Sondierungsgespräche der Parteien: Strategisches Getue

In den Gesprächen um eine mögliche Koalition geht es zwischen SPD, FDP und Grünen nicht ohne Kompromisse. Doch die muss man sich leisten können.

Eine Hand mit einer Packung Schrauben vor einem Baumarkt-Regal

Schrauben spielen bei den Sondierungsgesprächen merkwürdigerweise eine prominente Rolle Foto: Eibner-Pressefoto/imago images

Die Sondierungsgespräche zwischen SPD, FDP und Grünen beginnen. Nach dem kommunikativ und ästhetisch amüsanten Selfie-Vorpreschen geht es jetzt ganz schnell – weil sich das Land „keine lange Hängepartie“ leisten könne, so Annalena Baerbock.

Damit geht auch das große strategische Getue so richtig los, bei den Beteiligten und bei den Kommentierenden: Wer gibt wem was und bekommt was dafür? Wer kann wen wie unter Druck setzen, um das zu bekommen, was sie oder er vor der Wahl versprochen hat? Wer kann dann das Bekommene wie an Wäh­le­r:in­nen verkaufen, um diese bei Laune zu halten?

Unsere parlamentarische Demokratie zeigt sich jetzt in Höchstform. Denn jetzt wird wieder Politik gemacht wie auf dem Hamburger Fischmarkt: Wenn Sie diesen Obstkorb kaufen, dann lege ich diese Kiste Erdbeeren drauf!

Vor allem ist jetzt die Zeit der Kompromisse. Das Wort Kompromiss kommt vom lateinischen „compromittere“ und bedeutet übereinkommen, oder, wie der Duden schreibt: die gegenseitige Übereinkunft vor Gericht, sich einem Schiedsspruch zu unterwerfen. Wenn man diese Definition auf das 21. Jahrhundert überträgt, dann müsste das heißen: die gegenseitige Übereinkunft, sich dem Marktmechanismus zu unterwerfen. Denn eines ist sicher: Die bevorstehenden Kompromisse von SPD, FDP und Grünen werden sich innerhalb dieses Rahmens aufhalten, egal, wie sie am Ende konkret ausfallen. Naiv und selbstgerecht wäre es deshalb, für diesen Rahmen allein die FDP, deren Marktgläubigkeit besonders religiös daherkommt, verantwortlich zu machen.

Macht ermöglichen

Deshalb ist es auch angemessenen, von mehr oder weniger Markt statt von mehr oder weniger Staat zu sprechen, wenn man die Positionen der Parteien beschreibt. Am Ende werden dann nicht 20 Ellen Leinwand und ein Rock getauscht, was Marx im „Kapital“ als Beispiel einführt, um die Entfaltung der Warenform zu beschreiben, sondern der von Olaf Scholz versprochene 12-Euro-Mindestlohn gegen die von Christian Lindner versprochene Verhinderung einer Vermögensteuer. Für die Beteiligten ist das eine Win-win-Situation, denn der Kompromiss ermöglicht ihnen Macht. Weil der Kapitalismus am Ende trotzdem ein Nullsummenspiel ist, haben diejenigen das Nachsehen, die auf dem gesellschaftlichen Marktplatz nicht so gut dastehen.

Man sollte sich deshalb nicht einlullen lassen, wenn von Brücken über Trennendes und gerade eingesetzten Schrauben geschwafelt wird. Und wenn jemand gesellschaftskundemäßig mit der demokratiepolitischen Wichtigkeit von Kompromissen um die Ecke kommt, als wäre ein Kompromiss ein Wert für sich – dann sollte man diesen Streber zurechtweisen. Denn Kompromisse sind etwas für diejenigen, die sie sich leisten können. Die anderen können nicht so tun, als wäre die Frage von Arm und Reich so wie die Frage, was es zum Abendbrot gibt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.