Der unwirkliche Geruch von Chlor

Schwimmbäder haben derzeit fast überall geschlossen. In Hannover macht eine Schwimmschule eine Ausnahme

Endlich wieder eine Arschbombe machen: der sechsjährige Theo mit seiner Schwester Ida im Meloni-Schwimmbad in Hannover Foto: Christian Wyrwa

Von Emmy Thume

Die Luft ist feucht und es riecht nach Chlor. Ein bekannter Geruch, und doch so ungewohnt. Die Wasseroberfläche des kleinen, rechteckigen Schwimmbeckens ist noch glatt und leer. Wimpelketten hängen an der Decke, Plastikkisten mit Bällen, Ringen und Matten stehen an der Seite in einem Regal. An der Wand hängen Schwimmnudeln. Leise schwappt das Wasser gegen die nassen Fliesen.

Abrupt öffnet sich eine Tür: Ein Junge kommt aus der Umkleidekabine gerannt. Auf seiner roten Badehose prangt ein orangenes Seepferdchen-Abzeichen. Er springt mit einer Arschbombe ins warme Wasser, sodass es überall hinspritzt, und schwimmt los, den Kopf über Wasser. Seine dreijährige Schwester, die bunte Schwimmreifen an den Armen hat, und seine Eltern folgen gemächlich. Sie nehmen die Treppe und halten sich dabei am Geländer fest.

Eigentlich haben die Schwimmbäder in Hannover, wie auch im Rest von Deutschland, seit November geschlossen. Doch die dort ansässige Schwimmschule Wassermeloni entwickelte ein neues Konzept: Die drei kleinen Schwimmbecken, die Wassermeloni an verschiedenen Standorten, unter anderem in Altenheimen, betreibt, werden seit Anfang März an Familien vermietet. Frühmorgens können die Heim­be­woh­ne­r:in­nen ins Wasser gehen, danach dürfen nun täglich zwischen 9 und 21 Uhr die Kinder mit ihren Eltern kommen. 70 Euro die Stunde kostet es, eines der zwölf Meter langen und sechs Meter breiten Becken zu mieten.

Die Familie von Theo, dem sechsjährigen Jungen, der so enthusiastisch ins Wasser gesprungen ist, und seiner Schwester Ida, hat heute in der Mittagszeit um 13 Uhr einen Slot im Schwimmbecken im Birkenstift in Hannover Kirchrode gemietet. Sie sind nun ganz allein und privat an einem Ort, der wegen der Pandemie seit Monaten leer sein musste und normalerweise voll von Eltern, Schwimm­leh­re­r:in­nen und Kindern wäre.

Theo und Ida waren mit ihrer Familie schon dreimal im angemieteten Schwimmbad schwimmen. Eine Stunde vergeht schnell. Theo würde lieber länger bleiben und jeden Tag schwimmen gehen, sagt er. Seine kleine Schwester geht in ihrer gestreiften Badehose etwas zögerlich ins Becken, sie muss sich erst einmal ans Wasser gewöhnen.

Dann beginnt sie, umherzupaddeln und wirkt sehr zufrieden. Dank der Schwimmscheiben an ihren Armen ist sie während der Stunde auf niemanden angewiesen.

Die Eltern Anja und Gerd-Hendrik entspannen zwischendurch am Beckenrand und beobachten Theo und Ida. Sie sind froh, mit ihren Kindern mal in einer anderen Umgebung sein zu können als zu Hause. Die Familie kommt aus einem Dorf bei Hannover und hat dort viel Platz, da sie ein Hotel in einem alten Bauernhof leitet. Sie können sich also trotz Lockdown frei bewegen.

Dennoch findet im Alltag durch die Pandemie nur noch wenig Abwechslung statt, berichtet Gerd-Hendrik, während er bis zum Bauchnabel im Wasser am Beckenrand steht. Der kurze Schwimmbadbesuch diene als Urlaubsersatz, Sport­erlebnis und Ausflug in einem. „Auch wenn wir nur eine Stunde im Schwimmbad sein können, fiebern wir dem Moment schon Tage vorher entgegen“, sagt Mutter Anja.

Diese Freude beobachtet auch Demis Meloni. Er leitet die Schwimmschule und steht in Badelatschen angelehnt an die Fenster am Beckenrand. „Ich vermisse es, Kindern das Schwimmen beizubringen. Man merkt, was den Kindern fehlt, wenn man sie im Wasser spielen und herumtollen sieht und sie so einen Spaß haben.“

Die geschlossenen Schwimmbäder und der ausfallende Schwimmunterricht haben seiner Meinung nach gravierende Auswirkungen: „Vor Corona konnten Kinder im Grundschulalter oft schon nicht schwimmen. Jetzt kann es ein ganzer Jahrgang nicht lernen. Das wird für die Schulen schwer werden, das aufzuarbeiten.“

Von der DLRG Niedersachsen verlautet, jeder zweite Grundschulabsolvent sei kein sicherer Schwimmer mehr. Diese Tendenz verstärke sich durch den Ausfall des Schwimmunterrichts während der Pandemie. Wenn nicht bald etwas geschehe, könnten die langen Wartelisten kaum noch abgearbeitet werden.

„Vor Corona konnten Kinder im Grundschulalter oft schon nicht schwimmen. Jetzt kann es ein ganzer Jahrgang nicht lernen“

Demis Meloni, Schwimmschulleiter

Demis Meloni glaubt, dass er mit seiner Idee, die Bäder zu vermieten, wenig gegen die abnehmende Schwimmfähigkeit machen kann. „Ich bin trotzdem froh, momentan etwas Sinnvolles mit der eigenen Schwimmbad-Infrastruktur tun zu können“, sagt er. Viele der Leh­re­r:in­nen der Schwimmschule sind seit Monaten in Kurzarbeit. Durch die Nutzung der Bäder stehe der Betrieb immerhin nicht komplett still.

Die Vermietungen würden zwar nicht für einen kontinuierlichen Lernprozess sorgen oder gar den Schwimmunterricht ersetzen, dafür sei die Nachfrage nach den Schwimm-Slots zu hoch: Sie seien immer nach wenigen Minuten ausgebucht, sodass es für eine Familie gar nicht möglich sei, regelmäßig zu kommen.

Doch immerhin hätten die Gäste Spaß. Meloni hofft, dass er mit dem Experiment so lange fortfahren kann, wie kein Schwimmunterricht erlaubt ist. Wenn es nach ihm geht, soll sich das allerdings so bald wie möglich ändern. Die Bäder, meint er, sollten wieder geöffnet werden, sie seien sicher.

Theo und Ida nutzen währenddessen aufgeregt jede Minute, die sie im Schwimmbad haben. Theo macht eine Arschbombe nach der nächsten und taucht ununterbrochen nach Ringen, die er sich selbst durchs ganze Becken schmeißt. „Ich kann sogar ohne Taucherbrille mit offenen Augen tauchen“, erzählt er stolz, als er einmal kurz auftaucht. Dann will er seine Mutter überreden, mit ihm zu tauchen. Die winkt aber ab, denn sie hat keine Lust, Wasser in die Nase zu bekommen. Ida erprobt sich währenddessen an ihrem ersten Sprung vom Beckenrand, der aber noch sehr zaghaft ist. Sie setzt zum Absprung an und rutscht dann vorsichtig vom Beckenrand ins Wasser.

All das ist sonst ein normales Freizeitvergnügen. Jetzt, da die meisten Menschen seit Monaten nicht mehr schwimmen gehen konnten und sich an den Geruch von gechlortem Wasser kaum mehr erinnern können, wirkt es wie eine ferne Utopie.