: Raub, Reue, Rückgabe
Deutsche Museen besitzen zahlreiche Kunstwerke, auf die sie lange einen Anspruch zu haben wähnten – obwohl die Figuren im damaligen Königreich Benin in Westafrika geraubt wurden. Doch vor der Präsentation der Objekte im wieder aufgebauten Berliner Preußenschloss nimmt die Diskussion um ihre Rückgabe an Fahrt auf43-45
Von Petra Schellen
Willst du ein Volk schwächen, weil es deinen Handels- und Ausbeutungsplänen im Wege steht, kappe seine Wurzeln. Nimm ihm seine Götter- und Ahnenbilder, seine Tafeln mit Heldengeschichten – alles, was ihm emotional und spirituell Kraft verleiht oder von seiner kulturellen Leistung zeugt.
All dies taten die britischen Kolonialherren, als sie 1897 in Benin einfielen, um ihre kommerziellen Interessen durchzusetzen. Denn das Königreich Benin war damals ein mächtiges Handelsmonopol rund um das Nigerdelta – und damit den Briten im Wege, die hier selbst Geld verdienen und Benin trotz vertraglich vereinbarter Unabhängigkeit kolonisieren wollten.
Sie drangen ein, nachdem der König zuvor Gespräche mit dem Hinweis auf religiöse Feiern verweigert hatte, wurden angegriffen und unterlagen – und kamen in waffenstarrender Überzahl wieder. Im Zuge dieser brutalen „Strafexpedition“ samt Zerstörung der Hauptstadt von Benin stahlen die Briten 3.000 bis 5.000 hochwertige Kunstwerke aus Schreinen und dem Königspalast: bronzene Königsköpfe, Holzschnitzereien von Kampfgeschichten, Salzfässer aus Elfenbein. Von London aus verkauften sie ihre Beute an internationale Sammlungen und Museen.
Heute lagern Benin-Objekte in Ausstellungshäusern in den USA, Großbritannien, Schweden, den Niederlanden, Österreich, rund 1.000 auch in Deutschland. Die meisten finden sich im Ethnologischen Museum von Berlin, weitere etwa in Dresden, Leipzig, Stuttgart, Köln und Hamburg.
Dort wurden sie über viele Jahre unkommentiert als Trophäen und Publikumsmagnete präsentiert. Denn auch handwerklich und künstlerisch können diese Werke des 16. bis 18. Jahrhunderts, teils aus feinstem Bronze- und Gelbguss, mit der Renaissance- und Barockkunst Europas konkurrieren. Den Respekt vor den Urhebern erhöhte das allerdings nicht. Der Globale Norden machte sich diese Objekte zu eigen, als sei das sein gutes Recht.
Restitutionsforderungen nach dem Ersten Weltkrieg sowie in den 1970er Jahren verhallten. Provenienzforschung gab es noch nicht, und als diese in den 1990ern begann, konzentrierte sie sich auf NS-Raubkunst – auch das gegen den Widerstand etlicher Museen, die den Verlust wertvoller Werke befürchteten. Einen Überblick über koloniale Raubkunst im Globalen Norden verschaffte sich niemand.
Nun aber hat der Plan, zur baldigen Eröffnung des Berliner Humboldt-Forums – wenn auch kommentiert – 200 Benin-Objekte zu zeigen, das Zaudern beendet. Lebhaft bis aufgebracht tobt seither die Debatte über Restitutionen, und die bereits seit 2010 tagende Benin Dialogue Group (BDG) ist unter Zugzwang geraten. Ihr gehören Vertreter*innen des Edo-Staates in Nigeria sowie einiger internationaler Museen an, die Benin-Objekte „besitzen“.
Gründerin und Leiterin der BDG ist Barbara Plankensteiner, seit 2017 Direktorin des Hamburger „MARKK – Museum am Rotherbaum. Kulturen und Künste der Welt“, wo 280 Benin-Objekte lagern. Da sind die drei bereits mitgezählt, die Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe bald übergeben wird. Dessen Gründer Justus Brinckmann hatte als erster deutscher Museumsdirektor Bronzen aus Benin erworben und an andere Museen weiterverkauft. Besagte drei Bronzen waren 2018 in der Ausstellung „Raubkunst? Provenienzforschung zu den Sammlungen des Museums für Kunst und Gewerbe“ zu sehen. Durch die Übergabe ans MARKK entzieht sich das Kunstgewerbe-Museum geschickt der Restitutionsdebatte.
Wie viel indes die Museen des Globalen Nordens zurückgeben werden, ist unklar. Zwar bekräftigten Vertreter*innen aller deutschen Museen, die Benin-Objekte haben, gemeinsam mit der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien in einer Erklärung vom 29.4.2021 ihre „grundsätzliche Bereitschaft zu substantiellen Rückgaben von Benin-Bronzen“. Doch vielen ist das zu vage. „Die enteigneten Gemeinschaften müssen selbst entscheiden können, was mit ihren Objekten in Zukunft geschehen soll. Die Ankündigung einer,substantiellen Rückgabe‘ ist daher anmaßend“, sagen Mnyaka Sururu Mboro und Christian Kopp vom Verein Berlin Postkolonial.
Der Hamburger Globalgeschichtsforscher Jürgen Zimmerer moniert zudem, dass die Zivilgesellschaft, die den Prozess über Jahre vorangetrieben habe, nicht vorkomme. „Es gibt bedauerlicherweise keinen strukturierten Partizipationsprozess, der für Angehörige der Zivilgesellschaft frei zugänglich wäre“, sagt er. „Das wird hinter verschlossenen Türen auf diplomatischer Ebene geregelt.“
Wobei vor der Debatte über den Verbleib der Objekte von Rechts wegen die offizielle Besitzübertragung stehen müsste. „Die Eigentumsrechte an den Benin-Bronzen sollten umgehend restituiert werden“, fordert Zimmerer deshalb. „Dann sollten Vertreter der Museen und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz demütig darum bitten, einige Bronzen weiter ausstellen zu dürfen.“
Ob die Gespräche der Benin Dialogue Group in diese Richtung gehen, ist schwer zu sagen. Zwar will die Gruppe nun kurzfristig, bis zum 15. Juni, auf der Website der neuen „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland“ eine Liste aller „im Besitz der Museen befindlichen“ Benin-Bronzen veröffentlichen, die die Museen bis Ende 2021 um die Provenienzen ergänzen sollen. Aber von zusätzlichen Stellen für diese aufwändige Arbeit ist keine Rede, und so wird dies schwer zu schaffen sein.
Erste Restitutionen werden im Jahr 2022 „angestrebt“. Dass es auch anders geht, zeigt die Universität im schottischen Aberdeen: Sie hat die Rückgabe zumindest einer Benin-Bronze binnen weniger Wochen verbindlich zugesagt.
Die Rückgabe-Debatte, ein gemeinsamer Schwerpunkt von taz Nord und taz Berlin
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