piwik no script img

Der langweiligste Videoclip aller Zeiten

Misstöne sind für die Band Zahn Alltag. Ihr neues Album bedient sich aus den Steinbrüchen von Noise und Rock

Von Thomas Winkler

Richtig bösartig wird es dann in „Gyhum“. Die Gitarren sägen sich mit der sardonischen Spiellust eines sadistischen Zahnarztes in die Gehörgänge, und im Hintergrund fließen elektronisch grundierte Klangflächen zähflüssig und doch bösartig brodelnd wie Lava. Der Track ist einer von acht auf dem neuen Album der Band mit dem seltsamen, zu Dental-Witzen nachgerade aufrufenden Namen Zahn und durchaus exemplarisch: Das Berliner Trio erforscht in seinen Instrumentals, was alles passieren kann, wenn man die Konventionen der kontemporären populären Musik bloß als Steinbruch versteht. Oder, anders gesagt: wenn man keine Angst vor Misstönen hat.

Denn damit kennen sich Zahn aus. Kann sich die Formation doch durchaus als Supergroup des bundesdeutschen Underground bezeichnen, allesamt sind sie gut vernetzt und haben langjährige Erfahrungen bei verschiedenen Bands gesammelt. Nic Stockmann hat früher mal bei Eisenvater getrommelt, bei Heads. spielt er heute noch. Von dort kennt er schon den Bassisten Chris Breuer, der auch bei The Ocean aktiv ist. Dritter bei Zahn ist Felix Gebhard, der als Keyboarder zur Live-Besetzung der Einstürzenden Neubauten gehört, früher mal in der Filmband Hansen um Schauspieler Rüdiger Vogel spielte und selbst das Singer/Songwriter-Projekt House of The Lame betreibt, hier bei Zahn aber vor allem die Gitarre bedient. Auf dem Debütalbum Zahn werden die drei auch noch von anderen, zum Teil prominenten Bekannten wie Alexander Hacke unterstützt. Der Keyboarder der Einstürzenden Neubauten steuert die bisweilen gemeinen Synthesizer-Sounds bei.

Nur erfinden Zahn damit nicht das Rad neu. Aber sie bedienen sich wohlinformiert in der Geschichte von Gitarrenrock und setzen die verschiedenen Versatzstücke versiert wieder zusammen. Das Eröffnungsstück „Zerrung“ bollert los wie ein Hard-Rock-Klassiker, bevor die Gitarre psychedelisch wabernd einsetzt, das Tempo angezogen wird und fröhlich die Säge kreischt. Durch „Tseudo“ wehen dank Lapsteel-Gitarre Windhosen und noch ein paar weitere Wüstenklischees wie durch einen zweitklassigen Western. „Lochsonne Schwarz“ trägt nicht umsonst diesen Namen und gräbt sich mit seinem tiefergelegten Grummelsound direkt in den Beckenboden.

Immer wieder tauchen die üblichen Verdächtigen in der Assoziationsräumen auf, die Zahn mit ihren bis zur Monotonie wiederholten Riffs besonders weit aufspannen: Natürlich vor allem Black Sabbath, aber auch die Brutalität der Melvins, der Zeitlupenrock von St. Vitus, die verstaubten Kyuss, das Verspulte von Hawkwind. Zahn spielen mal Stoner Rock, mal Doom Metal, gelegentlich sogar Art-Rock oder Post-Punk, fast immer Noise Rock. Und zum Abschluss in „Staub“ gönnen sich Zahn einfach mal ein entspanntes, bluesiges Riff, auf dem sie so lange und ausdauernd herumreiten, bis es einzuschlafen scheint, das Tempo immer langsamer wird und nahezu zum Stillstand kommt, und sich die Musik schließlich einfach in ein verstrahltes Wohlgefallen auflöst.

In dem Moment wird einem spätestens die besondere Qualität von Zahn klar. Diese Musik will nirgendwohin, sondern nur selbstgefällig um sich selbst kreisen, sie ist sich selbst genug und kann so – trotz aller Lautstärke und Kraftprotzerei – eine wundervolle, nahezu zenartige Ruhe ausstrahlen. Ein Umstand, der mit der visuellen Umsetzung von „Tseudo“ gut illustriert wird: Breuer, Stockmann und Gebhard sitzen auf der Rückbank eines Autos und blicken gelangweilt an der Kamera vorbei. Eine Einstellung, keine Schnitte, meist ist nicht mal die Stadt durchs Rückfenster zu sehen. Der langweiligste Videoclip aller Zeiten, aber in seiner Der-Weg-ist-das-Ziel-Haltung ein schöner Gegenentwurf zur Betriebsamkeit gewöhnlicher Popmusik-Inszenierungen.

Zahn: „Zahn“ (Crazysane)

Live: 22. 10., Zukunft am Ostkreuz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen