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Sieg der Propaganda

Iran bekommt einen neuen Präsidenten. Der Hardliner Ebrahim Raisi ist am Wochenende zum Wahlsieger erklärt worden. Die Beteiligung an der Abstimmung war historisch niedrig

Aus Teheran Julia Neumann

Als die Sonne am Samstag untergeht, zünden auf dem Imam-Hussein-Platz in Teheran junge Männer Feuerwerk. Sie feiern den Sieg von Ebrahim Raisi in der Präsidentschaftswahl vom Vortag. Auf Teppichen sitzen Menschen, während um sie herum iranische Papierfahnen geschwungen werden. Ein Sänger tritt auf, dann ruft ein Sprecher ins Mikrofon: „Gott, hilf Raisi, der der Revolution dient, der den Leuten dient. Hilf ihm, das Land zu leiten.“

„Ich bin glücklich. Er kann wirklich etwas für die Leute tun“, sagt Nahid Isanedschad. Sie hält in einer Hand eine Brottüte, in der anderen ein Fähnchen. „Er wird tun, was er versprochen hat“, glaubt die 53-jährige Hausfrau. Ihre Stimme wird übertönt von einer Rede über Lautsprecher. Darin geht es um die einfachen Leute, den Islam und die Revolution. Raisis Sieg interpretieren die Hardliner im Land als Unterstützung für das Systems der Islamischen Republik. Dabei sind von den wahlberechtigten rund 59 Millionen Ira­ne­r*in­nen nur 48,9 Prozent zur Wahl gegangen – nach offiziellen Angaben. Seit der Gründung der Islamischen Republik 1979 ist das ein historisch niedriges Ergebnis.

Raisi ist umstritten. Er gilt als verantwortlich für massenhafte Exekutionen im Jahr 1988. Wegen Menschenrechtsverletzungen steht er seit 2011 auf der EU-Sanktionsliste und seit 2019 auf jener der USA. Im August soll er nun Hassan Rohani als iranischen Präsidenten ablösen. Der Wächterrat hat ihm zum Sieg verholfen. Das Wahlgremium aus 12 Klerikern und Juristen hatte vor der Wahl ordentlich aussortiert. Von knapp 600 Kan­di­da­t*in­nen blieben nur sieben Kandidaten übrig, von denen wiederum ein Reformer sowie zwei Konservative noch vor der Wahl aufgaben. Rohani war nicht erneut angetreten.

Die Wahl sei eine Inszenierung, sagt ein 18-Jähriger am Wahltag, der vor einem Wahllokal an einem Zaun steht. „Sie sollten schreiben, was wirklich passiert: Die Menschen, die wählen, profitieren davon, ihre Stimme abzugeben.“ Die Wäh­le­r*in­nen oder ihre Angehörigen arbeiteten hauptsächlich für den Staatsapparat, ist der Schüler überzeugt. Bei der Registrierung für die Wahl haben die Menschen einen Stempel in einen Identifikationspass bekommen, der Geburtsort, Religion, Namen der Eltern und des Ehepartners enthält. Der Stempel macht erkenntlich, dass die Person gewählt hat.

Etwas abseits eines Wahllokals im Norden Teherans steht der 37-jährige Gholam: „Ich arbeite im öffentlichen Sektor. Deshalb gehe ich zur Wahl und stecke leere Zettel in die Urne“, erklärt der Busfahrer. Gholam hätte Ex-Präsident Mahmud Ahmadinedschad seine Stimme gegeben, doch der Wächterrat hatte ihn aussortiert.

Bestimmendes Thema vor der Wahl war die Wirtschaftslage. 2015 noch entsprach ein US-Dollar etwa 32.000 Rial. Heute sind es 238.000 Rial. Die Bankguthaben haben massiv an Wert verloren, Altersversorgungen sind dezimiert. Der Milchpreis ist um 90 Prozent gestiegen, die Kosten für importierte Waren wie Handys und Elektrogeräte sind für viele unbezahlbar. Wer Rial in stabile ausländische Währungen umzutauschen konnte, hat Edelmetalle wie Gold gekauft oder in Immobilien investiert. Das hat die Mieten hochgetrieben.

„Die Menschen, die wählen, profitieren davon, ihre Stimme abzugeben“

Schüler in Teheran

In TV-Debatten vor der Wahl hatte Raisi sich als Kämpfer gegen Korruption profiliert und gesagt, er werde nur unbestechliche Minister benennen. „Acht Jahre lang habe ich nicht gewählt“, sagt eine 33-jährige Geschäftsfrau, die aus dem Wahllokal zu ihrem Fahrer eilt. „Raisi ist einer der noblen Männer: talentiert, gebildet und frei von Korruption.“

Zwar war der einzig moderate Kandidat, Abdolnaser Hemmati, Wirtschaftsprofessor. Doch als ehemaligen Zentralbankchef verbanden ihn viele mit dem Verfall der Währung, den er nicht aufhalten konnte. Dass ein konservativer Kandidat während eines TV-Duells darauf hinwies, dass Hemmati die Benzinpreise erhöhen wolle, schadete zudem seiner Popularität.

Als 2019 die Benzinpreise um 200 Prozent stiegen, wuchs der Unmut. Auf Massenproteste verhängte die Regierung eine Internetsperre und tötete nach Angaben von Human Rights Watch insgesamt 300 Menschen. Die Nachrichtenagentur Reuters sprach sogar von 1.500 Toten. Auch Mütter und Frauen der Opfer riefen daher zum Wahlboykott auf. Viele Menschen gingen aus Ablehnung des Systems der Islamischen Republik nicht wählen. „Wir haben aufgegeben, durch Wahlen etwas verändern zu wollen“, sagte eine 19-jährige Kunststudentin.

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