietet: Betriebsräte, Personalräte, Mitarbeitervertretungen, Schwerbehinderten- und Gleichstellungsbeauftragte können in Bremen „Arbeit-Beratung-Organisation“ vier Jahre lang studieren, und zwar berufsbegleitend, also neben ihrer Arbeit als Betriebsrat.

Im ersten Studienjahr ging es bei Adebar und seinen Kommilitonen um die „Theorie und Praxis bei der Beratung von Individuen und Gruppen“. Im zweiten Studienjahr lag der Schwerpunkt auf Fragen der Personal- und Organisationsentwicklung. Seit vergangenem Monat beschäftigt sich die mittlerweile auf 14 Studierende angewachsene Gruppe mit „Arbeits- und Technikgestaltung“ und der Beteiligung daran. Hier wird nun im dritten Studienjahr zum Beispiel thematisiert, wie man Bedenken der Beschäftigten bei der Veränderung der Arbeitswelt aufnimmt.

„Man hat im Studium mit völlig neuen Themen und vielen theoretischen Texten zu tun. Das ist herausfordernd, aber bewältigbar, denn es macht mir ja Spaß“, sagt Michael Adebar und fügt hinzu: „Ich lerne abends nach der Arbeit und an den Wochenenden. Das muss man mit seinem Partner oder seiner Familie vorab besprechen.“

Für den Master sind mindestens 55 Präsenztage vorgesehen, alle ein bis zwei Wochen trifft man sich zudem in kleinen Lerngruppen.

Zum zweiten Studienjahr gehört auch die Analyse eines Praxis-Projekts. Sandra Werner, Betriebsrätin der Bremer Straßenbahn AG, hat dafür ein Konzept unter die Lupe genommen, das sie selbst mitentwickelt hat. Dabei geht es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei der Fahrzeugreinigung. Körperlich anstrengende Tätigkeiten wurden von der Nacht auf den Tag verlegt und durch den Einsatz von Hilfsmitteln reduziert. Zudem wurden gesündere Reinigungsmittel eingesetzt.

„Wir haben zwei Jahre bei der Geschäftsleitung dafür gekämpft. Bei der Umsetzung sind wir zunächst bei vielen Beschäftigten auf Abwehr gestoßen, die bisher oft die Erfahrung gemacht hatten, dass Veränderungen für sie zu Verschlechterungen führen“, sagt die 53-Jährige. „Mit einem Pilotprojekt konnten wir sie dann überzeugen.“

Dieses Projekt ist für die ausgebildete Straßenbahnfahrerin ein Beispiel dafür, dass Betriebsratsarbeit heute viel mehr ist als das Reagieren auf Schritte der Unternehmensleitung: „Als Betriebsrat sind wir immer mehr bei der Mitgestaltung gefordert: Wir müssen selbst Vorschläge machen, die Hand und Fuß haben, Konzepte schreiben und darin mit entsprechenden Belegen das Für und Wider darlegen.“

„Wir müssen selbst Vorschläge machen, die Hand und Fuß haben und das Für und Wider darlegen“

Sandra Werner, Betriebsrätin

Für Simone Hocke ist klar, dass diese komplexer werdende Arbeit umso erfolgreicher sein kann, je mehr Betriebsräte ihr Handeln auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen. Die Erziehungswissenschaftlerin hat am Zentrum für Arbeit und Politik der Uni Bremen den Studiengang konzipiert und dabei durchgesetzt, dass weder ein Bachelor-Abschluss noch das Abitur Voraussetzung zur Zulassung sind. Entscheidend ist für Hocke, dass Bewerber Erfahrung beim Vorbereiten und Leiten von Sitzungen, beim Verhandeln mit Arbeitgebern, bei der Entwicklung von Konzepten und ihrer Umsetzung in die Praxis haben.

„Betriebsräte erwerben viele Kompetenzen, die aber nirgendwo dokumentiert werden. Nach dem Ausscheiden aus dem Betriebsrat geht die Mehrheit an die alte Arbeitsstelle zurück und ist überqualifiziert und oft auch unglücklich“, sagt Hocke. „Mit dem Studium können sie ihre neu erworbenen Fähigkeiten nachweisen und ihre Chancen auf eine qualifizierte Stelle erhöhen.“

Nach den jeweils ein Jahr dauernden Studienbereichen „Arbeitsbezogene Beratung“, „Partizipative Personal- und Organisationsentwicklung“ sowie „Arbeits-/Technikgestaltung und Beteiligung“ kann man die Master-Arbeit schreiben. Oder man studiert nur ein oder zwei Bereiche und beendet sie mit einem Zertifikatsabschluss. Das komplette Master-Studium kostet 19.200 Euro, für ein Studienjahr mit Zertifikat zahlt man 5.600 Euro. Die Kosten übernehmen meistens die Arbeitgeber.

Am 23. November um 17 Uhr gibt es eine Online-Infoveranstaltung zum Studienprogramm. Der Zugangslink ist erhältlich bei s.hocke@uni-bremen.de.

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