piwik no script img

„Vor jedem Schüler müss-te ein Luftreiniger stehen“

An Schulen sind mobile Luftfilter wenig sinnvoll, sagt Thomas Steffens von der TH Mittelhessen. Er empfiehlt Ventilatoren – wie sie in Schweineställen verwendet werden

Interview Ralf Pauli

taz: Herr Steffens, der Einsatz von mobilen Luftfiltern an Schulen ist umstritten. Sie haben selbst getestet, unter welchen Bedingungen der Einsatz dieser Geräte sinnvoll ist. Was ist Ihr Ergebnis?

Thomas Steffens: Kurz gesagt: Unsere anfänglichen Zweifel, was deren Wirksamkeit an Schulen angeht, haben sich bestätigt. Die Hersteller von mobilen Luftfiltergeräten werben ja damit, dass etwa hochklassige Hepa-Filter über 99 Prozent der Viren aus der Luft saugen können. Mein Kollege Professor Seipp und ich haben für ein idealtypischen Klassenraum Messungen durchgeführt und dabei herausgefunden, dass ein leistungsstarker Luftreiniger sogar kontraproduktiv sein kann.

Wie das?

Das hängt vor allem mit der Lärmbelästigung zusammen. Damit ein mobiler Luftfilter die Raumluft in einem normal großen Klassenzimmer wirklich bewegen kann, muss er mindestens 1.200 Kubikmeter pro Stunde umwälzen. In dem Fall sind diese Geräte aber sehr laut, so um die 50-60 Dezibel. Das ist ungefähr so laut wie ein Gespräch oder ein Staubsauger. Der Grenzwert aus dem Arbeitsschutz liegt bei 55 Dezibel. Gegen diese Lärmquelle muss die Lehrkraft permanent ansprechen. Das ist nicht nur anstrengend, sondern erhöht möglicherweise auch die Virenlast im Klassenzimmer. Denn wenn jemand lauter spricht, stößt er oder sie auch mehr Aerosole aus. Wir haben das für verschiedene Szenarien simuliert. Bei einer hohen Lärmbelästigung durch den mobilen Luftreiniger liegt der Aerosolausstoß von Erwachsenen in etwa doppelt so hoch.

Das heißt, Sie halten mobile Luftfilter für nicht sinnvoll?

In Räumen, die nicht belüftet werden können, können sie natürlich sinnvoll sein. Auch wenn ich mich frage, ob solche Räume für die Nutzung als Unterrichtsraum baurechtlich überhaupt zulässig sind und warum diese Räume nicht umgebaut werden. Ansonsten aber nein.

Streitpunkt Luftfilter an Schulen

Die meisten Ministerien waren beim Einsatz mobiler Luftfilter an Schulen lange zurückhaltend. Nach Einschätzung des Umweltbundesamtes (UBA) sind die Geräte mittlerweile dort sinnvoll, wo Klassenräume nicht gut gelüftet werden können. Auch wegen der Deltavariante setzen Bundesländer zunehmend auf mobile Luftreiniger. Bayern, Hamburg und Berlin wollen bis Herbst Zehntausende Klassenräume mit mobilen Luftreinigern ausstatten, Sachsen-Anhalt etwa kündigte am Montag ein Förderprogramm an. (taz)

Auch das Umweltbundesamt ist bei den mobilen Luftfiltern zurückhaltend und mahnt, dass diese „fachgerecht positioniert und betrieben werden“ müssen. Was kann man falsch machen?

Grundsätzlich muss ein Unterrichtsraum dazu geeignet sein, zusätzlichen Schall aufzunehmen. Das muss vor dem Betrieb der Geräte geprüft werden. Dazu kommt: Die Geräte arbeiten am wirkungsvollsten, wenn sie unmittelbar vor der Virusquelle aufgestellt sind. Das ist aber genau das Problem. Niemand weiß, wo bei 24 Personen im Raum die mögliche Virusquelle sitzt. Unter Umständen ist die Wirkung des Luftreinigers auf der anderen Raumseite nicht mehr gegeben. Um das auszugleichen, müsste ich noch ein oder mehrere Geräte zusätzlich aufstellen. Um wirklich sicher zu sein, müsste vor jedem Schüler und jeder Schülerin im Raum ein Luftreiniger stehen. Das würde natürlich die Industrie freuen.

Die freut sich auch jetzt schon. Lange haben die Ministerien wenig von mobilen Luftreinigern an Schulen gehalten. Wegen der Delta-Variante schwenken jetzt viele um. Bayern und Hamburg versprechen mittlerweile, alle Klassenräume mit Luftfiltern auszustatten.

Ich wundere mich über diese Entwicklung. Es gibt längst Alternativen, die günstiger und wirksamer sind, wie zum Beispiel Fensterventilatoren. Die sind in der Größe und Leistungsfähigkeit eigentlich für der A­grarindustrie entwickelt worden. Bei Schweineställen kommen die längst zum Einsatz.

Bitte?

Thomas Steffens ist Professor an der Tech­nischen Hochschule Mittelhessen in Gießen, ­Zentrum für Energie- und Umwelt­system­technik.

Ich weiß, das klingt absurd. Aber die Technologie ist auch für Klassenzimmer sehr gut geeignet. Wir begleiten seit Ende 2020 einen früheren Tierarzt, der die Idee hatte und das bisher in etwa 200 Unterrichtsräumen in Schulen bei Münster realisiert hat. Das funktioniert so: Ein Ventilator wird in einen Fensterflügel eingebaut, der die Raumluft nach außen pustet. Auf der anderen Seite des Zimmers muss ein Fenster gekippt sein. Durch den Unterdruck zieht es frische Luft in den Raum. Unsere Messungen belegen: Mit kurzen Lüftungspausen von 3-6 Minuten wird die Aerosolbelastung zuverlässig reduziert. Und die Lärmbelastung ist deutlich kürzer als bei mobilen Luftfiltern.

Das klingt gut – außer für den Winter…

Wenn sich die Schulen an die Empfehlungen halten und wirklich nur für ein paar Minuten lüften, sinkt die Raumtemperatur temporär nur minimal. Von Schülerinnen und Schülern aus den Pilotklassen wissen wir, dass sie bei den Ventilatoren überwiegend keine unangenehme Zugluft gespürt haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen