„Klimaschutz funktioniert nur wirklich radikal“

Bettina Jarasch will bei den Wahlen im Herbst für die Grünen das Rote Rathaus erobern. Ein Gespräch über die Klimakrise, das frühe Werben um die SPD als Koalitionspartner – und ob die Grünen jetzt eigentlich Wohnungsfirmen enteignen wollen oder doch nicht

Die bisherige Koalition fortsetzen will sie, aber halt dann unter grüner Führung: Bettina Jarasch will Berlins nächste Regierende werden Foto: Julia Baier

Interview Stefan Alberti, Anna Klöpper, Bert Schulz

taz: Frau Jarasch, was müssen die Grünen – was müssen Sie – tun, damit die Klimakrise endlich im Wahlkampf ankommt?

Bettina Jarasch: Es geht am 26. September darum, ob hier alles so bleiben soll, wie es ist – oder ob wir die Veränderungen angehen, zu denen der Klimawandel uns nötigt.

Obwohl es die Flutkatastrophe in Deutschland gab und es rund ums Mittelmeer brennt, scheint sich bisher kaum eine Ber­li­ne­r*in für die Klimakrise zu interessieren.

Das ist nicht mein Eindruck. Wenn ich unterwegs bin in der Stadt, sehe ich, dass sehr viele Menschen am Thema Klimaschutz dran sind – und es schon waren, lange bevor es Starkregen in Nordrhein-Westfalen gab. Diese Menschen haben sich darum gekümmert, dass die Stadt grüner und damit klimafreundlicher wird; dass hier weniger Autos unterwegs sind; dass es Verkehrsberuhigung gibt.

Die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen von Extinction Rebellion haben bei ihren Aktionen vergangene Woche allerdings deutlich weniger Zulauf bekommen als erwartet. Da zeigt sich doch: Die Klimakrise wird weitgehend ignoriert.

Das liegt wohl eher an den Organisationsformen – deren Protest ist nicht unbedingt jedermanns Sache. Aber das Thema ist angekommen. Das sehe ich auch, wenn ich bei Nachbarschaftsinitiativen zu Gast bin, die einfach nur ihren Kiez schöner machen wollten, also Müll wegräumen oder Bänke aufstellen. Auch die reden drüber, wie die Stadt grüner wird. Aber jene Menschen werden Sie nicht unbedingt bei Extinction Rebellion finden.

Sie gehen aber – trotz aller Feuer und Überschwemmungen – auch nicht mit anderen Gruppen auf die Straße, anders als zum Beispiel 2011 nach der Atomkatastrophe in Fukushima, als plötzlich Menschen demonstriert haben, die nie zuvor auf Demos waren. Warum passiert das jetzt nicht? Die Bilder sind doch ähnlich erschreckend.

Vielleicht muss eines noch klarer werden: Klimaschutz, so wie wir ihn jetzt brauchen, funktioniert nur, wenn man ihn wirklich radikal angeht. Er funktioniert nicht mit dem üblichen Greenwashing, mit dem CDU und SPD das Thema abmoderieren wollen, wenn der Weltklimarat plötzlich dramatischere Zahlen nennt oder es eben diese Katastrophen gibt. Dann sind für kurze Zeit immer alle Parteien ganz betroffen und die allerbesten Klimaschützer.

Den Klimaschutz radikal angehen“: Was heißt das für Sie?

Dass sich in Berlin alle damit beschäftigen müssen: Alle Senatsverwaltungen, alle Bezirksämter, alle Bürgerämter! Alle öffentlichen Stellen müssen einen Beitrag leisten. Das ist kein Thema, das man einfach bei der Klimaschutzsenatorin abladen kann. Deswegen wollen wir ein Klimaschutz-Budget einführen: Das klassische Budget, also der Landeshaushalt, wird nur verabschiedet, wenn wir auch genügend Sparvorschläge für CO2-Einsparung haben.

Wenn Klimaschutz richtig durchdringen würde, dann müssten die Umfragewerte der Grünen gerade durch die Decke gehen. Stattdessen sind in der neuesten Erhebung Ihre Berliner Grünen erstmals seit Ende 2018 nicht mehr allein stärkste Partei, sondern nur noch gleichauf mit der SPD. Was sagen Sie dazu?

Ich sage nur, die Wahl bleibt spannend. Auf jeden Fall. Aber wir Grünen haben eine echte Chance. Und ich bin überzeugt, dass das Klima ein wahlentscheidendes Thema sein wird.

Das würden wir gerne noch ein bisschen genauer hören.

