piwik no script img

Vorhang auf?

Viele der kleineren Kinos sind bisher einigermaßen gut durch die Pandemie gekommen – auch wegen der staatlichen Fördergelder. Statt hektischer Ad-hoc-Öffnungen wünschen sich die Kino-Be­trei­be­r*in­nen nun aber eine klare Exitstrategie von der Politik

Von Andreas Hartmann

Endlich mal wieder Filme auf der großen Leinwand im Lieblingskino sehen zu können, davon träumt man in diesen Zeiten. In Berlin etwa ist es schon so weit und zumindest Freilichtkinos können wieder Gäste empfangen. In Bayern wiederum haben die Kinos schon ein paar Tage länger geöffnet. Das klingt freilich besser als es ist. Loslegen dürfen die Kinos nur in Landkreisen, in denen die Corona-Inzidenz stabil unter 100 ist. Steigt sie über den magischen Wert, muss der Kinosaal sofort wieder dunkel bleiben.

Dazu kommen allerlei logistische Probleme. Einmal funktioniert ein Kino ja nur im Verbund mit den Filmverleihen. Diese starten normalerweise ihre Filme zu einem bundesweiten Termin und bewerben diese mit ausreichend Vorlauf. Doch für die paar Kinos in Bayern holt kein Verleih irgendeinen seiner neuen Filme aus dem Tresor.

Die Lichtspielhäuser in Süddeutschland, die nun wieder geöffnet haben, zeigen deswegen hauptsächlich irgendwelche bekannten Klassiker. Das mag auch schön sein – Hauptsache, mal wieder etwas anderes als immer nur Glotze gucken! –, aber mit ein paar alten Schinken allein lockt man das Gros des Publikums nur schwer weg von ihren Streaminganbietern, an die es sich in den letzten Monaten gewöhnt hat.

Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino, der Gilde deutscher Filmkunsttheater, nennt das, was in Bayern vorgeht, dann auch reinen Aktionismus. „Ad-hoc-Öffnungen nutzen uns nichts“, sagt er, stattdessen brauche es verlässliche Rahmenbedingungen, mit denen die Kinos die Wiedereröffnung planen können. Die Corona-Inzidenzen sinken ja gerade kontinuierlich, der Impffortschritt macht sich bemerkbar, da müsse die Politik den Blick nach vorne richten. „Die Verleiher werden erst dann loslegen, wenn sie ziemlich sicher sind, dass die meisten Kinos auch offen bleiben dürfen, und sie brauchen 4 bis 6 Wochen Vorlauf. Die Branche strebt daher den 1. Juli als bundesweiten Starttermin der Kinos an.“

Angestrebt wird der 1. Juli als Kinostarttermin

Die Bedingungen, unter denen man derzeit in Bayern Filme in den Lichtspielhäusern sehen kann, hält Bräuer auch nicht gerade für optimal. In den Saal darf, wer einen Impfnachweis hat oder einen aktuellen Coronatest vorweisen kann. Mindestabstände müssen trotzdem eingehalten werden, das Tragen einer FFP2-Maske im Kinosessel ist verpflichtend, doch Süßwaren und Getränke dürfen nicht verkauft werden. „Mit Test- und Impfnachweisen könnten die Leute aber doch auch wieder etwas zusammenrücken“, findet Bräuer, so wie das in anderen Ländern auch erlaubt sei. Die Hygienekonzepte in Bayern erlaubten eine Auslastung von gerade mal 20 Prozent. 50 Prozent müssten es jedoch schon sein, meint er, um einigermaßen wirtschaftlich arbeiten zu können als Kinobetreiber.

Verena von Stackelberg, die in Berlin das Filmkunstkino Wolf betreibt, hält eine so kurzfristig anberaumte Wiedereröffnung der Kinos wie in Bayern allein deswegen nicht für sinnvoll, weil sie erst einmal Zeit bräuchte, ihr Personal wieder einzusammeln. In so einem kleinen Kino arbeiten viele nur Teilzeit oder als Minijobber. Und die haben sich während der Coronakrise natürlich andere Jobs gesucht.

Die Kinos haben die Pandemie bislang eigentlich ganz gut überstanden. Bräuer sagt, allein wegen Corona musste in Deutschland so gut wie keines aufgeben: „Die Förderungen haben sie wie Schwimmflügel über Wasser gehalten, mehr allerdings auch nicht.“ Die gesamte Filmwirtschaft habe nicht so gelitten, wie man das vielleicht annehmen könnte: „Filme wurden auch während Corona weiter gedreht, die Produktion ist also relativ gut durch die Krise gekommen.“ Und die Verleihe konnten ihre neu anlaufenden Filme teilweise über Streamingplattformen anbieten.

