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Protest, im Doppel

Mit Willkür und Gewalt hält sich Präsident Lukaschenko in Belarus an der Macht. Die Protestbewegung ist heute weniger sichtbar, aber nicht weniger lebendig. Eine Ausstellung in Dresden rückt sie in den Fokus

Von Barbara Oertel

Ein Land erhebt sich: Knapp ein Jahr ist es her, dass die Be­la­rus­s*in­nen begannen, ihrem Unmut über die langjährige autoritäre Herrschaft ihres Staatschefs Alexander Lukaschenko Luft zu machen. Einen Höhepunkt erreichten die Massenproteste rund um die Präsidentenwahl am 9. August 2020, die Lukaschenko mit über 80 Prozent der Stimmen gewonnen haben will.

Eine weiß-rote Hose oder ein Bändchen reichen schon aus, um hinter Gitter zu kommen

Ein, wenn nicht das Symbol der Opposition in ihrem Kampf für Freiheit und Demokratie sind die Farben Weiß und Rot, in denen auch die Flagge der belarussischen Volksrepublik (1918–1919), des ersten unabhängigen belarussischen Staates, gehalten ist.

Das Regime geht mit beispielloser Härte gegen seine Kri­ti­ke­r*in­nen vor. Eine weiß-rote Hose oder gleichfarbige gebastelte Bändchen reichen schon aus, um vermeintliche „Feinde des Volkes“ hinter Gitter zu bringen. Dort sind Folter, Demütigung und Erniedrigung der Gefangenen an der Tagesordnung. Die Menschen zu brechen und das unter Einsatz aller Mittel, ist das Ziel.

Laut der belarussischen Menschenrechtsorganisation Vjasna (Frühling) gibt es in Belarus derzeit 454 politische Gefangene (Stand: 2. Juni 2021). Täglich werden es mehr. Der Vorwurf lautet stets auf Organisation von Massenunruhen. In der vergangenen Woche nahm sich ein 18-Jähriger, gegen den ermittelt wurde, aus Verzweiflung das Leben. Vor wenigen Tagen versuchte ein Gefangener, sich in einem Gerichtssaal die Kehle durchzuschneiden.

Willkür und Brutalität sind ein Hauptgrund dafür, dass Lukaschenko immer noch an der Macht ist. Damit das so bleibt, geht er über Leichen und holt Flugzeuge vom Himmel, um eines Oppositionellen habhaft zu werden. So geschehen im Fall des Bloggers Roman Protassewitsch am 23. Mai.

Und die Bewegung? Sie ist weniger sichtbar als noch vor ein paar Monaten, darum aber nicht weniger lebendig. An die Stelle traditioneller Straßenproteste sind ganz neue Formen getreten, um dem eigenen politischen Standpunkt Ausdruck zu verleihen. Dabei ist ein Ausmaß an Kreativität und Experimentierfreude zu erkennen, das immer wieder Erstaunen hervorruft.

Auch die hier gezeigten Grafiken und Fotografien zeugen davon. Sie sind Teil von 48 Exponaten, die im Rahmen einer Ausstellung unter dem Titel „Belarus.Protest.Kultur. Peremen – visuelle Protestkultur in Belarus“ ab dem 11. Juni in Dresden zu sehen sind. Die Fotos, die vorwiegend zwischen August und Oktober 2020 aufgenommen wurden, sind Arbeiten von fünf Fotograf*innen. Die Grafiken stammen von der Plattform cultprotest.me, wo zahlreiche Künst­le­r*in­nen ihre Werke präsentieren.

Veranstalter ist der Dresdner Verein Kultur Aktiv, der sich vor allem mit Kunst und Kultur in den Ländern des postsowjetischen Raums beschäftigt. Geschäftsführer Simon Wolf, der die Ausstellung auch kuratiert hat, möchte damit Belarus wieder in den Blick holen und mit Interessierten ins Gespräch kommen. Die Chancen dafür stehen gut.

Galerie nEUROPA, Dresden-Neustadt, Bautzner Str. 49. Die Ausstellung, die noch bis zum 1. Juli 2021 zu sehen ist, kann auch digital unter www.kulturaktiv.org abgerufen werden.

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