Die Entscheidung wird am Ende sein: Wollen wir eine Regierende Bürgermeisterin, die nichts verändern will, weil sie eigentlich findet, dass alles gut so ist, wie es ist…

womit Sie SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey meinen …

… oder haben wir eine Regierende Bürgermeisterin, die Veränderungen anpackt, die wegen Klimaschutz, aber auch wegen der großen sozialen Fragen in dieser Stadt, einfach sein müssen?

Giffey hatte vor Kurzem dem RBB gesagt, Enteignungen von Wohnungskonzernen seien für sie eine „rote Linie“ und in einer künftigen Koalition nicht verhandelbar. Die SPD ist einer Ihrer Wunschpartner. Würden Sie Giffeys Bedingung akzeptieren?

Ich habe ein Déjà-vu: Vor zehn Jahren hat Klaus Wowereit mit der A100 als rote Linie genau so die Große Koalition vorbereitet. Statt schon vor der Wahl rote Linien zu ziehen, sollte Frau Giffey einfach offen sagen, ob sie mit FDP und CDU regieren möchte.

Sie sind ja auch Abgeordnete im Parlament. Ist Ihrer Wahrnehmung nach die SPD dort noch Teil der rot-rot-grünen Koalition?

Ich finde, dass die bisherige Koalition, die ich unter grüner Führung fortsetzen möchte, gut zu dieser Stadt passt. Wir brauchen eine Berlin-Koalition und keine Deutschland-Koalition....

womit Sie wiederholt nahelegen, dass Franziska Giffey ein solches Bündnis von CDU, SPD und FDP nach der Wahl anstrebt. Bleiben wir bei Ihrer Mitkonkurrentin: Ein FU-Wissenschaftler will nun auch in der Masterarbeit Ihrer Mitbewerberin ums Rote Rathaus Plagiate festgestellt haben. Wollen Sie das kommentieren?

An Po­li­ti­ke­r*in­nen werden zu Recht hohe Maßstäbe angelegt, gerade wenn wir uns für Spitzenämter bewerben. Damit müssen wir umgehen und dazu gehört auch maximale Transparenz. Deshalb schockiert es mich, dass jetzt Teile der SPD versuchen, diesen Wissenschaftler und damit die Wissensstadt Berlin zu beschädigen.

Sie hoffen, mit dem Thema Klimawandel durchzudringen. Die Linkspartei, mit der Sie gerne weiter regieren wollen, setzt voll und ganz auf das Mietenthema und stellt sich hinter das Enteignungsvolksbegehren. Das heißt für Sie?

Der Trend Eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Portals "Der Hauptstadtbrief" sah die SPD Mitte August zuletzt gleichauf mit den Grünen: Beide Parteien kamen auf 21 Prozent. Es folgen die CDU mit 17 Prozent, die Linke mit 14 Prozent, die AfD mit 10 Prozent und die FDP mit 7 Prozent. Auf sonstige Parteien entfallen 10 Prozent.

Die Optionen Damit hätte Rot-Rot-Grün weiterhin eine Mehrheit. Rechnerisch möglich wäre aber im Abgeordnetenhaus auch eine Koalition von SPD, CDU und FDP oder von Grünen, CDU und FDP.

Der Superwahltag Am 26. September wählt Berlin das Abgeordnetenhaus und damit auch die Bezirksverordnetenversammlungen neu. Außerdem ist Bundestagswahl. Schließlich können die BerlinerInnen auch noch über das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. enteignen abstimmen. Die Initiative will Wohnungsfirmen mit mehr als 3.000 Wohnungen gegen Entschädigung vergesellschaften. (taz, dpa)

Bettina Jarasch: Das Thema bezahlbares Wohnen und Mieten ist die große soziale Frage in dieser Stadt. Und da kann ich nur sagen: Ich bin die Einzige, die eine echte Lösung präsentiert hat. Franziska Giffey ignoriert diese soziale Frage. Ihre Antwort ist dieselbe wie die der CDU, nämlich: bauen, bauen, bauen. Und zwar 20.000 Wohnungen pro Jahr. Klar, das wollen wir auch. Nur: Im Unterschied zu CDU und SPD behaupte ich nicht, dass sich damit das Problem der hohen Mieten lösen lässt.

Von der SPD bekommt man eine klare Positionierung zum Volksentscheid, nämlich ein „Nein“ zur Enteignung großer Immobilienkonzerne. Die Linke wiederum hat sich klar dafür positioniert. Sie selbst haben angekündigt, das „Ja“ anzukreuzen – aber es gibt keine Festlegung Ihrer Partei.

Ich habe eine sehr klare Position: Der Mietenschutzschirm, den ich vorgestellt habe, ist die einzige Lösung, die uns wirklich etwas bringen kann. Und zwar rechtssicher und schneller, als es durch die Umsetzung des Volksentscheids durch eine Vergesellschaftung gehen würde. Ich möchte den Druck dieses Volksentscheids nutzen, um einen Pakt mit den Wohnungsunternehmen zu schließen.

