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Am Anfang ist das Wort

Im Studium der Islamwissenschaft wird dem Erlernen der arabischen Sprache viel Zeit gewidmet. So werden kulturelle, religiöse und politische Aspekte erschlossen. Vorurteile sind aber auch Thema

Gesucht: junge Islamwissenschaftler*innen. Mit ihrer Hilfe berichten Zeitungen vielleicht auch nicht mehr so stereotyp über Muslime (aus der Ausstellung „Was los, Deutschland?“) Foto: Joachim Göres

Von Joachim Göres

Einführung in die Islamwissenschaft sowie Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens – mit diesen Themen beschäftigen sich an der Universität Kiel die Erstsemester im Fach Islamwissenschaft. So steht es zumindest im Studienverlaufsplan. „Tatsächlich hat man das Gefühl, dass man in den ersten beiden Semestern nur Arabisch lernt“, sagt Julian Umbreit. Kein Wunder, denn zu den wöchentlich acht Stunden im Arabisch-Sprachkurs kommen noch einmal 16 Stunden für die individuelle Vor- und Nachbereitung.

„Wenn man nicht ständig am Ball bleibt, schafft man den Stoff nicht“, sagt Umbreit, der im vierten Semester Islamwissenschaft sowie im weiteren Bachelor-Hauptfach Politikwissenschaft studiert. „Wir haben mit 30 Leuten angefangen, jetzt sind wir noch zu fünft. Viele unterschätzen die Schwierigkeit der arabischen Sprache und brechen ab.“ Derzeit kann er sich vorstellen, einmal als Journalist zu arbeiten. „Ich wollte gerne einen Schwerpunkt im Studium haben, den nur wenige wählen. Außerdem wollte ich gerne mehr über ein Thema wissen, das polarisiert und über das jeder spricht, auch wenn es für viele Menschen Neuland ist“, sagt der 20-Jährige.

Er betont, dass es bei der Islamwissenschaft nicht um ein theologisches Studium geht, sondern dass neben der Sprache die Kultur, die Geschichte, die Politik und die Gesellschaft einzelner Regionen im Mittelpunkt stehen. Auf sechs Semester ist das Bachelor-Studium in Kiel angelegt, im letzten Jahr kommt mit Türkisch oder Persisch noch eine weitere Sprache hinzu. „Man braucht eine Begeisterung für neue Sprachen“, sagt Umbreit, der in der Schule in Englisch gut war, aber mit Französisch wenig anfangen konnte: „Da habe ich mich irgendwann hängen lassen und kam nicht mehr hinterher. Daraus habe ich für Arabisch gelernt.“

Apropos Schule: Eigene inhaltliche Schwerpunkte kann Umbreit im Fach Islamwissenschaft nicht setzen, das Studium ist verschult, die Lerngruppen sind klein, wer fehlt, fällt auf und wird später darauf angesprochen. „Man fühlt sich wie in einer Schulklasse. Mir gefällt das aber sehr gut, denn man baut enge Bindungen zu den anderen Studierenden auf, das Verhältnis zu den Lehrenden ist sehr gut“, sagt Umbreit. Im vierten Semester wird ein Auslandssemester oder zumindest ein Sprachkurs in einem arabischen Land empfohlen. „Das ging wegen Corona leider nicht, aber ich will das unbedingt nachholen“, sagt Umbreit, der hofft, dass ab dem Wintersemester endlich wieder Präsenzveranstaltungen stattfinden – derzeit läuft sein Studium noch komplett online.

Einen Überblick über islamwissenschaftliche Studiengänge bietet die Homepage der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (www.dmg-web.de/iswi) unter dem Stichwort Studium. Dort sind auch die Studiengänge Islamische Religion bzw. Theologie aufgeführt, die den Koran zum Hauptgegenstand haben. Die Ausstellung „Was los, Deutschland? Ein Parcours durch die Islamdebatte“ gastiert noch in Buxtehude (2.–16. 7.); es folgen Lüneburg (6.–17. 9.), Walsrode (20. 9.–1. 10.), Erfurt (4.–15. 10.), Rotenburg/Wümme (8.–18. 11.), Hannover (22. 11.–10. 12.), Leipzig (13. 12.–14. 1.22) sowie Kassel (17.–28.1.22), waslosdeutschland.info.

