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„Ich verarbeite den Müll zu Kunst“

Bhima Griem zeigt beim Bremer Festival „La Strada“ Malerei, Zeichnungen und Plastiken unter freiem Himmel. Ein Gespräch über Abfall im Atelier, Kunst in der Pandemie und die gewachsene Bedeutung der Öffentlichkeit der Straße

Interview Radek Krolczyk

taz: Herr Griem, Sie stellen zum Bremer Straßenfestival „La Strada“ in diesem Jahr in den Wallanlagen hinter dem Gerhard-Marcks-Haus und der Kunsthalle künstlerische Arbeiten im Freien aus.

Bhima Griem: Genau – Zeichnungen, Malerei auf Leinwänden, aber auch Plastiken. Das Thema meiner Arbeiten ist meistens der Mensch. Ich arbeite nicht realistisch, versuche mich nicht an repräsentativer Malerei, habe aber eine Ausbildung als Maler. Ich arbeite sehr viel und in den letzten sechs Jahren sind sicherlich um die 4.000 Werke entstanden. Mein Werk ist von sehr vielen Stilbrüchen durchzogen. In den Wallanlagen aber zeige ich ausschließlich Werke, die ich in diesem Jahr fertiggestellt habe. Prägend für meine Arbeiten ist, dass ich ausschließlich mit Dingen arbeite, die mir irgendwo zugeflogen sind.

Zugeflogen?

Ja, ich arbeite mit Fundstücken, aber auch mit dem Abfall, den ich so produziere. Ich versuche im Atelier keinen Müll zu machen und denke darüber nach, wie ich ihn in meine Arbeiten integrieren kann.

Ist das eine ökologische oder ästhetische Überlegung?

Das ist natürlich alles miteinander verschränkt. Ich bin in meiner Malerei sehr viel freier, wenn ich mein Material nicht extra besorgen und für viel Geld kaufen muss. Außerdem ist das Wegwerfen von Dingen im Grunde nur die Verlagerung eines Problems. Wenn man etwas wegwirft, müssen sich andere damit beschäftigen.

Sie selbst stellen nichts auf den Sperrmüll, nehmen aber jede Menge Zeug von der Straße mit ins Atelier?

Genauso ist das.

Dann brauchen Sie sicherlich ein großes Lager?

Ich verarbeite den Müll ja zu Kunst. Im letzten Jahr habe ich als Meisterschüler den ganzen Müll des Braunschweiger Kunstvereins zu einem Haus verbaut.

Was für Material verwenden Sie?

Es sind Baumaterialien und Möbel, aber auch Verpackungen und alte Kleider. Ich arbeite viel mit Papier, also sind es auch Bücher und Briefe vom Finanzamt oder Kontoauszüge. Natürlich sind diese Dinge von sich aus bereits mit einer gewissen Bedeutung aufgeladen. Wobei ich Upcycling langweilig finde. Ich suche nicht nach besonders wertvollem Abfall und versuche ihn auch nicht zu veredeln. Tendenziell sind alle Materialien miteinander vergleichbar. Von einem Buch, das mir irgendwo zufliegt, nehme ich die beiden Umschlagsseiten und habe dann Malerpappe. Die ersten und letzten drei Seiten sind meistens ebenfalls frei, und man kann sie zum Zeichnen verwenden.

Viele Künstlerinnen und Künstler arbeiten mit besonderem Papier – aus China oder Indien – oder auf Bütten. Folgt Ihre Praxis aus einer Kritik an solchen teuren Wertstoffen?

Diese Papiersorten sind ja sehr speziell. Man kann auch über die ganz gewöhnliche Leinwand sprechen. Einfacher Leinenstoff war früher mal recht billig, heute ist er ein recht teures Textil geworden, im Kunstbedarfshandel ist er sogar teurer als Seide. Als meine Oma gestorben war, hat sie große Mengen sehr unterschiedlicher Stoffe hinterlassen. Ihre Generation hat viele Tischdecken, Trockentücher und Gardinen gehortet.

Diese gebrauchten Stoffe spannen Sie auf Ihre Leinwände?

Ich verwende eigentlich keine Keilrahmen. Die Stoffe werden zum Malen an der Wand aufgespannt. Erst für die Ausstellungen ziehe ich sie auf Rahmen. Auch für die Wallanlagen werde ich meine Bilder auf Rahmen aufziehen und sie dann an Stellwände oder Masten hängen. Diese zweiteilige Arbeitsweise hat praktische Gründe, denn ich lege die Stoffe beim Bemalen gerne in Schichten übereinander, so drückt sich die Farbe durch. Das wäre mit einem Rahmen nicht möglich. Mich stört allerdings auch die unnatürliche Begrenzung der Fläche, die so ein Rahmen erzwingt. So eine Stoffbahn kann ja sehr viel größer sein. Wenn die Bilder zu groß sind, hänge ich sie für Ausstellungen gerne an Masten, so wie Fahnen. Das mache ich jetzt für die Wallanlagen auch so.

