humboldt forum
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Jetzt ist Schloss

Nach langer Bauzeit wurde am Dienstag das Humboldt Forum eröffnet. Damit werden auch die Debatten und die heftige Kritik in eine breitere Öffentlichkeit getragen

Kritische Kanister: Figur des beninischen Künstlers Romuald Hazoume Foto: Jens Kalaene/dpa

Von Susanne Messmer

Eigentlich sollte es ja schon zum Geburtstag Alexander von Humboldts eröffnen. Im September 2019 wäre das gewesen. Doch dann kamen die Probleme mit dem Bau, danach Corona, eine Verschiebung jagte die nächste. Am Dienstag war es dann so weit. Das größte und umstrittenste Kulturprojekt des Landes in der rekonstruierten Berliner Schlosskulisse der Hohenzollern, das stattliche 680 Millionen Euro gekostet hat, wurde fürs Publikum eröffnet.

Es ist an der Zeit, dass sich die Be­su­che­r*in­nen selbst ein Bild machen – und mitreden. Denn auch wenn im Augenblick keiner so richtig weiß, welche Richtung dieses Zentrum für Kultur, Kunst, Wissenschaft und Bildung nehmen soll, scheint doch eines festzustehen: Die Debatten über das Humboldt Forum gestalten sich mit seiner Eröffnung hitziger denn je. Das wurde am Dienstag erneut deutlich: Eine Stunde vor der feierlichen Eröffnung mit Reden, Häppchen und Musik versammelten sich am Mittag rund 100 De­mons­tran­t*in­nen auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor dem Lustgarten.

Die Berliner Coalition of Cultural Workers against the Humboldt Forum hatte zu einer Plakataktion aufgerufen und um Ergänzungen für den Satz gebeten: „Ich mache nicht mit, weil …“ Die abwechslungsreichen Protestschilder, die daraus entstanden sind, künden von den zahlreichen Argumenten, die in den Jahren seit der Grundsteinlegung 2013 gegen das Prestigeprojekt ins Feld geführt wurden. „Weil sich Schuldgeschichte nicht mit Baugeschichte wegradieren lässt“, heißt es etwa, oder „wegen der Verarmung von Kulturen, deren Kunstschätze gestohlen wurden, um westliche Museen zu schmücken“.

Für Mnyaka Sururu Mboro, einen tansanischen Aktivisten und Mitbegründer von No Humboldt 21, ist dieser Tag jedenfalls „ein Trauertag“, wie er in seiner Rede sagt. Der deutsche Kolonialismus habe „so viel Blut“ gekostet – nun würden mit dem Schloss die „deutschen Kolonialherren gewürdigt. Was feiern Sie da, Frau Grütters?“, fragt er in Richtung der Staatssekretärin für Kultur, die das Haus kurz darauf eröffnet und als Museum neuen Typs lobte. Es mache die Tradition der Aufklärung und das Ideal des friedlichen Dialogs der Kulturen ganz im Sinne der Humboldt-Brüder erfahrbar, sagte die CDU-Politikerin in ihrer Rede. Deutschland empfehle sich damit als Partner in der Welt, wenn es darum gehe, dem Fremden mit Neugier zu begegnen, statt es abzuwehren und abzuwerten.

Doch die Ak­ti­vis­t*in­nen und andere Kri­ti­ke­r*in­nen sehen das anders. Sie halten das Humboldt Forum für einen unerträglichen Cremekasten, ein Symbol für den Chauvinismus, Militarismus und Nationalismus Preußens oder einfach für einen überflüssigen Kulturkoloss. Allein auf die Diskussionen über die deutsche Kolonialgeschichte in dieser ersten Jahreshälfte zurückzublicken würde ein halbes Buch füllen. Ein Ausschnitt: Als bei der digitalen Eröffnung im Dezember 2020 der Intendant des Humboldt Forums, Hartmut Dorgerloh, auf die Frage nach Nigerias Anspruch auf die berühmten Benin-Bronzen antwortete, dass „uns die Leute die Bude einrennen werden“, da war die Kritik nicht gerade leise. Sie wurde lauter, als wenig später das Auswärtige Amt in Nigeria über die Rückgabe der Bronzen zu verhandeln begann, die ausgestellt werden sollten.

Und während also die wichtigsten Player im Humboldt Forum noch damit beschäftigt waren, zuzugeben, was nicht mehr zu leugnen ist und sich ganz nebenher auch noch gegen das frisch errichtete Kreuz auf der Kuppel inklusive Bibelspruch abgrenzen musste, der die Unterwerfung aller Menschen unter das Christentum fordert, da kam auch noch das Buch des Berliner Journalisten und Historikers Götz Aly, „Das Prachtboot“, heraus. Es handelt von einem der anderen Paradeobjekte der Ausstellungen im Humboldt Forum, vom sogenannten Luf-Boot. Bis dahin hatte der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, stur behauptet, das Luf-Boot sei legal erworben worden.

