Queere Kultur damals und heute: Gelitten sein statt zu leiden

Queere Geschichte lässt sich als Hin und Her zwischen greifbarer Freiheit und tödlicher Gewalt lesen. Daran erinnert mich ein Besuch im „Cabaret“.

Person mit dunklem Lippenstift auf bühne, in lila Licht getaucht

Tänzer Diego Salles beim „Lila Lied“ im Neuköllner SchwuZ Foto: Callum Leo Hughes

Es ist eine von diesen schönen und zugleich zweifelhaften Eigenarten in Berlin, dass man ständig in die Traumwelt der Zwanziger hinabsteigt, für eine kleine Fantasy frivoler Freiheit. Spätestens seit dem Erfolg der Serie „Babylon Berlin“ gilt das wohl fürs ganze Land. Mittlerweile reicht eine Art-Deco-Bordüre aus als Corporate Identity für schillernde Nostalgie, bei der immer auch Queeres mitschwingt. Oft wird die Subkultur vor 100 Jahren dabei hoffnungslos romantisiert, das Präfaschistische am Rande behandelt.

Ein wesentlich beklemmenderes Feeling erzeugte dagegen eine kleine Bühnenshow, die ich neulich im queeren Neuköllner Club SchwuZ besuchen durfte. Sechs Per­for­me­r*in­nen führten entlang bekannter queerer Schlager und Persönlichkeiten der Epoche.

Die Minirevue trug den Titel „Lila Lied“. Das „Lila Lied“, verfasst von Kurt Schwabach und vertont von Mischa Spoliansky im Jahr 1920 ist die Hymne der lesbisch-schwulen Bewegung im Deutschland des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Wir sind nun einmal anders als die Andern, die nur im Gleichschritt der Moral geliebt. Die Zeilen des Refrains definierten queeres Leben als an sich abweichend. Und erteilten damit allen Trends in Richtung Anpassung eine schroffe Absage. Diese Haltung wird 50 Jahre später Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers …“ wiederholen.

Die Per­for­me­r*in­nen von „Lila Lied“ im SchwuZ wagen ein optisches, musikalisches und inhaltliches Update der „Goldene Zwanziger“-Erinnerung. Ein elektronisches Sampling von Claire Waldoffs Lied „Hannelore“ durch Sound­künst­le­r*in Mala Herba lässt das Zwanziger-Cabaret im Gegenwartsberlin ankommen. Und ein Monolog von Performerin und Sexarbeiterin Akynos hinterfragt die Bühnenfigur Josephine Baker im Zusammenhang heutiger ästhetischer Ansprüche an weibliche Schwarze Körper.

Gedanken an die giftige Rhetorik in der Jetztzeit

Die Glamour-Fantasy erstickt das Ensemble eindrucksvoll mit bedrohlicher Enge. Die Zwanziger brachten ja in gewissen Rahmen Freiheit und Sichtbarkeit für queere Menschen, aber auch soziales Elend – und schließlich Faschismus. Später, in den Siebzigern keimt erneut queere Kultur in Deutschland auf. Und wird erneut beinahe hinweggefegt von der menschengemachten Aids-Katastrophe.

Ich muss an die giftige Rhetorik und die Gewalt gegen trans Leute in der Jetztzeit denken. Und ich muss daran denken, dass in der jüngeren queeren Geschichte mindestens zweimal Vernichtung gleich auf Befreiung folgte. Eine Teleologie des Todes. Kein Wunder, dass so viele nicht an das Versprechen vom stetigen Fortschritt glauben mögen, das wir arrivierte Queers uns erzählen. Schon mal war die Freiheit in greifbarer Nähe. Immer wieder folgten Versuche der Auslöschung. Mal aktiv, mal durch Nichtstun.

Das „Lila Lied“ definiert die Utopie so: Wir leiden nicht mehr, sondern sind gelitten! Sind wir da schon? Das wär ja was.

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