Marfa Rabkowam, Biologin

Die Aktivistin für Menschenrechte sitzt seit dem 17. September 2020 in Haft. Ihr Mann darf sie nicht besuchen. Er weiß nicht, ob seine Briefe sie erreichen

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Wadim Scharomski spricht langsam und überlegt lange, bevor er einen Satz ausspricht. So, als ob er wüsste, dass er noch einen langen Weg vor sich hat, er mit seinen Kräften haushalten muss. Mehrmals in der Woche sucht er den Ort in Minsk auf, wo seine Frau, Marfa Rabkowa, lebt, bringt ihr Pakete, Lebensmittel, Briefe. Doch gesehen hat er sie seit neun Monate nicht mehr. Besuche verbietet die Gefängnisleitung.

Das letzte Mal sah Scharomski seine Frau am 17. September, als sie beide nach einer Hausdurchsuchung festgenommen wurden. Doch während er bald wieder nach Hause kam, ist seine Frau immer noch inhaftiert. Anfangs hatten er und die Verwandten gehofft, Marfa würde im November entlassen werden. Später klammerte man sich an ein gemeinsames Neujahrsfest. Die Untersuchungshaft ist mehrfach verlängert worden, zuletzt im März und das bis zum 17. Juni.

Warfa Rabkowa droht bei einer Verurteilung eine Strafe von zwölf Jahren Haft. Die Vorwürfe: Sie soll zu „sozialem Hass gegen die Machthaber angestachelt haben“, „in einer kriminellen Vereinigung tätig gewesen sein“, „Massenunruhen finanziert und vorbereitet haben“.

Wadim Scharomski und Marfa Rabkowa sind in der Menschenrechtsbewegung aktiv. Rabkowa hatte vor den Wahlen im August 2020 mit Wahlbeobachtern gesprochen, sich an der Aktion „Menschenrechtler für ehrliche Wahlen“ beteiligt und nach den Wahlen Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.

Wadim Scharomski sagt: „Mir hat ein Milizionär das mal so erklärt: ‚Wir hassen euch mehr als die Aktivisten. Mit denen würden wir ziemlich schnell fertig werden, wenn ihr Menschenrechtler nur nicht wärt. Ihr stört uns bei der Arbeit.‘“ In dieses Bild passe auch, dass sich die Miliz bei der Hausdurchsuchung vor allem für Texte über Polizeigewalt interessiert hat.

Marfa Rabkowa, die bis zu ihrer Verhaftung beim Menschenrechtszentrum „Wjasnja“ ( „Frühling“) die Arbeit der Freiwilligen koordiniert hatte, störte mit ihrer stillen, aber beharrlichen Arbeit diejenigen, die glaubten, sie könnten die Opposition mit Gewalt und Folter vernichten. ­Einer der Freiwilligen, mit dem sie zusammenarbeitete, ist ihr heutiger Mann, Wadim Scharomski.

Ihr Chef Ales Bialiatski, der für die Arbeit des Menschenrechtszentrums 2020 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden ist, lobt „das hohe Verantwortungsbewusstsein und die hohe Motivation von Marfa für ihre Arbeit“. Den ganzen Sommer habe sie bis zu ihrer Verhaftung nonstop gearbeitet. „Sie hat sich keinen Urlaub gegönnt, nur gegessen, geschlafen und gearbeitet.“ Immer wieder habe er bewundert, mit welcher Kraft sie die schwierige Arbeit bewältigt habe. „Wir alle sind froh, Marfa als Mitarbeiterin und Weggefährtin zu haben“, sagt Bialiatski.

„Marfa hat nicht nein sagen können, wenn ihr jemand sein Leid geklagt hat“, sagt ihr Ehemann. Bevor sie zur Menschenrechtsarbeit gekommen sei, habe die Biologin viel Zeit mit Tieren verbracht, ehrenamtlich in einem Tierheim für Hunde gearbeitet.

In der Haft sei sie schon drei Mal erkrankt, habe zwölf Kilogramm abgenommen, berichtet ihr Mann. Sie lerne dort Englisch, aber das falle ihre schwer, weil sie sich nicht konzentrieren könne. Medikamente müsse man ihr ins Gefängnis bringen. Ob sie an Covid-19 erkrankt sei, könne er nicht sagen. „Dort wird ja nicht getestet.“ Erschwerend komme hinzu, dass sie in eine Liste von Personen eingetragen sei, „die zu Extremismus und Taten gegen den Staat neigten“. Deshalb, so Scharomski, würden die Aufseherinnen Marfa besonders häufig kontrollieren.

„Meine Briefe an Marfa sind Monologe“, sagt Wadim. „Wenn ich einen Brief schreibe, weiß ich nicht, wann er gelesen wird. Vielleicht in einem Monat, vielleicht auch gar nicht.“ Mit Hilfe des Strichcodes der Post könne er sehen, dass die Briefe innerhalb von 24 Stunden im Gefängnis ankommen. Doch was danach mit diesen geschehe, hänge allein vom Personal ab.

„Marfa Rabkowa war immer für die Verhafteten da. Nun ist es an der Zeit, dass wir für sie da sind“, schreibt das Menschenrechtszentrum „Wjasnja“. Und Scharomski fügt hinzu: „Das Schlimmste, was uns und den anderen Gefangenen in Belarus passieren könnte, ist, dass wir sie einfach vergessen würden. Vergesst uns nicht!“

Bernhard Clasen