piwik no script img

Polizei kniet Schwarzen nieder

Nach der Festnahme eines jungen Mannes werfen mehrere Zeu­g*in­nen der Bremer Polizei übermäßige Aggressivität vor – auch gegen Pas­san­t*in­nen

Will eigentlich nur helfen und Freund sein: die Polizei, hier indes die aus Hannover Foto: Bernd Schwabe

VonJan Zier

Nach einem Polizeieinsatz in der Neustadt in der vergangenen Woche mehren sich die Augenzeug*innenberichte, die scharfe Kritik an den Einsatzkräften üben. „Die Bremer Polizei geht gewaltsam rassistisch vor und diffamiert die kritische Öffentlichkeit“, schreibt die „AG Cop Watch Bremen“ in einer Stellungnahme.

Was war passiert? Nach Angaben der Polizei hatten zwei Männer einige Kun­d*in­nen eines Supermarktes an der Westerstraße „mit dem Tod bedroht und beleidigt“, ein Verdächtiger soll anschließend mit seiner Gehhilfe in Richtung der Po­li­zis­t*in­nen gestikuliert und behauptet haben, er führe ein Messer mit sich. „Er ging mit aggressiven Drohgebärden auf die Beamten zu und schlug mit der Krücke mehrfach in Richtung ihrer Köpfe“, schreibt die Polizei, und dass sich der 21-Jährige der Festnahme widersetzt habe. Sie benennt seine Nationalität und sagt, er habe die Be­am­t*in­nen als ­„Nazis“ und „Rassisten“ beschimpft.

Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Supermarktes konnten diese Darstellung der Polizei gegenüber einer Augenzeugin jedoch nicht bestätigen. Die AG Cop Watch Bremen schreibt, zwei schwarze Personen seien in einen Konflikt mit einem weißen Mann geraten, letzteren habe die Polizei jedoch gleich wieder gehen lassen.

Kurz darauf „eskalierte“ die Situation, wie mehrere Au­gen­zeu­g*­in­nen unabhängig voneinander berichten. Der 21-Jährige lag am Boden, auf dem Bauch, berichten sie, „und mehrere Be­am­t*in­nen knieten auf seinem Rücken, einer davon auf seinem Nacken“. Der junge Mann „schrie in Panik“, sagt eine Augenzeug*in, „und die Polizisten waren auch sehr laut“. Sie „verdrehten mehrfach den Kopf des jungen Mannes und drückten ihn an eine Hauswand, sodass der Betroffene aus der Nase oder dem Mund blutete“, schreibt die AG Cop Watch Bremen. Zuvor habe der Betroffene immer wieder gerufen: „Mein Bein ist gebrochen, lassen sie mich los!“ Der Mann musste „mit körperlicher Gewalt gegen eine Wand gedrückt, danach zu Boden gebracht und dort fixiert werden“, bestätigt die Polizei. War der Mann möglicherweise psychisch krank, wie Au­gen­zeu­g*­in­nen­be­rich­te nahelegen? Darauf habe es keine Hinweise gegeben, sagt die Polizei. „Auf jeden Fall war er ziemlich neben der Spur“, sagt eine Zeug*in.

Von den Polizisten sei eine „sehr aggressive Stimmung“ ausgegangen, berichten mehrere Au­gen­zeu­g*­in­nen der taz übereinstimmend. Die Polizei setze in Konfliktsituationen auf „deeskalierende Gesprächsführung“, erklärt diese, und dass im konkreten Einsatz „die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich“ gewesen sei. Gegen den 21-Jährigen wird wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Bedrohung und Beleidigung ermittelt. Weser-Kurier und Radio Bremen übernahmen in ihrer Berichterstattung die Darstellung der Polizei.

Darin ist auch von mehreren „Schaulustigen“ die Rede, welche die polizeilichen Maßnahmen „lautstark hinterfragten und behinderten“. „Das ist eine Frechheit“, sagt eine Zeug*in, die nicht als Gafferin abgestempelt werden will. Sie hat ein ausführliches Gedächtnisprotokoll verfasst, dass der taz vorliegt. Darin heißt es: „Da ich um den jungen Mann große Angst bekommen habe, habe ich die Polizisten laut, aber nicht schreiend gefragt: Was machen Sie denn da?“ und: „Vorsicht, das ist doch gefährlich, was Sie da machen!“ Die Passant*innen, mit denen sie gesprochen habe, hätten alle „große Angst“ um den Mann gehabt, so die Zeug*in.

