Vermieter treten nach

Berlin hat einen neuen Mietspiegel, doch Vermieterverbände erkennen ihn formal nicht an. Der Berliner Mieterverein befürchtet nun viele Klagen und Mieterhöhungen

Mangelware günstiger Wohnraum: Schlange stehen bei einer Wohnungs­besichtigung 2016 im Wedding Foto: Frank Schirrmeister/Ostkreuz

Von Gareth Joswig

Habemus Mietspiegel: Nach dem gekippten Mietendeckel hat der Berliner Senat am Donnerstag einen neuen Mietspiegel veröffentlicht. Er gilt ab sofort für rund 1,4 Millionen Mietwohnungen. Aus dem Mietspiegel 2021 ergibt sich eine Steigerung der Mieten von 1,1 Prozent. Das entspricht im Schnitt einer ortsüblichen Vergleichsmiete von 6,79 Euro pro Quadratmeter (kalt) – sieben Cent mehr als 2019. Das ist der niedrigste Anstieg seit über zehn Jahren.

Mit dem Mietspiegel werden alle zwei Jahre die ortsüblichen Vergleichsmieten je nach Bautyp, Wohnungsgröße und Ausstattung festgelegt. Das Instrument sollte in seiner bisherigen Form zur Befriedung des Wohnungsmarktes beitragen: Denn zum einen bildet der Mietspiegel das Marktgeschehen ab und ermöglicht Mieterhöhungen für Vermieter*innen. Zum andern können Mie­te­r*in­nen anhand des Mietspiegels die Mietpreisbremse geltend machen und prüfen, ob verlangte Mietpreise zulässig sind. Erlaubt sind danach Mietsteigerungen um 15 Prozent innerhalb von drei Jahren bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete – Neuverträge dürfen bis zu zehn Prozent über ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.

Aufgrund des Mitte April vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Mietendeckels wurde der Mietspiegel 2021 anhand der Zahlen von 2019 hochgerechnet. Bisher hatte Berlin den Mietspiegel anhand von Marktdaten und Befragungen erhoben.

Der Senat hatte trotz Mietendeckel die Hochrechnung bereits vorbereitet – für den eingetretenen Fall, dass der Mietenstopp scheitern sollte. Errechnet wurde Mietspiegel 2021 auf Basis der Vergleichsmieten von 2019 plus der Steigerungen der allgemeinen Lebenskosten, dem sogenannten Verbraucherpreisindex. Das ist ein laut bürgerlichem Gesetzbuch zulässiges Verfahren. Der Senat musste darauf zurückgreifen, weil regulierte Mietendeckel-Preise den Mietspiegel verzerrt hätten. Entsprechend nahm der Senat auch keine Betriebskostenübersicht vor.

Der Senator für Bauen und Stadtentwicklung, Sebastian Scheel, sagte: „Die aktive Mietenpolitik des Berliner Senats hat bewirkt, dass sich der rasante Mietpreisanstieg der vergangenen Jahre deutlich verlangsamt hat.“ Das Land nutzt laut Scheel mit der Veröffentlichung „eines qualifizierten Mietspiegels konsequent den Spielraum, um Mieterhöhungsmöglichkeiten zu begrenzen“.

Mit der vergleichsweise niedrigen Steigerung geht der Kampf auf dem Berliner Wohnungsmarkt in die nächste Runde. Denn obwohl Immobilien- und Vermieterverbände wie BFW, BBU sowie Haus und Grund am Mietspiegel mitgearbeitet haben, unterzeichneten sie den Mietspiegel – wie sonst üblich – nicht. Sie gehen damit auf Konfrontationskurs mit Senat und Mieterverbänden, die den Mietspiegel wie gewohnt unterschrieben. Die Nichtunterzeichnung der Immo-Verbände wurde flankiert von vorbereiteten Pressemitteilungen und dürfte nach dem stark bekämpften Mietendeckel so etwas wie ein Nachtreten gegen Senat und Mie­te­r:in­nen der Stadt sein.

