piwik no script img

Fetisch ja, Sex nein

CSD soll queere Vielfalt zeigen und dabei verstören dürfen

Wie politisch sind Gummi-Hundeschnauzen auf einer Demonstration für die Rechte queerer Menschen? Dieser seit dem vergangenen Wochenende vor allem in sozialen Medien verhandelten Frage muss sich der Verein stellen, der in Bremen seit 2017 den Christopher Street Day, kurz CSD, organisiert. Zudem handelte sich der Verein den Vorwurf ein, sich auf einer Linie mit den homophoben Despoten Putin und Orbán zu bewegen. Geht‘s noch?

Der Reihe nach: Im vergangenen November veröffentlichte der Bremer CSD-Verein sein Selbstverständnis auf seiner Homepage. Unter „Vision und Grundsätze“ stand dort: „Das Darstellen von Fetischen in der Öffentlichkeit finden wir nicht hilfreich, wenn wir bei der gleichen Demonstration und Kundgebung über Themen wie Asylrecht, Trans*­Recht oder queere Krankenversorgung sprechen möchten.“

Das hat acht Monate lang niemanden gejuckt, aber jetzt, keine zwei Monate vor dem Paraden-Wochenende, kochte das Thema plötzlich hoch. Nachdem vor allem die schwule Fetisch-Szene Schnappatmung bekam und ihrem Ärger in erbosten Kommentaren auf Twitter Luft verschaffte, änderte der Verein die Formulierung. Jetzt bitten die Demo-Organisator*innen nur noch darum, auf die Darstellung sexueller Handlungen zu verzichten. Sie begründen dies nach wie vor damit, dass Zuschauende nicht einwilligen könnten, ob sie so etwas sehen wollen oder nicht.

Diese Haltung stößt allerdings auch denjenigen sauer auf, die ansonsten wenig gemeinsam haben mit weißen Männern, die sich auf allen Vieren in Hundekostümen oder Lederkleidung gerne von ihren martialisch gekleideten Partnern an der Leine herumführen lassen. „Der CSD ist kein bürgerlicher Protest“, sagte Kai Wargalla, die queerpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft, der taz.

„Es ging immer um das Recht, so sein zu dürfen, wie man ist und lieben zu dürfen, wen man will“, sagte Wargalla. Daher müsse die Aussage der Demonstration immer sein: „Ihr habt uns in unserer Vielfalt zu akzeptieren.“ Und: Es wäre fatal, „im vorauseilenden Gehorsam Schlips und Krawatte anzuziehen“.

Ob am 28. August dann wirklich massenhaft halbnackte haarige Männer in der Bremer Innenstadt ihre sexuellen Vorlieben ausstellen werden? Unwahrscheinlich.

Zunächst einmal beginnt am heutigen Samstag in Hamburg die Pride-Week 2021 unter dem Motto „Keep on fighting – Together.“ Die „gesamte Stadtgesellschaft“, heißt es in dem Demo-Aufruf, solle ermuntert werden, „zusammenzustehen und sich für die Rechte und die Akzeptanz von LSBTIQ stark zu machen“. Also nicht nur für Homosexuelle und trans Menschen, womit die Proteste vor 50 Jahren begonnen haben, sondern für alle, die nicht ins Muster der heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit passen: „Denn die Rechte von Minderheiten betreffen die gesamte Gesellschaft“. Eiken Bruhn

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen