Über den jüdischen Kaufhaus-Erfinder: „Ich bin da eher so reingerutscht“

Als Geschäftsführer des Handelsverbandes vertritt Nils Busch-Petersen nicht nur den Einzelhandel. Er hält das Gedenken an Oscar Tietz wach.

Unser Interviewpartner Nils Busch-Petersen im Besprechungsraum des Haus des Handels am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg

Nils Busch-Petersen im Besprechungsraum des Haus des Handels am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg Foto: Christian Mang

taz: Herr Busch-Petersen, wann waren Sie das letzte Mal in Birnbaum?

Nils Busch-Petersen: Vor viel zu langer Zeit. Es war vor vier oder fünf Jahren, da hatten wir eine Klausur des Präsidiums des Handelsverbandes in diesem magischen Ort.

Sie sind als Geschäftsführer des Berliner Handelsverbandes in diesem magischen Ort, der heute Międzychód heißt, ein gern gesehener Gast. Warum?

Weil wir uns angefreundet haben. Das geht zurück auf die erste Exkursion nach Polen. Meine Warenhausleute hier im Verband, die waren privat mehrfach im Jahr auf Ibiza, dienstlich in New York, London oder Paris. Aber eine Reise nach Polen war für sie in den neunziger Jahren kein Thema. In einer Vorstandsrunde habe ich denen dann die Geschichte von Oscar und Leonhard Tietz erzählt. Da sprangen dann einige an und ließen sich auf dieses Abenteuer ein.

Der Mensch Nils Busch-Petersen wurde 1963 in Rostock-Warnemünde geboren. 1975 zog er mit seinen Eltern nach Berlin. Nach dem Abitur 1981 studierte er Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität. Er lebt mit Frau, Kindern und Enkelkindern in Pankow.

Der Politiker 1989 wurde Busch-Petersen für die FDJ in die Stadtbezirksversammlung von Berlin-Pankow gewählt. Er forderte Aufklärung über den Betrug bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 und engagierte sich nach der Wende für einen Runden Tisch als „eine Art zweite Kammer“ neben der BVV. Bis zu seiner Arbeit als Geschäftsführer des Handelsverbandes war er bis Mai 1990 Bezirksbürgermeister von Pankow.

Der Lobbyist Als Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg setzt sich Busch-Petersen für die Interessen des Einzelhandels und der Kaufhäuser ein. Bei einer Anhörung des Abgeordnetenhauses sprach er sich unter anderem für die Rekonstruktion des ehemaligen Karstadt-Gebäudes am Hermannplatz aus. Auch kritisiert er die verkehrsberuhigte Friedrichstraße.

Der Autor Bereits 2004 veröffentlichte Busch-Petersen in der Reihe Jüdische Miniaturen eine Biografie des Kaufhausgründers Oscar Tietz. Es folgten Biografien über den KaDeWe-Gründer Adolf Jandorf (2007) und Oscars Bruder Leonhard Tietz (2010). (wera)

Das für Sie als Ostler natürlich keines war.

Natürlich nicht, ich bin mit einem Bekannten vor der Exkursion dann unangemeldet hin, um zu sehen, ob es da überhaupt ein Hotel gab. Wir sind rumgeschlichen und haben im Stadtpark einen nagelneuen Gedenkstein für Oscar Tietz entdeckt.

Der geht nicht auf Sie zurück?

Nein, das war ja das Tolle. Ich wusste sofort, ich bin am richtigen Ort.

Was ist an Oscar Tietz so bedeutend?

Als Kind eines armen Fuhrmannes, der Gelegenheitshandel betrieb, wurde er zum Visionär, einem Erfinder des deutschen Warenhauses. Er beeindruckt mich aber auch, weil er immer ein sehr sozialer Unternehmer geblieben ist.

Was genau hat Tietz erfunden?

Er hat das Warenhaus als Betriebsform miterfunden. Er hat die modernen Handelsprinzipien zunächst in einem kleinen Geschäft in Gera mit zwei Schaufenstern umgesetzt. Das war sein Start. Da war überhaupt noch nicht erkennbar, was das für ein Knaller wird.

Was war genau das Neue an diesem Knaller?

In einem Laden verschiedene Sortimente anzubieten. Zuvor hatte man entweder Handschuhe oder Stöcke gehandelt, aber nicht beides zusammen. Mit der Auspreisung der Waren gab es nicht mehr die Mauscheleien um den Preis wie vorher. Im Gegenzug mussten die Kunden sofort in bar bezahlen. Das hat den Warenumschlag beschleunigt, weil sofort wieder neue Waren bestellt werden konnten. Und als einer der ersten hat er in Deutschland das Entrée libre eingeführt.

