Coronapandemie in Kuba: Infiziert beim Schlangestehen
Vor einem Jahr galt Kuba als Musterland der Pandemiebekämpfung. Mehrere Impfstoffe wurden entwickelt. Doch jetzt steigen die Zahlen.
Die panamerikanische Gesundheitsorganisation (OPS) stuft die Situation als besorgniserregend ein. Kuba habe nicht nur die höchste Infektionsquote der Karibik, sondern auch Lateinamerikas. Das hängt auch mit der ökonomisch schwierigen Situation der Insel zusammen. Das lange Schlangestehen für knappe Lebensmittel trage zum Anstieg der Infektionen bei, so Ciro Ugarte von der OPS gegenüber der Nachrichtenagentur Efe.
Hinzu kommt, dass die Deltavariante bei rund 60 Prozent der Infektionsfälle in der kubanischen Hauptstadt nachgewiesen werde, gefolgt von der Betavariante, so Ileana Morales Suárez, Direktorin im Gesundheitsministerium auf einer Pressekonferenz Anfang August. Besonders betroffen sind die Hauptstadt Havanna mit mehr als 1.600 Infektionsfällen und die beiden im Zentrum der Insel gelegenen Städte Cienfuegos mit 1.071 und Ciego de Ávila mit 798 Fällen.
Längst sind die Kapazitäten der Krankenhäuser überschritten. In Ciego de Ávila wurden ein Motel und eine Militäreinrichtung geöffnet, um Patienten aufzunehmen. Betten und Equipment sind laut der regionalen Tageszeitung El Invasor auf dem Weg.
Das einzige Land Lateinamerikas mit eigenen Impfstoffen
Parallel dazu hat die Regierung in Havanna die Geschwindigkeit der Impfkampagne merklich erhöht. 10,828 Millionen Dosen der drei in Kuba eingesetzten Impfstoffe Abdala, Soberana 02 und Soberana Plus sind bis zum 3. August auf der Insel verabreicht worden. 2,646 Millionen Kubaner*innen haben die vorgeschriebenen drei Dosen erhalten, knapp 3,3 der 11,2 Millionen Bewohner zumindest die erste.
Kuba hat als einziges Land der Region bereits im Mai 2020 auf die Entwicklung eigener Impfstoffe gesetzt und entschieden, weder Impfstoffe zu importieren noch sich an der internationalen Impfstoffplattform Covax zu beteiligen.
Eine überraschende Entscheidung, die aber nachvollziehbar ist, wenn man weiß, dass bereits zu Beginn der 1980er Jahre begonnen wurde, einen eigenen pharmazeutisch-biotechnologischen Forschungssektor aufzubauen. Die historische Entscheidung geht auf die Revolutionsikone Fidel Castro zurück, der damals die Interferon-Produktion in Kuba initiierte und hoffte, mit diesen Präparaten das Wundermittel gegen Krebs auf der Insel zu produzieren.
Seitdem hat sich der pharmazeutische Forschungs- und Produktionssektor zur Insel der Innovation auf Kuba gemausert. Impfstoffe gegen Hepatitis, gegen Hirnhautentzündung und eine ganze Reihe von Krebspräparaten sind neben vielem anderen entwickelt worden.
Wirken Kubas Impfstoffe gegen die Deltavariante?
Das Herz des innovativen Sektors befindet sich im Westen Havannas, wo das Finlay Institut, das Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie (CIGB) und etliche andere Forschungseinrichtungen angesiedelt sind. Dort wird in Pilotanlagen auch produziert.
Bis zu 100 Millionen Impfstoffdosen will die Insel laut Vicente Vérez, Direktor des Finlay Instituts, bis zum Jahresende herstellen. Ein engagiertes Ziel, angesichts der Tatsache, dass in Kubas Krankenhäusern der Notstand herrscht. Nahtmaterial, Impfspritzen, aber auch Antibiotika und Schmerzmittel sind inselweit überaus knapp und angesichts chronisch leerer Kassen dürfte auch der Import von Vorprodukten für die Produktion der proteinbasierten kubanischen Impfstoffe alles andere als einfach sein.
Zudem erschwert das auf ein historisches Maximum verschärfte US-Embargo den Import von Anlagen, Maschinen und selbst der kleinen Glasfläschchen, in denen die Impfstoffe ausgeliefert werden.
Kubas Vakzine sind proteinbasiert und keine modernen mRNA-Impfstoffe, aber mit einer Wirksamkeit von 92 Prozent von Soberana 02 und 92,28 Prozent von Abdala im Prinzip auch international konkurrenzfähig. Im Iran, wo die Phase-III-Tests mit Soberana 02 unter anderem liefen, hat der Impfstoff eine Notfallzulassung erhalten – genauso wie in Kuba und Venezuela.
Noch fehlt die formelle WHO-Registrierung. Doch entscheidend ist derzeit die bange Frage, ob die kubanischen Vakzine auch gegen die sich weiter ausbreitende Deltavariante wirksam sind. Dazu gibt es bisher keine verlässlichen Daten, aber schlechte Anzeichen.
Denn nach Angaben des Gesundheitsministeriums waren 42 Prozent der Infizierten bereits mit drei Dosen geimpft und hatten auch die 14 Tage bis zur vollständigen Wirkung hinter sich. In Havanna liegt diese Zahl sogar bei 72 Prozent. Das ist eine schlechte Nachricht für das Gesundheitssystem der Insel, aber auch für deren Ökonomie. Diese Daten könnten auch den potenziellen Export kubanischer Vakzine gefährden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos