Neues Album von Lucy Kruger: Ohne die schützende Pose der Ironie

Lucy Kruger hat Spaß daran, keinen Spaß zu haben. „Transit Tapes (For Women who Move Furniture Around)“ heißt ihr neues Album.

Lucy Kruger sitzt vor einem beigen Stoffbehang und schaut nachdenklich.

Von Melancholie geprägt: Lucy Kruger Foto: Laura Carbone

Am Ende der ersten Dekade des neuen Jahrtausends schien alles ganz einfach: Wer Teil des musikalischen Zeitgeists sein wollte, der war gut beraten, sich eine Gitarre umzuschnallen, dürre Arme durch dicke Flanellhemden zu stecken und es je nach genetischer Disposition auf einen Bart vom Kaliber Theodore Kaczynskis ankommen zu lassen. Kurzum: Männer in Großstädten verfielen in rustikale Tagträume, konterkarierten innere Zerbrechlichkeit mit den Signifikanten eines echten Kerls.

Doch ausgedient hat im Jahr 2021 die Trope des bärtigen Großstadtmelancholikers, der im Holzfällerkostüm von den Strapazen des postmodernen Lebens berichtet. Die Hypemaschine hat sich anderen Genres zugewandt. Doch es wäre verfrüht, den Indierock für tot zu erklären, nur weil die Bärte jetzt gestutzt sind und Gitarren durch Ableton ersetzt wurden.

Denn Künstlerinnen wie Lucy Dacus, Phoebe Bridgers, Julien Baker, Sharon van Etten, Katie Crutchfield (Waxahatchee), Adrienne Lenker (Big Thief), Tamara Lindeman (The Weather Station), aber auch die beiden im Lockdown entstandenen Folkalben von Taylor Swift zeigen: The ­Future is Female.

Musikalisch knüpft Lucy Krugers neues Album „Transit Tapes (For Women who Move Furniture Around)“ zwar eher an Slowcore-Größen der 90er Jahre an – Low, Galaxy 500 und Mazzy Star bleiben als Echo im Ohr zurück –, verschreibt sich aber dennoch einer etwas aus der Zeit gefallenen Ironielosigkeit: Kruger hat Spaß daran, keinen Spaß zu haben.

Album ist Krugers „Dylan goes Electric“

War der Vorgänger „Sleeping Tapes for Some Girls“ noch geprägt von Akustikgitarren, ist „Transit Tapes“ jetzt Krugers „Dylan goes Electric“. Mit den Lost Boys (die sich nur zu einem Teil wirklich aus Boys zusammensetzen) spannt Kruger fragile Songgebilde über Texte, die von einer Auseinandersetzung mit sich und dem eigenen Frausein zeugen, von Isolation und gleichzeitiger Sehnsucht nach menschlichem Kontakt, nach dem Leben in Ekstase, aber auch nach Geborgenheit und Intimität: „I am desperate for change / But I am desperate to feel safe“.

Lucy Kruger & The Lost Boys: „Transit Tapes (For Women who Move Furniture Around)“ (Unique Records)

Für Lucy Kruger steht in jedem Song alles auf dem Spiel. Sich der Welt ohne die schützende Pose der Ironie auszuliefern, zeugt von Mut, und man merkt ihr an, dass diese Erkundung des Inneren mitunter harte Arbeit ist. Dann scheint sich Krugers düster gehauchtes Timbre mehr im Selbstgespräch als im Dialog mit der Zu­hö­re­r*in zu befinden: „What do I mean / When I say I want something more?“

Hier und da wirkt es so, als müsse sie sich selbst noch einmal gut zureden, ein paar letzte Dinge mit sich ausmachen, bevor sie die Klangmauer durchbricht und plötzlich eine klare Forderung an die Welt und das Leben stellt: „I want something more / Give me something more!“ (A Ringing). In diesen Momenten entwickeln Krugers Songs dann einen Sog, ziehen einen im Würgegriff in Abgründe hinab, denen man nur schwer entrinnen kann.

Umzug von Südafrika

Aber nicht nur Krugers Denken befindet sich im Wandel. 2018 zog sie von ihrer Heimat Südafrika nach Berlin und tauschte Tafelberg gegen Teufelsberg. Es folgte eine Zeit der Einsamkeit, dann kam die Pandemie. Ihre alte Band Medicine Boy löste sich auf, alles war plötzlich auf neu. Hier und da meint man in Krugers Timbre die Verunsicherung zu hören, die solche Zäsuren mit sich bringen: „But it’s true / It feels like something new“.

Doch auf sich selbst zurückgeworfen hat Kruger gelernt, eine gesunde Distanz zu ihren Gefühlen und Affekten zu entwickeln, und obwohl ihre Welt von Melancholie zusammengehalten wird, rutscht Kruger nie ins Lamentieren oder Selbstmitleid ab: „It feels like something new / Then again I’ve felt that way before“.

Mit Alice Phoebe Lou und Cherilyn MacNeil (Dear Reader) haben eine Reihe südafrikanischer Songwriterinnen Berlin zur Wahlheimat erklärt. Auch wenn weder sie noch Lucy Kruger schon auf dem Radar der großen amerikanischen Hypemaschine aufgetaucht sind, so zeigt sich, dass die Gerüchte um das Ende des Indierock stark übertrieben sind: Aufrichtigkeit ist die neue Ironie.

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