Gab es zuvor einen Kaufzwang, wenn man ein Geschäft betrat?

Ja, es gab einen gewohnheitsrecht­lichen Kaufzwang. Und mit dem hat Tietz zum ersten Mal gebrochen, indem er sagte: Komm rein, schau, was dir gefällt, und wenn dir nichts gefällt, kannst du wieder gehen. Das war völlig neu und hat die Leute teilweise auch überfordert.

Eine Art Vorläufer des Schaufensterbummels.

Auch erste Flaneure tauchen in dieser Zeit auf. Und dann gehörte zu Tietz und seinen Warenhäusern auch eine hohe Kulanz. Das ist ja bis heute so, dass die Kulanz in den Kaufhäusern weit über die gesetzlichen Normen hinaus geht.

Und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Wir wissen von seinen Nachfahren, dass Oscar Tietz durchaus sozialistischen Ideen nahe war, in seiner Bibliothek standen auch die Werke von Bebel und Marx. Er hat die Mitarbeiter gefördert, hat versucht, sie an den Betrieb zu binden. Die Warenhäuser waren auch die ersten, die im Beschäftigungsverhältnis die Logispflicht aufgelöst haben. Bis die Warenhäuser kamen, haben die Beschäftigten im Handel im Regelfall im Haus des Kaufmanns gewohnt und gegessen. Tietz hat gesagt, ich bezahle meine Beschäftigten so gut, dass sie sich eine Wohnung mieten können.

Oscar Tietz hatte sozialistische Ideen. In seiner Bibliothek standen die Werke von Bebel und Marx

Seine Firma hieß nicht Oscar, sondern Hermann Tietz. Warum?

Hermann war sein Onkel, der sein Vermögen in Amerika gemacht hatte. Von ihm hatte er das Startkapital für den ersten Laden in Gera bekommen. Ihm zu Ehren hat er dann die Firma benannt. Weil Hermann aber unter dem Druck seiner Brüder stand, ist das Startkapital schnell wieder zurückgefordert worden. Oscar war aber schon nach wenigen Wochen in der Lage, das zurückzuzahlen, auch weil die Adoptivtochter von Hermann, Betty, ihre Mitgift in den Laden steckte und später Oscar auch heiratete. Er blieb aber seinem Onkel immer freundschaftlich verbunden.

Wie kam Oscar Tietz nach Berlin?

Über München. Dort hatte er ein Problem gehabt, weil die anderen Onkels verlangten, dass er nach der Heirat eine Immobilie kaufte, um eine Sicherheit für die Familie zu haben. Oscar und Betty hatten zwar am Stachus einen großen Laden, aber es war nicht ihr eigener. Oscar hat dann ein Bürohaus gekauft, aber da zogen die Mieter aus. Das war auch eine antisemitische Stimmung in München. Sein Sohn schreibt, dass in einem Judenpalast keiner seine Büros haben wollte. Und so stand er da und das Haus war leer.

Also war wieder Erfindungsgeist gefordert.

Für ihn war klar, dass unten ein Laden reinkommt. Aber dann hat er gefragt, warum er nicht auch in der ersten und zweiten Etage Handel treiben sollte.

Eine kleine Skulptur eines Brunnens in der polnischen Stadt Miedzychod, deutsch Birnbaum

Diese Skultpur des Brunnens von Birnbaum hat Busch-Peterson vom polnischen Miedzychod bekommen Foto: Christian Mang

Die Geburtsstunde des Kaufhauses. Wann war das?

Anfang der 80er-Jahre des 19. Jahrhunderts. Zeitgleich aber ist das gleiche Konzept von Wertheim angewandt worden. Man kann also nicht sagen, dass Oscar Tietz der alleinige Erfinder des Warenhauses war. Mit A. Wertheim und Hermann Tietz sind die ersten Warenhäuser etwa gleichzeitig in Berlin und in München entstanden.

Zunächst war nicht klar, dass die Reise nach Berlin gehen würde.

Ende der 1890er Jahre gab es einen Familienrat. Betty, Oscar und Onkel Hermann überlegten, wo es hingeht. Oscar war für London. Hermann fand, es sei an der Zeit, nach Amerika zu gehen. Betty sagte, niemals verlasse sie ihr Vaterland. Also sind sie in die Reichshauptstadt. So entstand 1900 in der Leipziger Straße am Dönhoffplatz das erste Warenhaus von Hermann Tietz, ein prächtiger Bau mit Glasfassaden.

