Gilda Sahebi Krank und Schein
: Das Gerede von
„Die sind eben so“

Foto: Hannes Leitlein

Seit zwei Wochen verfolge ich die Ereignisse in Afghanistan und fühle mich wie viele andere hilflos, wenn ich die Bilder der Menschen sehe, die um ihr Leben fürchten und kämpfen. Ich bin aber auch wütend. Wütend darüber, wie hier, bei uns, über diese Menschen gesprochen wird.

In ihrer Bundestagsrede sagte Angela Merkel über die Ziele der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan: „Kamen diese Ziele und die mit ihnen verbundenen Werte […] wirklich bei der Mehrheit der Menschen in Afghanistan an?“ Das Handelsblatt titelte: „Der westliche Versuch, die eigenen Werte nach Afghanistan zu exportieren, endet im Chaos.“ In Österreich forderte die Direktorin der Diakonie die Aufnahme von „Menschen, die in Afghanistan europäische Werte gelebt und vertreten haben“. Der AfD-Politiker Alexander Gauland sagte, ebenfalls in der Bundestagsdebatte: „Unsere Werte, meine Damen und Herren, sind nicht universell.“

In einem Kommentar beschreibt der Journalist Emran Feroz die Haltung des Westens zu den Menschen in Afghanistan frustriert so: „‚Die sind eben so. Das ist nicht unsere Schuld‘.“ „Die sind eben so“ – das ist der Ursprung des Denkens, das in den erwähnten Zitaten liegt. Dieses Denken findet sein Fundament in der Theorie, Menschen verschiedener Kulturen oder „Rassen“ seien grundsätzlich unterschiedlich. Natürlich bezieht man sich nicht explizit darauf (außer wohl Alexander Gauland) – aber diese Arroganz, diese Überhöhung „eigener“ Werte: Ihr muss ein solches wenn auch oft unbewusstes Denken zugrunde liegen.

Dabei ist wissenschaftlich bewiesen: Alle Menschen sind gleich. Das ist kein Hippie-Spruch, sondern Fakt. In einem Essay in Science forderten US-amerikanische For­sche­r:in­nen denn auch, das Konzept „Rasse“ aus der Humangenetik zu entfernen: „Die Klassifikation nach Rassen ergibt in Bezug auf Genetik keinen Sinn.“ Forschungen haben immer wieder gezeigt, dass Genvariationen innerhalb einer vermeintlichen „Rasse“ oft größer sind als zum Beispiel zwischen weißen und Schwarzen Menschen. Oder anders gesagt: Es gibt nur eine Rasse, und die heißt Mensch. In einem Artikel aus dem Wissenschaftsmagazin Human Genomics aus dem Jahr 2020 heißt es: „Es sind kontextbezogene Faktoren und Erfahrungen, die sich über die Geschichte ziehen, und nicht Genetik, die Menschen in die heutigen rassischen und ethnischen Kategorien aufgeteilt haben.“ Es gibt keine wissenschaftliche Rechtfertigung für die Behauptung „Die sind eben so“.

Die Fünf­tage­vorschau

Di., 31. 8.Saskia HödlKinderspiel

Mi., 1. 9.Lin HiersePoeticalCorrectness

Do., 2. 9.MohamedAmjahidDie Nafrichten

Fr., 3. 9.Peter ­WeissenburgerUnisex

Mo., 6. 9. Melisa ErkurtNachsitzen

kolumne@taz.de

Menschen, überall auf der Welt, werden geboren mit dem Bedürfnis, geliebt, genährt und geschützt zu sein. Daran ändert sich im Laufe des Lebens nichts Grundsätzliches. Es sind historische Erfahrungen, die einen Staat prägen. Menschen aber, die in Afghanistan für Freiheit und Sicherheit kämpfen, vertreten nicht „europäische“ oder „westliche“ Werte, sondern menschliche Werte. Und: Sie müssen sie nicht erst von uns lernen. Vielleicht schätzen sie diese Werte sogar mehr als wir.