Lufthansas Rolle bei Abschiebungen

Eine Initiative prangert das Unternehmen für seine Hilfe bei einem Viertel aller Abschiebungen an. Piloten könnten diese verhindern

Das Abschiebegefängnis am Flughafen in Schönefeld hat auch ein Kinderzimmer Foto: Ralf Hirschberger/dpa/picture alliance

Von Timm Kühn

Es gäbe „keine tödlichere Art zu fliegen“ – so wird ein Werbeslogan der Lufthansa auf dem Fronttransparent des kleinen Demonstrationszuges abgewandelt, der sich um etwa 15 Uhr am Montagnachmittag am Bahnhof Jungfernheide versammelte. Etwa 50 Menschen sind gekommen, um von dort bis zur Lufthansazentrale am Siemensdamm zu ziehen. Dort protestierten die Teil­neh­me­r:in­nen dagegen, dass in Maschinen der Lufthansa bundesweit wohl am meisten Menschen abgeschoben werden – 5.885 Personen sollen es 2019 gewesen sein, wie es im Demoaufruf unter Verweis auf eine kleine Anfrage der Linken aus dem Jahr 2020 heißt – stolze 25 Prozent aller Abschiebungen in diesem Jahr. Aus Berlin wurden 2020 rund 1.310 Menschen über den Luftweg abgeschoben. Sammelabschiebungen gab es demnach in 26 Fällen.

„Ich bin selbst Betroffener“, erzählt ein vielleicht fünfzigjähriger Mann auf die Frage, warum er heute hier sei. 1986 hätte er 31 Tage in Abschiebehaft verbracht – obwohl sein Asylantrag als türkischer Oppositioneller und Gewerkschaftsaktivist in Frankreich bereits angenommen worden sei. „Ich habe damals viel Unterstützung erfahren, deshalb bin ich verpflichtet, heute auch andere Menschen in ähnlichen Lagen zu helfen“, sagt er. Auch damals habe schon ein Ticket für seinen Abschiebeflug existiert – ausgestellt von der Lufthansa, wie der Mann erzählt.

Gekommen sind vor allem Schü­le­r:in­nen und auch einige Geflüchtete. Zum Protest aufgerufen hatte die Berliner Gruppe No Border Assembly. Diese hatte die Abschiebepraktiken des Unternehmens schon in einer Aktion im Jahr 2020 angeprangert.

Im selben Jahr stufte die Bundesregierung es als Verschlusssache ein, welche Fluggesellschaften Abschiebungen durchführen. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass eine „öffentliche Benennung“ die Gefahr berge, „dass diese Unternehmen öffentlicher Kritik ausgesetzt werden“. Maria Schwarz, Sprecherin der No Border Assembly, bezeichnete dies als „Skandal“ und forderte „volle Transparenz“ darüber, „welche Fluggesellschaften von diesem rassistischen System profitieren“. Solange es keine aktuelleren Zahlen gebe, werde die Gruppe davon ausgehen, dass die Lufthansa weiterhin „sehr viele Abschiebungen durchführt“.

Konkret fordert die Gruppe von der Berliner Landesregierung, dass sich Berlin nicht mehr an Charterabschiebeflügen beteiligt, also dem Anmieten von Maschinen zum Zwecke einer Sammelabschiebung. Wie Schwarz erklärt, betreffe dies aber nicht die Lufthansa, denn das Unternehmen vermiete keine Maschinen, sondern verkaufe „Abschiebetickets für ganz normale Linienflüge“.

Darüber hinaus will die Gruppe erwirken, dass der Senat jede Möglichkeit prüft, um Abschiebestopps in Krisenregionen zu erlassen. Zudem sollten „alle Möglichkeiten des Aufenthaltsgesetzes genutzt werden, um Menschen zu legalisieren“, so Schwarz.

Auch Weisungen an die Ausländerbehörde, sich „kooperativ und hilfsbereit“ zu verhalten, könnten hier helfen. Zudem werden die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg dazu aufgefordert, „den ‚Ausreisegewahrsam‘ in Schönefeld abzuschaffen“. In diesem können straffällig gewordene Migrant:innen, die abgeschoben werden sollen, festgehalten werden.

Lufthansa sieht sich rechtlich an einen Beförderungsvertrag gebunden

Auf taz-Nachfrage schrieb ein Lufthansa-Sprecher, „grundsätzlich“ lehne das Unternehmen „Abschiebungen gegen den Widerstand der Betroffenen ab“. Man sei allerdings an einen „Beförderungsvertrag“ gebunden und könne „nicht eigenmächtig Passagiere vom Flug ausschließen“. Dies sei lediglich dann möglich, wenn diese „aufgrund ihres Verhaltens oder Zustands eine konkrete Gefahr oder unzumutbare Belastung für andere Passagiere“ darstellen. Es gebe rechtlich für die Lufthansa keine Möglichkeit, einem Kauf von Tickets für Abschiebeflüge abzulehnen.

Auch die Initiative bezieht sich auf dieses „Beförderungsverweigerungsrecht“. Sie argumentiert, dass im Falle einer Abschiebung „immer“ von einer Gefahr auszugehen sei, schon alleine wegen der Suizidalität abzuschiebender Menschen – und weil während einer Abschiebung prinzipiell mit Polizeigewalt gerechnet werden müsse.

Immer wieder weigern sich auch Pilot:innen, Abschiebungen durchzuführen. Prinzipiell berufen können sie sich dabei auf Paragraf 12 des Luftsicherheitsgesetzes, welcher sie grundsätzlich berechtigt, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um eine bestehende Gefahr für einzelne Personen an Bord oder des Luftfahrzeuges insgesamt abzuwenden. „2019 haben sich Mitarbeitende der Lufthansa in 309 Fällen geweigert, Abschiebungen durchzuführen“, erzählt Schwarz. Der Protest zu Feierabendzeiten vor den Toren der Unternehmenszentrale diene deshalb auch dem Zweck, „den Widerstand innerhalb des Unternehmens“ zu „befeuern“.

Zu Konfrontationen mit Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Lufthansa kam es bei der Demo allerdings bis Redaktionsschluss nicht. Lediglich zwei Angestellte standen auf der anderen Seite des Zaunes und lauschten rauchend den Redebeiträgen, in denen unter anderen angeprangert wurde, dass Lufthansa ein „Profiteur“ des Abschiebegeschäfts sei.