Damit gab es mit dem Wertheim am Leipziger Platz gleich zwei Warenhäuser in der Straße.

Nicht zu vergessen: Jandorf am Spittelmarkt. Aber Tietz konnte schon 1905 expandieren und hat das legendäre Haus von Cremer und Wolffenstein gebaut und immer wieder erweitert.

Das war am Alexanderplatz.

Der sich damals als Stadtplatz erst langsam etablieren konnte. Vorher war er ein eher unbedeutender Viehmarkt. Aber Oscar Tietz erkannte, dass da mit dem Stadtbahnhof und dem Bau der U-Bahnen eine Lage am Entstehen war, die Potenzial versprach. Also hat er das gegen den Rat aller Fachleute entschieden. Das Volk hat dann gesungen, bei Tietz am Alexanderplatz gibts Badehosen mit Pelzbesatz.

Die Geschichte der Unternehmerpersönlichkeit Oscar Tietz ist ja auch den Menschen in Międzychód bekannt, sonst würde es das Denkmal nicht geben. Welche Rolle spielt Tietz heute in seinem Geburtsort?

Als Tietz 1858 geboren wurde, war Birnbaum eine Kleinstadt mit einem Drittel deutschen Christen, einem Drittel Polen und einem Drittel Juden. Oscar hat zu seinem 25. Betriebsjubiläum 1907 aus Dankbarkeit in drei Städten Geld gestiftet. In Berlin und in München, aber das meiste, aus Dankbarkeit für seinen Werdegang, in Birnbaum. Für den kleinen Sportplatz, der heute noch in Betrieb ist, für den Stadtpark …

der heute nach ihm benannt ist.

Und für das städtische Wannenbad. Die Stadt hat ihm im Gegenzug den Stein gestiftet. Als Birnbaum dann nach dem Ersten Weltkrieg polnisch wurde, ist die deutsche Inschrift durch eine polnische ersetzt worden. Aus Oscar wurde Oskar mit k. Beim Einmarsch der Nazis ist der Gedenkstein dann verschwunden. Auch der jüdische Friedhof ist verwüstet worden. Von den Enkelkindern haben wir später gehört, dass Birnbaum in der Erinnerung der Familie immer etwas Besonderes war. Von den Enkelkindern war aber vor unserem Kontakt nie eines dort. Umso glücklicher war ich, als ich 2008 mit einer Enkeltochter und Urenkeln nach Międzychód fahren konnte.

Woher kommt diese Dankbarkeit, er war doch nur 17 Jahre lang in Birnbaum gewesen?

Er selbst hat keine Erinnerungen geschrieben. Aus den Erinnerungen des Erstgeborenen geht hervor, dass er sich dem Ort dankbar verbunden fühlte, nicht nur, weil er die Fuhrpferde seines Vaters in der Warthe getränkt hatte, sondern auch wegen der Schulbildung. In der Familie heißt es, es seien vor allem Lehrer gewesen, die Alt-48er waren.

Also diejenigen, die an der Märzrevolution 1848 teilgenommen hatten.

In Preußen sind sie danach aus den Großstädten in die Provinzen verbannt worden. Aber ihre liberalen Ideen haben sie mitgenommen. Von einigen dieser Lehrer ist Oscar Tietz sehr geprägt worden. So wurde er auch zu einem Verehrer von Heine. Er war auch ein ziemlich aufsässiger Geist.

All das haben Sie aufgeschrieben in ihrem Band der Jüdischen Miniaturen über Oscar Tietz, der auch ins Polnische übersetzt wurde. Was hat Sie denn bewogen, sich mit seiner Geschichte zu beschäftigen? Gab es da ein Schlüsselerlebnis?

Ja, aber das hat nichts mit Oscar Tietz zu tun. Im November 1994 rief mich der persönliche Referent des damaligen Wirtschaftssenators an. Er sagte, im kommenden Februar sei ein Jubiläum von Adolf Jandorf, der Senator beabsichtige, eine Ehrung am Grab vorzunehmen. Ich fragte mich, Adolf wer?

Der mit dem Kaufhaus an der Brunnenstraße?

Wusste ich damals nicht, ich hab geblufft und gesagt, ja klar, Jandorf. Der Hintergrund des Anrufs war, dass das Grab sehr schlimm aussah. Mein Freund Heinz Rothholz war damals Baudezernent der Jüdischen Gemeinde, den hab ich angerufen. Es stellte sich heraus, dass da keiner was für die Pflege des Grabes machte. Dann hab ich gesagt, Jungs, Sandstrahl, Buchstaben neu auslegen, Buchsbaum pflanzen.