Damit haben Sie sich zwischen alle Lager gestellt. Für die CDU war Ihr „Ja“ samt Schutzschirm mit Enteignungsdrohung der endgültige Beleg für grünen Sozialismus; die Linkspartei zweifelt an Ihrem Demokratieverständnis, weil für Sie auch ein erfolgreicher Volksentscheid nicht zwingend zu Enteignungen führt.

Ich habe gezeigt, wie das Problem gelöst werden könnte. Ich habe sowohl mit der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ geredet als auch mit der Deutsche Wohnen selbst. Und beiden habe ich nicht nach dem Mund geredet, sondern einen Lösungsweg vorgeschlagen.

Gibt es von Immobilienkonzernen Signale, sich auf diesen Pakt einzulassen?

Bei der Deutsche Wohnen haben sie sich sehr bedeckt gehalten. Von der Vonovia gab es Signale, dass man reden müsse – auch wenn sie natürlich gegen Vergesellschaftung sind.

Noch mal zur fehlenden Festlegung der Grünen: Zu allen möglichen Themen beschließt die Partei Positionen – bloß nicht bei diesem so zentralen Thema.

Das ist erst mal eine Initiative. Wir machen unsere eigene Politik, und das ist der Mietenschutzschirm.

Ein anderes großes soziales Thema ist spätestens seit Corona die Ausstattung des Gesundheitswesens. Der Tarifstreit an den beiden landeseigenen Klinikkonzernen Charité und Vivantes eskaliert, ab diesem Montag wird gestreikt (siehe Text oben). Wieso musste es dazu kommen, gerade nach den Erfahrungen der Pandemie?

Das liegt daran, dass von den zuständigen Se­na­to­r*in­nen keine konkreten Gespräche mit den Ver­tre­te­r*in­nen der Beschäftigten geführt wurden…

also vom Finanzsenator als Aufsichtsratschef und von der Gesundheitssenatorin, die beides SPDler sind.

Es ist leider so. Deswegen haben wir das jetzt im Koalitionsausschuss diskutiert. Es nützt ja nichts, einfach nur zu sagen „Wir sind irgendwie für euch“. Wir müssen mal konkret drüber reden, wie sich welche Forderungen umsetzen lassen.

Erwarten Sie angesichts der Streiks eine schnelle Einigung?

Ich bin skeptisch, dass die jetzige Koalition das noch befriedigend zu einem Ende führt. Solche Gespräche gehören zu den ersten Dingen, die ich als Regierende Bürgermeisterin angehen werde.

Das Arbeitsgericht hatte noch am Freitag per Eilentscheid den Streik der Angestellten bei den Vivantes-Tochtergesellschaften, etwa des Küchenpersonals, für unrechtmäßig erklärt, weil keine Notdienstvereinbarung seitens des Arbeitgebers sichergestellt war. Sitzen die Arbeitgeber damit immer am längeren Hebel – und ist das gut?

Bettina Jarasch,

52, war von 2011 bis 2016 Landesvorsitzende der Berliner Grünen, deren Kandidatin sie nun für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin bei der Abgeordnetenhauswahl ist.

Das ist überhaupt nicht gut, weil es das Streikrecht unterläuft. Wir Grüne haben die zuständigen Se­na­to­r*in­nen der SPD wiederholt gedrängt, eine Notdienstvereinbarung zu ermöglichen.

Bei Ihrer Vorstellung als designierte Spitzenkandidatin im Oktober haben Sie sich als Brückenbauerin vorgestellt. Doch als Sie nun Wohnungskonzernen in letzter Konsequenz mit Enteignung drohten, wirkte das anders. Hat Ihre Partei Sie gedrängt, offensiver aufzutreten?

Ich tue genau das, was ich immer angekündigt habe. Ich rede mit der Deutschen Wohnen und ich rede mit Deutsche Wohnen und Co. enteignen. Und ich glaube, ich bin die Einzige, die das tut. Ich rede beiden nicht nach dem Mund und suche dann eine Lösung. Das ist Brückenbauen. Das ist nicht einfach – vielleicht stellen Sie sich darunter etwas zu Harmonisches vor.

Die CDU hat Sie schon „die nette Frau Jarasch“ genannt, hinter der finstere Mächte agieren. Die könnten Sie jetzt mal schocken und ankündigen, dass Florian Schmidt, Stadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg und das rote Tuch für die CDU, unter Ihnen Stadtentwicklungssenator wird.

Ihren Vorschlag lasse ich mal unkommentiert. Aber zu Ihrem ersten Satz sage ich: Ich bin die, die hier die Entscheidungen trifft, und die Partei folgt mir. Das hat der Mietenschutzschirm doch gezeigt.