Johann Büssow ist Professor am Lehrstuhl für Orientalistik der Ruhr-Universität Bochum. Jedes Jahr fangen bei ihm und seiner Kollegin Cornelia Schöck rund 50 Studierende mit dem auf sechs Semester angelegten Bachelor-Studiengang Orientalistik und Islamwissenschaft an, weniger als die Hälfte schaffen es bis zum Abschluss. „Der Arabischkurs ist sehr fordernd, es gibt im ersten Jahr einen großen Schwund“, sagt Büssow. Von den Bachelor-Absolventen entscheiden sich dann etwa die Hälfte für das viersemestrige Master-Studium Orientalistik und Islamwissenschaft.

Das Interesse an Politik und Kultur des Nahen Ostens, an Sicherheitsfragen und bei Studierenden mit Migrationserfahrung die Suche nach den eigenen Wurzeln: Dies nennt Büssow typische Beweggründe für die Wahl des Studienfachs, das häufig mit dem Zweitfach Religionswissenschaft, Erziehungswissenschaft, Geschichte, Medienwissenschaft, Politik oder einer anderen Fremdsprache kombiniert werde.

Im laufenden Semester finden neben den Sprachkursen Veranstaltungen wie „Persische Lyrik“, „Türkischer Nationalismus – von seiner Entstehung bis zur Gegenwart“, „Koranexegese in arabischer Sprache“ oder „Muslimische Lebenswelten im Ruhrgebiet: Einführung in die Methoden qualitativer Sozialforschung“ statt. Dabei wird im Online-Semester mehr Wert als sonst auf schriftliche Seminararbeiten gelegt. „Wir haben zum Teil sehr gute Arbeiten bekommen, einige Studierende blühen unter den neuen Bedingungen auf. Anderen fällt es dagegen schwer, so zu studieren“, sagt Büssow, der von guten Berufsperspektiven spricht. Jannik Veenhuis hat Islamwissenschaft und Geschichte an der Universität Hamburg mit dem Abschluss Master studiert und danach unter anderem als Referent zu Themen wie Islam, interkulturelle Weiterbildung, Stereotype und Vorurteile gearbeitet. „Seit der Ankunft vieler Geflüchteter in Deutschland werde ich häufig von Parteien, Stiftungen, Kirchen, der Polizei und anderen Stellen angefordert, um über Flucht und Migration zu referieren“, sagt Veenhuis.

Der Arabischkurs ist sehr fordernd, es gibt im ersten Jahr einen großen Schwund

Alles Tätigkeiten, die der 34-Jährige sich selber auf der Grundlage seines Studiums erarbeitet hat. „Das Studium allein führt nicht zu einem bestimmten Ziel. Man muss schauen, wo man die Schwerpunkte setzen will. Später zieht es viele in den Journalismus oder in die Forschung, andere arbeiten bei Stiftungen, der Polizei oder auch bei Geheimdiensten. Alle in unserem Jahrgang haben einen Job gefunden, viele bereits nach dem Bachelor“, sagt Veenhuis.

Unter dem Titel „Was los, Deutschland? Ein Parcours durch die Islamdebatte“ hat er auch eine bundesweite Wanderausstellung zum deutschen Islamdiskurs konzipiert (siehe Kasten). An insgesamt elf Stationen werden Konflikte und Vorurteile thematisiert und Kenntnisse über eine für viele fremde Kultur vermittelt. Welche Chancen hat man mit einem Kopftuch oder ausländisch klingenden Namen beim Bewerbungsgespräch? Wie berichten Zeitungen über Muslime? Wie sieht es in einer Moschee aus?

Je ein Semester hat Veenhuis in Ägypten und Tunesien studiert. „Wegen der vielen unterschiedlichen Dialekte könnte ich in Marokko vielleicht ein Taxi rufen, aber kein Gespräch über Politik führen“, sagt Veenhuis. Eine gewisse Sprachbegabung ist zweifellos von Vorteil – doch etwas anderes ist nach seiner Meinung mindestens ebenso wichtig: „Man sollte sich für historische, kulturelle und politische Zusammenhänge interessieren und bereit sein, die Welt aus einer anderen als der gewohnten Perspektive zu sehen.“