Und das Schlüsselerlebnis?

Ein paar Tage später habe ich bei der Vorstandssitzung des Warenhausverbandes, ich war da ganz frisch dabei, unter Verschiedenes mitgeteilt, dass im Februar der Wirtschaftssenator bei Jandorf sei, und da guckten mich dann alle an: Jandorf? Und ich: Sie wissen doch, der Gründer des KaDeWe. Ich hab schon mal das Grab in Ordnung bringen lassen. Und plötzlich tickt ein Vorstand aus, obwohl er eher so die Art Gentle­man war. Der machte mich so zur Schnecke, wie ich es seit dem Wehrdienst nicht mehr erlebt habe. Was mir einfiele, dafür Verbandsgelder zu verschwenden.

Weil er ahnte, dass nun über Arisierung debattiert werden müsste?

Mir war es nicht klar in dem Moment. Ich dachte nur, ich kann meinen Job quittieren. Erst später erfuhr ich, dass der Betroffene aus einfachen Verhältnissen bei Hertie bis in die höchste Konzernebene aufgestiegen war. Und dann habe ich ihn mit der Vergangenheit seiner Förderer und Idole indirekt konfrontiert.

Aus der Firma von Oscar Tietz, die ja Hermann Tietz hieß, wurde unter den Nazis Hertie, die Firma seines Bruders Leonhard wurde zur Kaufhof AG.

Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Das Narrativ von Hertie ließ sich ganz kurz zusammenfassen: Nach der Weltwirtschaftskrise und mit dem Machtantritt der Nazis befand sich das Unternehmen Hermann Tietz in einer Schieflage. Georg Karg übernahm von den Erben das Unternehmen, sanierte es zu alter Größe, und nach dem Krieg gab es einen außergerichtlichen Vergleich. Punkt. Wer von diesem Narrativ abwich, musste nicht nur mit Kritik, sondern auch mit Konsequenzen rechnen.

Wie war es wirklich?

Da lohnt sich ein kleiner Rückblick. Hermann Tietz war der Platzhirsch in Berlin. Aber es gab auch noch die Wertheim-Gruppe und Jandorf mit dem ­KaDeWe als Perle. Wertheim war hochpreisig, Tietz in der Mitte, Jandorf, mit Ausnahme des KaDeWe, unterste Preisklasse. 1927 war klar, dass man, wollte man erfolgreich bleiben, expandieren muss. Dazu kam als Kampfansage der Baubeginn von Karstadt am Hermannplatz. Daraufhin kam es zu einem legendären Treffen in der Spielbank, wo Tietz Jandorf ein Übernahmeangebot gemacht hat. Aber um die Jandorf-Häuser auf Tietz-Standard zu bringen, musste Tietz richtig viel Geld investieren und Kredite aufnehmen. Danach kamen der Schwarze Freitag und die Weltwirtschaftskrise, in der die Warenhäuser teilweise 40 Prozent Umsatzeinbruch im Jahr hatten. Es gab also eine Schieflage, aber die wurde nach 1933 durch ein politisch motiviertes Agieren der Banken verschärft. Die haben die fest zugesagten Kredite gesperrt.

Die Firma Hermann Tietz wurde arisiert, indem Georg Karg als Geschäftsführer eingesetzt wurde.

Zu den Auflagen gehörte, dass alle jüdischen Mitarbeiter entlassen werden. Auch die jüdischen Namen sollten verschwinden, deswegen wurde aus Hermann Tietz Hertie. Den Begriff Arisierung gab es noch nicht, obwohl damals die „Herstellung eines arischen Übergewichts“ in der Geschäftsführung verlangt wurde. Aber es war die Blaupause für die späteren Arisierungen.

Wer bei Hertie von diesem Narrativ abwich, musste nicht nur mit Kritik, sondern auch mit Konsequenzen rechnen

Bei Leonhard Tietz und Kaufhof war es anders.

Kaufhof war schon lange eine Aktiengesellschaft. Als der Druck dort sehr stark wurde, hat die Familie die Gelegenheit genutzt und sich, wenn man so will, ihren Ariseur selbst ausgesucht. Das war ein sehr vertrauenswürdiger, untadliger Textilfabrikant aus Wuppertal. Abraham Frowein hat dafür gesorgt, dass die Familie erst mal sicher blieb, dann aus Deutschland rauskam, und nach dem Krieg hat er der Familie angeboten, die Aktien zum Verkaufspreis zur Zeit der Arisierung zurückzubekommen. Alle Familienmitglieder, die beim Konzern waren, haben die Gehälter der vergangenen zwölf Jahre nachbezahlt bekommen.

