: Australiens gestohlene Generationen
Auch in anderen Teilen des Commonwealth wurden Kinder aus rassistischen Motiven geraubt und misshandelt. Eine offizielle Entschuldigung kam spät
Von Sven Hansen
„Heute ehren wir die Ureinwohner dieses Landes, die ältesten ununterbrochenen Kulturen in der Geschichte der Menschheit. Wir denken nach über ihre Misshandlung in der Vergangenheit. Wir denken vor allem nach über die Misshandlung derer, die zu den ‚Stolen Generations‘ gehören – dieses befleckte Kapitel in der Geschichte unserer Landes“, heißt es in einer von Australiens Parlament am 13. Februar 2008 in Canberra verabschiedeten Resolution. „Wir entschuldigen uns vor allem dafür, dass Kinder von Aborigines und Einwohnern der Torres-Strait-Inseln ihren Familien, ihren Gemeinden und ihrem Land weggenommen wurden.“
Mit der vom damals neuen sozialdemokratischen Premierminister Kevin Rudd vorangetriebenen Resolution wurde endlich ein jahrzehntelanges Unrecht an den australischen Ureinwohnern offiziell anerkannt. Es ist dem rassistischen Umgang mit der indigenen Bevölkerung in Kanada nicht unähnlich.
Die Regierung von Rudds konservativem Vorgänger John Howard hatte eine offizielle Entschuldigung noch verweigert, aber die Ausbreitung einer entsprechenden Stimmung in der australischen Zivilgesellschaft nicht verhindern können. So hatte etwa im Mai des Jahres 2000 rund eine Viertel Million Menschen in Sydney an einem Versöhnungsmarsch teilgenommen. Die dann endlich acht Jahre später erfolgte Resolution des Parlaments wie auch eine von Rudd ausgesprochene gesonderte Entschuldigung bei den Aborigines waren ein längst überfälliger und bei den Opfern willkommener Schritt. Gleichwohl lehnte auch der Sozialdemokrat Rudd Entschädigungen finanzieller Art ab.
Zwischen dem späten 19. Jahrhundert und den 1970er Jahren waren rund 100.000 Aborigines-Kinder gewaltsam ihren Eltern weggenommen worden, um sie in die „weiße Kultur“ einzugliedern. Zwischen 10 und 30 Prozent der indigenen Bevölkerung waren Schätzungen zufolge davon betroffen. Die Maßnahmen zielten auch auf Kinder aus gemischten Verbindungen, die keinen Kontakt zu Aborigines mehr haben sollten. „Sie sollten lernen, wie Weiße zu denken, zu handeln und auszusehen“, erklärte Jason Field, der an einem aufsehenerregenden Bericht von 1997 beteiligt war.
„Bringing Them Home“, ein 700 Seiten starker Bericht, der eine Kompensation und eine Entschuldigung forderte, hatte das Ausmaß der rassistischen Assimilierungspolitik dokumentiert und die inneraustralische Debatte angeheizt. In Kinderhorten „waren Mädchen auf eine Ehe mit europäischen Männern vorbereitet worden, und die Jungen zog man zu harter körperlicher Arbeit heran. Hier lehrte man sie, ihr eigenes Volk zu fürchten und ihre eigene Hautfarbe zu hassen,“ schrieb die taz damals über den Bericht. „Das führte dazu, dass Kinder versuchten, die Farbe ihrer Haut abzukratzen,“ erzählte Field. Der Bericht enthüllte auch, dass die Kinder oft psychisch, physisch und sexuell misshandelt wurden, obwohl die Trennung von ihren leiblichen Eltern ausgerechnet damit begründet worden war, dass diese angeblich nicht für ihr Wohl sorgen könnten.
So überfällig die Entschuldigung von Parlament und Regierung war, so überfällig ist es geblieben, die Benachteiligung der heute rund 450.000 Aborigines zu bekämpfen. Ihre Lebenserwartung ist wesentlich geringer als die ihrer nichtindigenen Landsleute.
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