Doch Aly führt aus, wie die deutschen Kolonialherren im „Schutzgebiet“ Deutsch-Neuguinea töteten, vergewaltigten und die Bewohner zur Zwangsarbeit auf ihren Plantagen verschleppten, wie deutsche Kaufleute 1882 eine militärische „Strafaktion“ anfordern. Daraufhin ermorden deutsche Marinesoldaten auf der Insel Luf bis zu 350 Menschen. 20 Jahre später kehrten Vertreter des Unternehmens, das die Strafaktion veranlasst hatte, zur Insel Luf zurück und brachten das Boot in ihren Besitz. Bei einer Presseführung Ende Juni wusste Parzinger nicht viel zu sagen auf die Frage, ob die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte nicht offensiver sein müsste – und verwies auf eine Begleitbroschüre, in der all das aufgearbeitet werde. Die Staatlichen Museen zeigten sich einmal mehr nicht nur als unbeweglich, sondern als knallharte Verteidiger ihrer Pfründen.

Doch wen es dieser Tage als Be­su­che­r*in ins Humboldt Forum verschlägt, der wird von den sogenannten außereuropäischen Sammlungen dieser Museen erst einmal nicht viel zu sehen bekommen. Die derzeit so umstrittenen Objekte des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst, die zusammen ein Drittel der riesigen Nutzfläche bespielen werden, sollen erst ab dem 22. September präsentiert werden. Stattdessen sind zunächst nur sechs Ausstellungen kleinerer Player in diesem Haus zu begutachten.

Tatsächlich kommen diese Ausstellungen erstaunlich kritisch daher. Sie sehen ihre eigene Rolle als Korrektiv des Großen und Ganzen, als Speerspitze der Bewegung sozusagen. Das gilt für die Ausstellung „Nach der Natur“ der Humboldt-Universität zu Berlin, in der es auf erhellende Art um die aktuelle Krise der Natur und der Demokratie geht. Das gilt auch für die Ausstellung „Einblicke“ über die Paten des Forums, Alexander und Wilhelm von Humboldt, die diese anders als derzeit üblich nicht nur als die intellektuellen Superheroes ihrer Zeit darstellen, sondern auch als privilegierte weiße Männer, die sich ziemlich instrumentalisieren ließen.

Das gilt vor allem aber für die Ausstellung „Berlin Global“ des Berliner Stadtmuseums unter Chefkurator Paul Spies aus Amsterdam. Während viele Ku­ra­to­r*in­nen im Humboldt Forum noch davon sprechen, man arbeite auf Augenhöhe mit den Herkunftsgesellschaften zusammen, sehen sich die Ku­ra­to­r*in­nen von „Berlin Global“ längst nur noch als Moderator*innen. Große Teile der Ausstellung habe man an sogenannte Critical Friends abgetreten, an zivilgesellschaftliche Organisationen oder Künst­le­r*in­nen. Dabei geht es in „Berlin Global“ stets um das ungeklärte Verhältnis der Deutschen zum Kolonialismus und dessen Folgen, dem omnipräsenten Alltagsrassismus.

„Mit dem Schloss werden die deutschen Kolonialherren gewürdigt“

Mnyaka Sururu Mboro, tansanischer Aktivist, von No Humboldt 21

Aber werden kleine, feine Ausstellungen wie „Berlin Global“, „Nach der Natur“ oder „Einblicke“ das Humboldt Forum wirklich in die richtige Richtung schubsen können? Die Initiativen, die am Dienstag demonstrierten, halten diese eher für den dilettantischen Versuch, kritische Stimmen zu absorbieren. Hinzu kommt, dass immer wieder einige dieser kritischen Stimmen abspringen. Erst am Freitag zog sich das selbstverwaltete Berliner Jugendzentrum Potse, das gerade mit seinem Kampf gegen Verdrängung die Debatten in der Stadt prägt und einen Raum der „Berlin Global“-Ausstellung gestalten sollte, raus. Man sei sich der Schwierigkeit immer bewusster geworden, „Kritik von innen auszuüben, ohne sich dabei als Feigenblatt ausnutzen zu lassen“.

Wird das Humboldt Forum die Kurve kriegen oder nicht, werden hier wirklich in ausreichendem Maße „komplexe, schmerzhafte und schwierige Themen wie Raubkunst, Provenienzforschung oder Restitutionsfragen die Programmarbeit prägen“, wie Intendant Dorgerloh das am Montag vor der Eröffnung formulierte? Der Hamburger Historiker und Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer schlug Mitte Mai in einem Beitrag in der taz vor, den prunkvollsten Hof mit Sand aus der Omahekewüste aufzufüllen, wo deutsche Kolonialtruppen 1904 die Herero zugrunde gehen lassen wollten. Vielleicht aber könnte man auch ohne konkrete Rückgabeforderungen vonseiten Papua-Neuguineas das Loch in der Fassade wieder aufreißen, das da eine Weile klaffte, damit das 16 Meter lange Luf-Boot eingebracht werden konnte.

Das jedenfalls wäre mal etwas anderes als der simple Abriss, den derzeit so viele an einem Ort fordern, wo schon so viel abgerissen wurde. Es wäre auch etwas anderes als feine Nadelstiche kleiner Ausstellungen und Begleitbroschüren.

Mitarbeit: Susanne Memarnia