Rassistisches Framing der Pandemie: Jens Spahn – wieder voll normal

Wenn der Gesundheitsminister Schuldige für das Infektionsgeschehen erfindet, dann ist die dritte Welle wirklich gebrochen.

Röntgenaufnahme eines Koffers

Nafri-Urlaub, ich komme Foto: Science Photo Library/imago

Yaaaaaay! Die Pandemie ist offiziell vorbei! Woher ich das weiß? Aus erster Hand von Gesundheitsminister Jens Spahn – zumindest habe ich ihn so verstanden. Denn am Wochenende machte eine Zitat-Tafel von Spahn auf Social Media die Runde. Spahn hatte in einem Interview mit der Bild am Sonntag Folgendes gesagt: „Damals haben die Auslandsreisen, häufig Verwandtschaftsbesuche in der Türkei und auf dem Balkan, phasenweise rund 50 Prozent der Neuinfektionen bei uns ausgelöst. Das müssen wir in diesem Jahr verhindern.“ Mit „damals“ war der Sommer 2020 gemeint.

Kolleg*innen, die sich seit Beginn der Pandemie intensiv mit den Corona-Statistiken beschäftigen, machten sich umgehend an die Factcheck-Arbeit: Es stimme zwar, dass entsprechende Auslandsreisende im Sommer für bis zur Hälfte der Infektionen verantwortlich waren. Allerdings sei die Gesamtzahl der Infektionen sehr gering gewesen (Inzidenzzahlen zeitweise einstellig). Es gebe keinen Zusammenhang mit der Explosion der Zahlen später im Herbst 2020.

Letzteres hat Spahn zwar nicht explizit gesagt, aber die Unterstellung mitschwingen lassen. Warum würde er sonst einen rückblickend vernachlässigbaren Effekt hervorheben? Anstatt auf Orte mit höchsten Inzidenzwerten und 0,0 Prozent Migrationsanteil zu schauen? Politisches „Framing“ eben: 2020, das war keine deutsch-leitkulturelle Coronakrise! Schon gar keine, an der Jens Spahn und die Regierung, der er angehört, ihren Anteil tragen. Nein: Wisst ihr noch, die Auslenders! Sebastian Kurz hat auch schon in diese Trickkiste gegriffen.

Aber ich will ja gute Nafrichten verbreiten. Die Krise ist rum, das zeigt sich daran, dass Spahn aufgehört hat, sich zusammenzureißen: Er wird wieder ganz der zuverlässige, rassistische CDU-Politiker, der immer so dringend zwischen Flüchtlingen und „Wirtschaftsflüchtlingen“ unterscheiden wollte. Der ein „Islamgesetz“ gefordert hat und sich über badehosentragende muslimische Männer in Duschen beschwert hat.

Minister für Maskendeals

Zuletzt hatte der Minister für Maskendeals eine Krise zu managen und musste ein bisschen Politiker für alle spielen. Ich stellte mir vor, wie Spahn den ganzen Tag in Videocalls gefangen war: RKI, WHO, Drosten und ein paar Parteifreunde, die aus der Krise mit ihren Beratungsfirmen steuerfinanzierten Profit geschlagen haben. Seit Beginn der Pandemie sage ich mir: Solange Jens Spahn keine Zeit für sein Hobby Rassismus hat, steht es schlecht um die Gesundheitslage.

Nun läuft er sich wieder warm. Und zwar völlig ohne Not: Es geht voran mit dem Impfen und runter mit den Zahlen, der Gesundheitsminister hat keinen Grund, irgendwelche Schuldigen zu erfinden. Tut es aber trotzdem. Hobbyrassist eben. Ich jedenfalls bin happy, dass er wieder Zeit für seine Freizeitinteressen hat – und packe schon mal die Badehose ein. Nafri-Urlaub, ich komme!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Bei Twitter schreibt er unter dem Handle @mamjahid, bei Instagram @m_amjahid. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.