Wissenschaftlerin über Vorbilder: „Klasse spielt eine große Rolle“

Frauen können viel von historischen Vorbildern lernen, sagt die Neurowissenschaftlerin Radwa Khalil – zum Beispiel im antiken Ägypten.

Zwei Mädchen machen Seifenblasen

Kinder brauchen Vorbilder: Zwei Mädchen in Ägypten machen Seifenblasen Foto: Sayed Hassan/dpa

Frau Khalil, wieso ist es aus neurowissenschaftlicher Sicht wichtig, sich mit einflussreichen historischen Frauen zu beschäftigen?

Radwa Khalil: An Vorbildern können wir uns ein Beispiel nehmen. Der Sozialpsychologe Albert Bandurahat hat herausgefunden, dass es unsere Selbstwirksamkeitswahrnehmung, unser Selbstvertrauen stärkt, ein solches Vorbild zu haben. Wenn Mädchen also über historische Frauen lernen, können sie sich die zum Vorbild nehmen. Das kann ihnen helfen, Selbstvertrauen aufzubauen und sie motivieren.

Sie sind Neurowissenschaftlerin. Wie wird Geschlecht in diesem Feld eingeordnet?

In den Neurowissenschaften wird viel zu Geschlechterunterschieden geforscht, beispielsweise zu unterschiedlichen Gehirnfunktionen. Weite Teile der Forschung nehmen etwa an, dass der Orientierungssinn von Männern und die Fähigkeiten in Multitasking bei Frauen besser sind. Da kann ich nicht voll zustimmen. Solche Erkenntnisse sind sehr relativ. Es gibt Unterschiede zwischen Individuen, die sich nicht am Geschlecht festmachen lassen, sondern an anderen persönlichen und externen Faktoren.

Und prägt das Geschlecht das Individuum nicht?

Das Problem ist, dass wir uns nur am Geschlecht orientieren und diese individuellen Unterschiede völlig ignorieren. Wir sollten Menschen nicht in ‚sie‘ und ‚er‘ einteilen, sondern das Individuum betrachten: Das Selbstvertrauen, die Motivationen und Visionen. Und das Selbstvertrauen von Mädchen und Frauen leidet darunter, wenn ihnen gesellschaftlich immer vermittelt wird, sie seien weniger intelligent oder sie müssten abhängig von Männern sein. Das ist ein riesiges Problem und deshalb brauchen wir weibliche Vorbilder.

Radwa Khalil

arbeitet als Neurowissenschaftlerin an der Jacobs University in Bremen-Nord. Ihre Doktorarbeit befasst sie sich mit der Neurobiologie der Kreativität.

Welche historischen Vorbildern aus dem antiken Ägypten gibt es denn?

In der Antike leisteten Frauen in Ägypten Pionierarbeit in so vielen Feldern – in der Musik, in der Wissenschaft, in der Politik. Es gab berühmte Ärztinnen, wie Merit-Ptah am Hof des Pharaos während der zweiten Dynastie. Oder Königinnen, wie Hatschepsut, die in ihrer Arbeit mit Männern gleichgestellt waren.

Mit welchen Problemen kämpfen ägyptische Fe­mi­nis­t*in­nen gegenwärtig?

Es gibt ein sehr traditionelles Rollenbild: Frauen sollen zwar schon bis zu einem gewissen Grad gebildet sein, aber wenn sie einen Abschluss haben, ‚reicht das auch‘. Allgemein wird Karriere für Frauen in Ägypten oft als zweitrangig angesehen, besonders in Führungspositionen und Berufsfeldern, für die es viel Durchhaltevermögen braucht. Demgegenüber wird gesellschaftlich erwartet, dass sie heiraten und sich um Haushalt und Kinder kümmern. Ich habe viel Respekt für diese Arbeiten und die Rolle dieser Frauen ist absolut wertvoll. Aber ich sehe nicht ein, wieso es so sein muss: Wieso wird es Frauen nicht ermöglicht, eine Balance zwischen Karriere und Familie zu finden?

Trifft das alle im gleichen Maße?

Es kommt sehr auf das Umfeld an. Besonders Klasse spielt eine große Rolle: Es gibt so talentierte Frauen, aber ohne Geld haben nur wenige die Chance auf eine gute Bildung. Sie müssen wegen ökonomischem und sozialem Druck heiraten, um sich abzusichern. Diese Frauen sind nicht frei, zu tun was sie wollen, sie müssen sich gesellschaftlichen und ökonomischen Zwängen beugen.

Inwiefern ist in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung gerade mit historischen Vorbildern wichtig?

Ich denke, das muss man vor der aktuellen Situation von Frauen und Mädchen in Ägypten und der Region sehen: Das aktuelle gesellschaftliche Rollenbild ist fehlgeleitet, umkämpft und hängt auch mit bestimmten religiösen Vorstellungen zusammen. Aber die Vorstellung, dass in dieser Region Frauen schon immer unterdrückt und marginalisiert worden seien, ist – obwohl sie weit verbreitet ist – historisch gesehen falsch. Deshalb wollen wir anhand von Beispielen zeigen, dass es eben nicht so ist: Die Rolle, die Frauen heute gesellschaftlich zugeteilt wird, hängt mit Veränderungen im Wirtschaftssystem, in Medien, in der Gesellschaft zusammen. Sie ist historisch gewachsen und wandelbar.

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