: Befreiung oder Belastung?
Im pandemiebedingten Ad-hoc-Homeoffice haben Arbeitnehmer keinen Anspruch auf einen vom Arbeitgeber ausgestatteten Arbeitsplatz. Andere Arbeitsschutzregeln gelten
Von Ansgar Warner
Raus aus dem Büro, endlich arbeiten, wo und wann du willst. Ein langgehegter Traum nicht nur der kreativen Klasse. Doch selbst nach der Erfindung von Laptop und mobilem Internet fand die Absetzbewegung in Deutschland eher gedanklich statt. Ein Recht auf Homeoffice existiert bei uns schließlich nicht, anders als etwa in den Niederlanden. Sachbuch-Bestseller wie „Morgen komm ich später rein“ hatten bis vor Kurzem utopischen Charakter. Laut statistischem Bundesamt arbeiteten 2019 gerade mal 10 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mindestens einmal im Monat zu Hause.
Erst die Coronapandemie stellte die Verhältnisse auf den Kopf. Im Mai 2020 hatten Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge 39 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland die Möglichkeit, längere Zeit fern vom Büro zu arbeiten. Die noch mindestens bis 1. Mai 2021 geltende Corona-Arbeitsschutzverordnung enthält sogar eine Pflicht der Arbeitgeber, Homeoffice anzubieten, sofern nicht zwingende betriebliche Gründe dagegen sprechen.
Digitaltechnisch waren die Deutschen auf die neue Lage einigermaßen vorbereitet, ergonomisch eher weniger: dem IAB zufolge werkelte im ersten Corona-Lockdown jeder dritte Arbeitnehmer im Homeoffice provisorisch an Küchen- oder Esstisch. Und nicht zufällig lag die Rate derjenigen, die Homeoffice als belastend empfinden, bei beachtlichen 25 Prozent.
Die Probleme im Umgang mit dem Ad-hoc-Homeoffice haben juristische Gründe: Es gibt einen Unterschied zwischen vertraglich vereinbarter „Telearbeit“ und dem gerade praktizierten „mobilen Arbeiten“ auf Zuruf. Wird ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber offiziell für einen bestimmten Teil der Woche ins häusliche Arbeitszimmer versetzt, gilt auch dort die „Arbeitsstättenverordnung“. Demnach sind „Telearbeitsplätze „vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich der Arbeitnehmer, für die der Arbeitgeber eine mit den Beschäftigten vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer der Einrichtung festgelegt hat“.
Im improvisierten Homeoffice ist es schon ein Hingucker, wenn eine externe Maus, eine externe Tastatur oder ein externer Monitor zum Einsatz kommen. Wer sich nicht mit dem Chef über die zusätzlichen Kosten für das Equipment einig wird, kann lediglich versuchen, die Ausgaben von der Steuer abzusetzen. Im Telearbeitsbüro ist dagegen der Arbeitgeber für die vollständige Ausstattung zuständig – von Schreibtisch, Bestuhlung und Beleuchtung bis hin zu PC und Peripheriegeräten. Die dafür geltenden Regeln und Normen sind von der DGUV erstellt worden, also dem Spitzenverband der deutschen Berufsgenossenschaften.
Mitbestimmen bei der Einrichtung von Telearbeitsplätzen darf der Betriebsrat, soweit es einen gibt. Oft wird der Umgang mit dem Homeoffice in eigenen Betriebsvereinbarungen geregelt. Das erhöht die Arbeitszufriedenheit im Gegensatz zu informellen Absprachen deutlich, wie kürzlich eine Studie des gewerkschaftsnahen Forschungsinstitutes WSI gezeigt hat.
Grundsätzlich gilt für Homeoffice auch ohne genauere Absprachen das Arbeitszeitgesetz – darin sind etwa die Höchstarbeitsdauer und die Einhaltung von Ruhezeiten geregelt. Das dient letztlich dem Arbeitsschutz, sprich dem Schutz der Beschäftigten vor negativen Auswirkungen der Arbeit. In der Praxis wird das am besten durch eine wirksame Erfassung der Arbeitszeiten sichergestellt, für die es zahlreiche Onlinetools gibt.
Deren Nutzung lohnt sich: Denn neben ergonomischen Mängeln und sozialer Distanz macht derzeit gerade die fehlende Abgrenzung von Freizeit und Arbeitszeit den mobilen Office-Insassen zu schaffen.
Die Mehrfachbelastung spiegelt sich in der Statistik der Krankenkassen wider – so berichtet etwa die DAK im Rahmen ihrer Krankenstandsanalyse 2020 nicht nur von längeren Krankschreibungsphasen, sondern auch von einer Zunahme typischer Beschwerden wie Rückenschmerzen und psychischer Erkrankungen.
Und was ist, wenn man im Homeoffice über das Monitorkabel stolpert und mit dem Kopf auf die Tischplatte schlägt? Das gilt dann als Arbeitsunfall, der von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt wird. Für einen Arbeitsunfall maßgeblich ist nämlich nicht der Ort einer Tätigkeit, sondern die Frage, was die Tätigkeit mit dem Beruf zu tun hat. In entsprechenden Urteilen des Bundessozialgerichts ist von der „Handlungstendenz“ die Rede. Tendenz hin, Tendenz her: Schwierig wird es, wenn man auf dem Weg in die Küche verunglückt, weil man sich gerade einen Pausenkaffee kochen möchte.
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