Auch der Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Olaf Zimmer, der in unmittelbarer Nähe wohnt, kam zu dem Geschehen hinzu. Die Polizei „drückte den Kopf des Mannes an die Wand“, sagt er, und dass die Polizei ihn „angebrüllt“ habe, er solle „gefälligst weggehen“. Er habe Abstand gehalten, niemandem im Weg gestanden oder gar an der Arbeit gehindert, versichert er, aber auch, dass er als Zeuge das Geschehen weiter habe beobachten wollen. „Der mehrfachen Aufforderung, Abstand zu halten und die Maßnahmen nicht zu behindern, kam er nicht nach“, schreibt indes die Polizei über Zimmer.

Die Polizei habe ihm „ohne Grund“ einen Platzverweis erteilt und ihm gedroht, sie werde ihn mitnehmen, wenn er den Platzverweis nicht befolge, sagt der Parlamentarier, der sich als solcher zu erkennen gab.

„Die Aggressivität der Po­li­zis­t*in­nen richtete sich von Anfang an auch gegen die Passant*innen“, schreibt AG Cop Watch Bremen – auch an coronabedingte Mindestabstände hätten sich die Po­li­zis­t*in­nen nicht gehalten. Zudem hätten die Be­am­t*in­nen von einem Passanten, der die Szene gefilmt hatte, verlangt, das Video in ihrem Beisein zu löschen. Das bestätigt eine weitere Zeug*in. Dabei sagt selbst die Polizei, dass das Filmen ihrer Maßnahmen „regelmäßig zulässig“ sei.

Die Polizei diffamiere „gezielt die kritische Öffentlichkeit und versucht, sie einzuschüchtern“, kritisiert die AG Cop Watch Bremen. Sie versuche, „die Situation im Nachhinein aufzubauschen, um ihr gewaltvolles Vorgehen zu rechtfertigen“.

Für die Polizei sind sie nur „Schaulustige“, die ihre Arbeit „behindern“. Sie selbst verstehen sich als kritische Öffentlichkeit

Die Initiative wirft der Polizei vor, gezielt „Drohungen, Falschinformationen und rassistische Markierungen“ zu verbreiten. „Wozu zum Beispiel erfahren wir, dass der Betroffene somalischer Staatsangehöriger ist?“ Weil die Be­am­t*in­nen als „Rassisten“ beschimpft wurden, antwortet die Polizei.

Die Polizei sagt, sie sehe sich „vermehrt solchen Konfliktsituationen und mangelndem Respekt ausgesetzt“. Im gleichen Moment benennt sie Be­ob­ach­te­r*in­nen pauschal als „Schaulustige“. Diese sollten „die Polizei nicht [...] behindern und nicht vorschnell über das Verhalten der Einsatzkräfte urteilen“, heißt es in der Pressemitteilung.

Die Autorin des Gedächtnisprotokolls hingegen sagt: „Wenn ich da stehe, können die nicht mehr machen, was sie wollen.“ Und die AG Cop Watch Bremen sagt: „Eine kritische Öffentlichkeit ist häufig die einzige Möglichkeit, Polizeigewalt zu dokumentieren und in vielen Fällen das Schlimmste zu verhindern.“

Ein Ausweg in solchen Konfrontationen könnte professionelle Unterstützung sein. Das findet auch die Au­to­r*in des Gedächtnisprotokolls: „Ich habe gefragt, ob es in solchen Fällen nicht Po­li­zei­psy­cho­lo­g*in­nen gebe, die ein solches Geschehen besser deeskalieren könnten.“ Aber die Polizei habe ihr darauf bloß geantwortet, das würde „zu lange dauern“.

In einem Gespräch mit einem der Polizisten habe der ihr zudem gesagt, er wisse auch nicht, warum die Kollegen den jungen Mann so behandelt hätten. „Und ließ meines Erachtens durchblicken, dass er auch nicht damit einverstanden gewesen sei.“ Auf Nachfrage der taz sagt die Polizei jedoch, dass sie nach vorläufiger Bewertung „besonnen“ gehandelt habe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen