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Star Wars oderdie Reinheit der Form

Das Bremer Gerhard-Marcks-Haus feiert seinen Geburtstag nicht. Macht aber nichts: Stattdessen gibt das Bildhauermuseum mit seinem aktuellen Ausstellungspaket dann eben eher zufällig einen so stimmigen wie repräsentativen Einblick in sein Tun

Von Jan-Paul Koopmann

Mag ja sein, dass der 50. Geburtstag ein spitzenmäßiger Anlass für eine große Retrospektive und allerlei Tamtam im Bremer Gerhard-Marcks-Haus gewesen wäre. Den hausheiligen Bildhauer und Grafiker hätte man würdigen können, die bewegte Geschichte des Hauses erzählen – oder den Stand der zeitgenössischen Bildhauerei mitsamt der hauseigenen Verdienste selbstbewusst referieren. Allein: Man lässt es bleiben. Weil Coronafeiern so traurige wie schwer zu stemmende Feste sind – so heißt es – und vielleicht auch ein bisschen, weil’s auch gar nicht nottut. Das Museum hatte schließlich gerade erst seinen spektakulären Umbau zu feiern. Und das mit dem Marcks-Aufpolieren erledigen in Bremen ohnehin die Heerscharen von Tourist:innen, die den Marcks’schen Stadtmusikanten am Rathaus die Füße reiben – weil’s Glück bringen und das obligatorische Urlaubsfoto stiften soll.

Keine Feier also, dafür ein Ausstellungsprogramm, das dennoch mit programmatischer Wucht und charmanter Rotzigkeit daherkommt: Unter dem Titel „Bildhauerei! Was sonst?“ sind derzeit Arbeiten des niederländischen Bildhauers Ruud Kuijer zu sehen. Entschieden wirkt dieser Auftritt bereits im Foyer: Ein Ungetüm aus Eisen, Holz und Beton steht dort und steckt seine Streben zur Decke und in Richtung der folgenden Räume aus. Die Skulptur ist „das Maximum dessen, was hier reinpasst“, sagt Direktor Arie Hartog. Und tatsächlich steht die Arbeit nicht nur ihrer Größe wegen recht passgenau für das, was den hiesigen Ausstellungsbetrieb über die vergangenen Jahrzehnte auszeichnet. Die „Komposition im Raum“ nennt Hartog das, „reduziert auf das Wesentliche der Bildhauerei“.

Ein bisschen lustig ist das, weil sich nun über kaum etwas so produktiv streiten ließe wie über das Wesen der Kunst. Auch Ruud Kuijers scheinbar so selbstverständliches Arbeiten war in den 1980er-Jahren zunächst ein Abschied vom Postmodernismus und dem bis zum Bersten mit Bedeutungsebenen beladenen Material. Doch schien damals gerade die endlose Verweiserei als Sinn und Zweck der ganzen Sache, bleiben Kuijers Holzbalken, Metallstreben, -zylinder und Betonplatten hier vor allem: Form, Masse, Physik.

Die Grundregeln ihres Miteinanders lauten: stehen, liegen, lehnen und hängen. Das mag harmlos klingen, macht beim Zuschauen aber doch einigermaßen hibbelig. Weil die Bestandteile der monumentalen Skulptur zwar in sich und aneinander ruhen – es aber trotzdem scheint, als wäre der Moment ihres Auseinanderfallens nur aufgeschoben. Diese Kräfte hat auch Kuijer für sich arbeiten lassen. Bereits die einzelnen Elemente sind nicht passgenau geschnitten oder industriell gefertigt, sondern haben erst durch Hitze und Eigengewicht zu ihrer gegenwärtigen Form gefunden.

Die Arbeiten sind weder chronologisch noch nach Werkgruppen sortiert. Sie haben auch keine Sockel, sondern scheinen ihre Plätze frei im Raum gefunden zu haben. Dabei finden sich immer wieder auch überraschend vertraute Formen: Verpackungsmaterial wie Joghurtbecher etwa, die Kuijer mit Beton ausgegossen und in seine Skulpturen integriert hat. Aber auch wo die Abstraktion an ihre Grenzen kommt, bleiben die Arbeiten in Sachen Deutung weiter offen. Gut möglich, dass hier wer über die Vergänglichkeit unvergänglichen Plastikmülls ins Grübeln kommt – eine engagierte Ökobotschaft steckt aber nicht dahinter.

Eine verblüffend ähnliche Wirkung erzeugt auch die flankierende Ausstellung von Patricia Lambertus im Pavillon nebenan – obwohl sie auf den ersten Blick nicht das Geringste mit Kuijers Skulpturen zu schaffen hat. Lambertus arbeitet mit Bildern im Raum, kollagierten Panoramen: Landschaftsansichten auf Tapeten, mit denen sie ihre Ausstellungsräume so auskleidet, dass betretbare Szenarien entstehen. Fast immer sind die mit phantastischen, religiösen und popkulturellen Gestalten gespickt.

Ihre aktuelle Arbeit „zweijahrtausendfern“ verwandelt das kleine Nebengebäude des Museums nun ins untergehende Pompeji. Zutaten aus klassischer Malerei und Videospielgrafiken verdichten sich zu einem irritierenden Raumbild aus teils täuschend echten, dann wieder surreal verfremdeten Perspektiven.

War es bereits schwierig, angesichts Kuijers pausierten Einsturzes im Foyer zur Ruhe zu kommen, ist es hier nahezu unmöglich – nur dass es jetzt auf der Bedeutungsebene wabert. Wie vom Feldherrenhügel blickt ein ins Bild montierter Star-Wars-Cosplayer zum Vulkanausbruch in der aufgemalten Weite und verliert sich: antike Katastrophen, neuzeitliche Kunst, eine faschistische Renaissance – Affirmation und Kritik und ihre Auflösung in kulturindustriell aufgehübschten Spielwelten … Sortieren lässt sich das nicht, gerade weil alles so beklemmend stimmig ineinandergreift. Selbst die Steckdosen an der Wand, mit denen sich fast jede Pavillonausstellung herumschlagen muss, hat Lambertus integriert – neben die echten hat sie noch weitere auf ihre Tapete gedruckt.

Auch hier stiften die vertrauten Motive aus Medienkonsum und Kunstgeschichte Anlass zum Grübeln – auch hier wehren sie sich mit Händen und Füßen gegen Deutung oder Botschaft. Man könnte behaupten, da hätte wer einen wirklich eleganten Bogen gespannt zwischen beiden Ausstellungen – von Form zu Inhalt zu Publikum und wieder zurück. Nur wäre das auch nicht wahrer als die Geschichte von der so passgenauen Jubiläumsausstellung, die ja eigentlich gar keine ist. All das ist schlichtweg Zufall – oder aber die ganz natürliche Folge eines seit 50 Jahren kontinuierlich an den jeweils drängenden Fragen der Zeit organisierten Ausstellungsbetriebs.

Ruud Kuijer: „Bildhauerei! Was sonst?“ und Patricia Lambertus: “zweijahrtausendfern“, noch bis 24. 10., Gerhard-Marcks-Haus, Bremen

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