An den Glühampen schrauben

Das Künstlerkollektiv Panzerkreuzer Rotkäppchen untersucht die Beziehung zwischen der Treuhand und Techno. Die These: Technofans arbeiten in den Ruinen eines untergegangenen Staates die zerstörten Biografien ihrer Eltern auf

Alison Shea als Heldin der Arbeit des VEB Narva Foto: Panzerkreuzer Rotkäppchen 2021

Von Andreas Hartmann

Die Bewegungen der Tanzenden zur Technomusik sind erst noch ungelenk, als wüssten sie nach der langen Coronazeit gar nicht mehr, was man auf dem Dancefloor überhaupt genau macht. Nach einer Weile aber kommen Musik und Körper immer besser in Einklang, das sieht irgendwann richtig nach Party aus. Doch dann endet nach einer Stunde auch schon die Performance „TreuhandTechno“ des Berliner Künstlerkollektivs Panzerkreuzer Rotkäppchen im Club About Blank.

Der Mini-Rave für maximal hundert Zuschauer bei der an drei Tagen hintereinander ausverkauften Veranstaltung ist eine künstlerische Inszenierung. Das Publikum darf danach zwar noch im Garten weiter der Tanzmusik eines DJs lauschen. Aber sich nicht entsprechend dazu bewegen, wie einem bereits am Einlass eingebläut wird. Denn Tanzen ist aufgrund der derzeitigen Coronabestimmungen außerhalb des künstlerischen Performance-Kontextes immer noch verboten. Und bis im About Blank wieder echte Partys steigen dürfen, wird es sicherlich noch eine Weile dauern.

Aber immerhin bekommt man mal wieder eine Ahnung davon, wie es sich einmal angefühlt hat im Club und was repetitive Beats mit einem anstellen können. Wie sie dabei helfen können, den grauen Alltag hinter sich zu lassen, das Elend der letzten Zeit zu vergessen und sich wieder etwas unbelasteter zu fühlen.

Und damit ist man auch schon mittendrin im Geflecht aus Theorie, Geschichtsaufarbeitung, Kunst, Tanz und Corona, in dem sich „TreuhandTechno“ bewegt. Und einer seiner Denkansätze: Techno kann heilen.

Wie die Abwicklung der DDR durch die Treuhand zu einer Deindustrialisierung Ostdeutschlands führte und die stillgelegten Industriehallen von der aufkommenden Technokultur in den Neunzigern betanzt wurden, das ist der hauptsächliche Untersuchungsgegenstand der politisch interessierten Künstler und Künstlerinnen von Panzerkreuzer Rotkäppchen. Regisseurin Susann Neuenfeldt erklärt im Gespräch mit der taz, man habe bei Forschungen über die Treuhand, die sie „performative Forschungen“ nennt, schnell Parallelen zur Technobewegung entdeckt. „Techno zu tanzen ist eine Taktungsbewegung wie Maschinenarbeit auch“, sagt sie. Die Bewegungsabläufe der Arbeiterinnen in den Kombinaten der DDR ähnelten also denen der nachfolgenden Generation, die in den stillgelegten Fabrikhallen zu Techno tanzten. Und so wie Maschinenarbeit ähnlich wie Tanzen zu Techno sei, könne man die Raverei umgekehrt auch „als kulturelle Arbeit, als Transformationsarbeit für die Traumata der Abgewickelten“ betrachten. Die Technofans, so ihre These, arbeiteten also in den Ruinen eines untergegangenen Staates die zerstörten Biografien ihrer Eltern auf. Eine These, die Mut für die Aufarbeitung der aktuellen Lage macht: Wenn Techno wirklich diese Kraft hat, könnte man sicherlich auch bald das ganze Corona-Elend wegtanzen.

„Techno zu tanzen ist eine Taktungs-­bewegung wie Maschinenarbeit“

Susann Neuenfeldt, Regisseurin

Panzerkreuzer Rotkäppchen beschäftigt sich schon seit einer Weile theoretisch und performativ mit den Zusammenhängen zwischen Treuhand und Techno. Im thüringischen Apolda wurde die von der Treuhand zerschlagene Textilindustrie untersucht, in der Stadt fand die erste Aufführung von „TreuhandTechno“ statt. In Berlin wurde der VEB Narva Kombinat unter die Lupe genommen, ein Glühlampenwerk, das, wie so oft damals nach der Wende, unter dubiosen Umständen und von westlichen Interessen geleitet abgewickelt wurde. Die nächsten Forschungsstationen des Kollektivs sind Görlitz, Jena und Leipzig.

Im About Blank entsteht der VEB Narva Kombinat nun noch einmal als temporäre Installation. Auf einem der Dancefloors schraubt eine Arbeiterin an den Glühlampen herum. An der DJ-Kanzel steht ein DJ regungslos hinter den Plattentellern, als warte er nur darauf, hier bald das Kommando übernehmen zu können.

Auf dem zweiten Dancefloor entwickeln sich langsam die bereits beschriebenen roboterartigen Bewegungen der Arbeiterinnen hin zum Technotanz. Im Obergeschoss des Clubs wird derweil der Kurzschluss von Treuhand und Techno mit der aktuellen Coronathematik weiter verkomplexisiert. In einem kleinen Raum werden „Techno Tod Videos“ gezeigt. In einem davon wird satirisch die Fortentwicklung der Berliner Technokultur im Jahr 2025 gezeigt. Was einst dank dem Untergang der DDR entstanden ist, wird dann von Corona und den Folgen beendet sein. Das Berghain, heißt es in dieser Kurzfilm-Dystopie, wird in vier Jahren nur noch eine Galerie sein. Clubs wird es in Berlin keine mehr geben, der nächste große Feierladen sich im brandenburgischen Königs Wusterhausen befinden. Allerdings nicht in einem dieser heruntergekommenen Industriegebäude der ehemaligen DDR, sondern auf einem stillgelegten Spielplatz der Bundesrepublik Deutschland.