Und bei Hertie?

Das war überhaupt nicht vergleichbar. Kaufhof hat sich immer ganz aktiv zu seinen jüdischen Wurzeln bekannt. Schon in den 60er Jahren hat der Konzern durchgesetzt, dass die Sternengasse in der Kölner Altstadt, ein traditionsreicher Name, in Leonhard-Tietz-Straße umbenannt wurde. Die hatten nichts zu verbergen.

Sie sind nun seit 30 Jahren Geschäftsführer des Handelsverbandes Berlin Brandenburg. Oscar Tietz hat 1903 den Verband deutscher Warenhäuser gegründet. Sehen Sie sich in seiner Tradition?

Ja und nein. Das war ja alles zunächst nicht gewollt, ich bin da eher so reingerutscht. Mein beruflicher Weg war zunächst ein anderer. Nach Abitur und Wehrdienst habe ich Jura studiert und bin dann zum Institut für internationale Beziehungen nach Babelsberg. Von dort kam ich nach Moskau, wo ich 1988 die unglaublich spannende Aufbruchstimmung erleben durfte. Ich bin also mit einem massiven Gorbatschow-Infekt zurückgekommen.

Und haben nach den Kommunalwahlen im Mai 1989 die Fälschungen angeprangert. Nach dem Fall der Mauer wurden Sie kurzzeitig Bezirksbürgermeister von Pankow. Dann kam Heinz Rothholz, damals handelte er mit Kinderspielzeug, und fragte sie, ob Sie nicht Verbandsarbeit machen wollen. So wurden Sie Geschäftsführer des Ostberliner Handelsverbandes.

Zunächst wollte ich ihm kurz helfen, den Laden aufzubauen und habe dann für den Handel und die Kaufleute Feuer gefangen. Das brennt bis heute. In den Neunzigern habe ich gesehen, wie viele kluge und besonnene Leute aus dem öffentlichen Dienst vor die Tür geschickt wurden. Da ist mir die Kehle eng geworden. In der Wirtschaft aber wurde ich vom ersten Tag an diskriminierungsfrei angenommen. Hier zählte, was man konnte.

Ihre SED-Mitgliedschaft spielte keine Rolle?

Das hat mich nie einer gefragt, das habe ich von mir selbst aus erzählt.

Aber ungewöhnlich war, dass der Ostberliner Handelsverband den Westberliner Verband übernahm.

Ja. Im Westen gab es schon vor der Fusion eine Vakanz, ich wurde gefragt, ob ich das zusätzlich übernehme. Nachdem ich die Fusion erfolgreich moderiert hatte, stand der Modezar Willy Ebbinghaus auf, der eleganteste Mann, den ich kannte, und hat sich bei mir bedankt. Eigentlich viel zu jung, sagte er, als er hörte, ich sei 26. Danach wurde mir gratuliert. Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriff, dass ich neuer Geschäftsführer war. Der Bundesverband war entsetzt. Heute bin ich wohl der dienstälteste Geschäftsführer der Handelsorganisation.

1900 hat der Birnbaumer Oscar Tietz sein legendäres Warenhaus in der Leipziger Straße eröffnet. Wird das Warenhaus noch den 125. Jahrestag dieser Gründung überleben?

Ja. Wenn, dann aber in Berlin und in großen Städten. Das Warenhaus ist und bleibt ein Kind der Großstadt. Aber es wird nur dann überleben, wenn es das macht, was die Gründer lebten.

Und das wäre?

Sich selbst täglich hinterfragen, nie zurücklehnen, keine Routinen die Oberhand gewinnen lassen. Das Warenhaus muss nicht unter einem Dach alles haben wollen. Nachdem Saturn und Mediamarkt am Alex aufgemacht haben, war es folgerichtig, dass die Galeria Kaufhof die Technikabteilung schloss.

Und Corona?

Wir haben schon vor Corona gesehen, welche innovativen Konzepte am Markt waren. Solche halten nun auch im ­KaDeWe Einzug. Die Berliner sind warenhausaffine Kunden, Touristen sind es auch. Aber es braucht Innovation. Wenn ich meine, das war schon immer so, dann bin ich raus. Nun müssen wir auf den Onlinehandel reagieren, der nach Corona nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Da waren die Warenhäuser sehr weit hinten.

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