Auch wenn die immobilienwirtschaftlichen Verbände betonen, dass sie davon ausgehen, dass ihre Mitgliedsunternehmen den Mietspiegel akzeptieren, dürfte die Nichtunterzeichnung vor allem für Mie­te­r*in­nen handfeste Folgen haben: Denn durch die verweigerte Unterschrift haben es Ver­mie­te­r*in­nen leichter, den Mietspiegel rechtlich anzugreifen und Mieterhöhungen durchzudrücken.

So sieht das auch Reiner Wild vom Berliner Mieterverein. Er sagt, dass in rechtlichen Auseinandersetzungen um Mieterhöhungen Rich­te­r*in­nen häufig dem Mietspiegel genau deswegen Gewicht geben, weil er bisher von Mieter- und Vermieterverbänden gleichermaßen per Unterschrift anerkannt worden sei. Zwar brauche der Senat nicht zwingend die Zustimmung der Verbände – „aber in Berlin war es eigentlich Usus, dass der Mietspiegel von allen unterschrieben wird, um gegenüber der Stadtgesellschaft und den Gerichten zu dokumentieren, dass alle Beteiligten dieses Instrument mittragen“, so Wild.

„Es war Usus, dass der Mietspiegel von allen unterschrieben wird“

Rainer Wild, Mieterverein

Nach Auffassung von Wild sei nun das Risiko größer, „dass Richter zur Einschätzung gelangen, dass der Mietspiegel kein Konsens mehr ist und Vermieter mit größeren Erhöhungen durchkommen“. Er rechne mit vielen Mieterhöhungen, welche die Mietspiegelwerte überschreiten und erwarte zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen. Maßgeblich sei letztlich, wie die Kammern des Landgerichts den Mietspiegel in Streitfällen bewerteten, so Wild. Die Nichtunterzeichnung werte er als eine Kampfansage: „Gerade noch haben Vermieterverbände, CDU/CSU und FDP im Streit um den Mietendeckel auf den hinreichenden Mieterschutz verwiesen. Im nächsten Atemzug unterlaufen die Vermieterverbände diesen Schutz durch die Nichtanerkennung des Mietspiegels.“

Die Immobilienwirtschaft versuchte die Kampfansage in ihren Mitteilungen zumindest ein bisschen zu kaschieren. So schrieb der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) recht schmerzfrei, dass er den Mietspiegel zwar begrüße, aber wegen der Art der Erhebung trotzdem nicht unterschreibe. Auch der Bundesverband Freier Wohnungsunternehmer (BFW) verweist darauf, dass die Methode zwar rechtlich zulässig sei, sich aber aus seiner Sicht nicht für den heterogen Wohnungsmarkt von Berlin eigne. Dem BFW fehlten bei der Erstellung des Mietspiegels etwa 45.000 seit 2018 errichtete (und zumeist besonders teure) Neubauwohnungen. Dennoch empfehle man den Mitgliedsunternehmen den Mietspiegel als Arbeitsgrundlage zu nutzen. Man wolle mit der verweigerten Unterschrift lediglich den Senat dazu auffordern, beim nächsten Mietspiegel wieder Daten zu erheben. Auf taz-Rückfrage heißt es immerhin von beiden Verbänden, dass man keine Klagen empfiehlt – wobei das Mitgliedsunternehmen wie die Deutsche Wohnen nicht davon abgehalten hat, trotzdem zu klagen.

Eine andere Strategie, staatliche Mietenregulierungen zu umschiffen, offenbarte am Donnerstag das Branchenportal Immoscout. Aus einer ersten Analyse nach dem Mietendeckelurteil gehe nicht nur hervor, dass die Angebote seither im Schnitt sieben Prozent teurer wurden, sondern auch, dass das Wohnungsangebot um 8,4 Prozent zugenommen hat. Nach dem Urteil sei das Angebote sogar kurzzeitig um über 20 Prozent angestiegen – möglicherweise ein Beleg dafür, dass viele Ver­mie­te­r:in­nen Wohnungen während des Mietenstopps einfach leer stehen ließen.

Berlin