Macht es Ihnen keine Sorgen, Ihre Bilder nun unter freiem Himmel dem Wetter und dem Publikum auszusetzen?

Ich glaube nicht, dass die Bilder starke Spuren vom Wetter davontragen, weil sie ihm mit zehn Tagen nur recht kurz ausgesetzt sein werden. Auf die Spuren der Menschen bin ich gespannt: Wer weiß, ob sie jemand beschmiert oder gar zerschlägt? So etwas passiert manchmal ja selbst im Museum. Erst im vergangenen Sommer wurden in mehreren Berliner Museen so ätzende Flüssigkeiten versprüht.

Meistens aber sind Kunstwerke drinnen sicherer.

Das stimmt, ich stelle ja auch in Museen oder Kunstvereinen aus. Gerade hängt eine Arbeit von mir im Kindl in Berlin in so einer Gruppenausstellung. Da ist der Gesamtcharakter aber ganz anders. Ich empfinde Museumsausstellungen meist als abgeschlossen und wenig interaktiv. So eine Ausstellung im öffentlichen Raum ist sehr viel offener und spannender.

Sind Sie daran interessiert, Ihre Werke zu verkaufen?

Der Kunstmarkt ist schwierig, in Berlin zum Beispiel gibt es gemessen an den Galerien eine große Überzahl an Künstlerinnen und Künstlern. Die Verhandlungsbasis ist da leider etwas ungünstig für mich. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe erschient mir da schwierig. Ich verkaufe also selbst. Aus meiner Meisterschülerausstellung habe ich einiges verkauft.

Bhima Griem

geboren 1987 in Hamburg, ist in Berlin aufgewachsen. Studium der Malerei in Berlin-Weißensee und Braunschweig. Seit Mai 2020 leitet er gemeinsam mit Philine Griem die Künstlerhäuser in Worpswede.

Das ist eine interessante Konstellation, weil Sie mit weggeworfenem Material arbeiten, aber nichts gegen Verkäufe einzuwenden haben.

Wir leben im Kapitalismus und es wäre Quatsch, das einfach zu negieren. Für Künstlerinnen und Künstler sind Verkäufe eine wichtige Einnahmequelle. Ich werte Verkäufe allerdings auch als ein Zeichen von Anerkennung.

Die Ausstellung in den Wallanlagen ist ein Versuch, mit der Pandemie umzugehen: Indem Kunst im öffentlichen Raum stattfindet, wird sie einigermaßen unabhängig vom Infektionsgeschehen zugänglich gemacht. Wie sehr haben Sie in den vergangenen anderthalb Jahren eine Öffentlichkeit für Ihre Arbeiten vermisst?

Gerade als die Pandemie losging, bin ich mit meiner Familie von Berlin nach Worpswede gezogen, wo ich mit meiner Frau Philine die Künstlerhäuser leite. Für mich war es ein schönes Jahr, weil ich in der Abgeschiedenheit gut arbeiten konnte und über die Atelierhäuser gelegentlich Künstlerinnen und Künstler zu uns aufs Land kamen.

Die Verkleinerung der Öffentlichkeit hatte also auch mit dem Umzug ins Moor zu tun?

Die Öffentlichkeit ist hier auf dem Land, Pandemie hin oder her, sehr viel konzentrierter. Die Wege sind kürzer und die Leute kommen gezielter hier her. In Berlin habe ich in einer Remise in Kreuzberg einen kleinen Ausstellungsraum betrieben. Das Publikum schien mir jetzt nicht so viel interessierter zu sein an den ausgestellten Arbeiten, obwohl es natürlich mehr Leute auf den Eröffnungsfeiern gab.

In den Bremer Wallanlagen wird das Publikum jetzt wieder größer.

Das ist sehr gut, denn die Öffentlichkeit der Straße unterscheidet sich grundlegend von der Öffentlichkeit im Museum oder auf einer Vernissage. Ich denke auch, dass während der Pandemie die Straße an Bedeutung zugenommen hat. Es gab ja keine Klubs, Bars oder Museen mehr, in die man sich hätte zurückziehen können. Ich will mich in Bremen auch nicht auf die Parkanlage beschränken, sondern mich auch in den umherliegenden Straßen ausbreiten. Möglicherweise überlasse ich einige der Arbeiten nach dem Ende des Festivals der Straße und ihrem Publikum.

La Strada – Internationales Festival der Straßenkünste in Bremen: Fr, 4. 6., bis So, 13. 6.; Kunstpark in den Wallanlagen hinter der Kunsthalle,

Eintritt frei und rund um die Uhr zu besuchen

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