Die wirklich schwierige Phase komme jedoch jetzt, wo die Wiedereröffnung immer absehbarer wird. Rücklagen seien bei den meisten Kinos aufgebraucht. Experimente könnten sich nur noch die wenigsten leisten. Und wenn dann bundesweit nur eine geringe Auslastung der Kinos erlaubt sein sollte, wie aktuell in Bayern, müsse es unbedingt weiter Förderungen geben. Eine Sorge vieler Kinobetreiber sei auch, dass es nach dem Neustart doch noch zu einer Marktbereinigung kommen könnte. „Was passiert, wenn die Multiplexe jetzt auf Preisdumping setzen?“, fragt sich Bräuer. Wenn also die Großen mit Blockbustern locken und dazu noch eine XXL-Cola zum Sonderpreis anbieten und damit den kleinen Filmkunsttheatern das Leben zusätzlich schwer machen würden? Die Spanische Grippe, fügt er noch warnend hinzu, habe nach 1918 auch schon dazu geführt, dass das Studiosystem Hollywoods die unabhängige Filmindustrie verdrängen konnte.

Berlinale goes Kiez

Zurück zu den Wurzeln, könnte man sagen. Denn die Berlinale fand bis 1977 immer im Sommer statt. Doch selbstverständlich ist die diesjährige Verlegung des Filmfestivals vom Winter auf den 9. bis 20. Juni keine Rückbesinnung auf diese Tradition, sondern der momentanen Notlage geschuldet. Im März fand nur ein fünftägiges Berlinale-Branchentreffen statt, zu dem kein Publikum zugelassen war. Und das ist bei der Berlinale ja besonders wichtig, gilt sie doch als größtes Publikums-Filmfestival der Welt. Doch auch in diesem Punkt müssen pandemiebedingt Abstriche gemacht werden – je nach Lage sollen aber immerhin bis zu 60.000 Tickets angeboten werden. Gezeigt werden sollen die Berlinale-Filme in 16 über die Stadt verteilten Freiluft-Arenen, mit der Museumsinsel als zentraler Spielstätte. Wobei die beliebte Festivalkategorie „Berlinale goes Kiez“ nun einfach auf das gesamte Open-Air-Event übertragen wird und es dieses Mal auch Vorstellungen in Außenbezirken geben soll. Infos & Programm: www.berlinale.de

Verena von Stackelberg vom Kino Wolf klingt dagegen nicht so, als habe sie wirklich Angst vor irgendwelchen Horrorszenarien. Sie blicke relativ entspannt dem entgegen, was da demnächst kommt. Noch sei nicht ganz klar, ob sie bestimmte Fördergelder auch wieder zurückzahlen müsse, was ein Problem wäre, „aber im Moment geht es uns gut“.

Wie viele Filmkunsttheater hat auch das Wolf die Coronazeit dazu genutzt, über einen eigenen Streamingkanal den Kontakt zum Stammpublikum aufrechtzuerhalten. Bei „Wolf In Space“ lassen sich Filme über die Plattform Cinema­lovers streamen, die vom Wolf kuratiert werden und teilweise aus dem eigenen Verleih kommen. Dazu gibt es Podcasts, in denen etwa Gespräche mit Filmemachern zu hören sind, denen sich das Kino verbunden fühlt. „Das ist unser mentaler Rettungsanker. Hier können wir wieder das machen, was uns am liebsten ist: Filme zeigen und über Filme sprechen“, so von Stackelberg. Wirtschaftlich sei das zu vernachlässigen, aber das eigene Profil als Arthouse-Kino könne so geschärft werden. Ein Effekt, der sich hoffentlich auch für die Zeit nach der Pandemie positiv auswirken wird.

Natürlich möchte auch sie als Kinobetreiberin mal wieder etwas anderes anbieten als Streamings und Podcasts. Doch aktuell sei eine Wiedereröffnung des Kinobetriebs noch mit zu vielen Unwägbarkeiten verbunden: „Man wird dann erst einmal so rummurksen müssen mit Masken und Schnelltests, das stelle ich mir auch logistisch schwer vor. Und Kino macht so einfach keinen Spaß.“ Sie hat es also nicht so eilig. Der 1. Juli als Termin für einen Neustart falle außerdem mitten in die Sommerferien, sagt sie. Erst ab August möchte sie deswegen wieder Filme zeigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen