„Klimaschutz hat jetzt Verfassungsrang“

Vier Klagen gegen das Klimaschutzgesetz feierten in der vergangenen Woche einen bahnbrechenden Erfolg. Was daraus folgt, erklärt der beteiligte Anwalt Remo Klinger

Klimaprotest vor dem Bundesverfassungsgericht: Das hat einen aufsehen­erregenden Beschluss gefällt Foto: Fo­to:­ Nicolaj Zownir/imago

Interview Christian Rath

taz: Herr Klinger, Sie haben den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom letzten Donnerstag mit erstritten. Ist das eine spektakuläre und wirkmächtige Entscheidung oder nur billige Symbolik mit geringen praktischen Folgen?

Remo Klinger: Das Gericht hat die deutsche Politik zu einem wirksamen Klimaschutz verpflichtet. Klimaschutz hat jetzt Verfassungsrang und ist justiziabel. Damit müssen nun weitreichende Klimaschutzmaßnahmen durchgesetzt werden. Symbolik ist das keineswegs.

Manche sind aber enttäuscht, weil Karlsruhe keine konkreten Maßnahmen dekretiert hat – anders als das höchste Gericht der Niederlande, das 2019 eine 25-prozentige Senkung der CO2-Emissionen bis Ende 2020 vorschrieb.

Für die Niederlande war dieses Urgenda-Urteil wichtig, weil die dortige Regierung nur eine Reduzierung um 17 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 anstrebte. Auch global war das Urgenda-Urteil bedeutsam, als Beispiel dafür, dass Gerichte Verantwortung für den Klimaschutz übernehmen können. Aber für deutsche Maßstäbe war eine 25-Prozent-Reduzierung kein Vorbild. Da war selbst die Bundesregierung ambitionierter. Das Bundesverfassungsgericht geht jetzt erheblich weiter, indem es die Ziele des Pariser Klima-Abkommens in Verfassungsrang erhoben hat. Die Einhaltung dieser Ziele erfordert deutlich stärkere Reduzierungen als die Urgenda-Entscheidung.

Ist nun die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad ein Staatsziel?

Nicht ganz. Das Pariser Abkommen schreibt eine Begrenzung der Erderwärmung „deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad“ vor. In diesem Sinn ist nun laut Verfassungsgericht das Staatsziel Umweltschutz aus Artikel 20a des Grundgesetzes „konkretisiert“.

Was ist damit gewonnen? Auch die Bundesregierung bekannte sich ja zu den Zielen von Paris?

Der Unterschied ist, dass das Bundesverfassungsgericht konsequente Folgen daraus ableitet. Die Richter rechnen vor, dass es inakzeptable Konsequenzen hätte, wenn die in Deutschland bis 2030 zugelassenen Emissio­nen nicht reduziert werden. Dann wäre das deutsche CO2-Budget nämlich schon 2030 weitgehend aufgebraucht und es müsste zu weitgehenden Beschränkungen von Freiheitsrechten kommen.

Der Umweltrechtler Christian Callies sagt, dann drohe die „Ökodiktatur“ …

Der diktatorische Zungenschlag liegt mir fern. Aber wir müssten uns entscheiden, ob das 2-Grad-Ziel aufgegeben wird oder ob wir als Gesellschaft am Ende der Dekade eine Vollbremsung hinlegen, was zu unglaublichen Verteilungskämpfen führen würde. Ich finde beide Alternativen schrecklich. Das können wir nur vermeiden, wenn wir bereits jetzt, also bis 2030, den Ausstoß von Treibhausgasemissionen viel stärker reduzieren.

Das schreiben die Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen aber nicht ausdrücklich vor …

Doch, aus der Gesamtschau des Urteils ergibt sich das. Es gibt auch keine andere logische Schlussfolgerung aus ihren Feststellungen. Jedenfalls wird die Politik nicht umhinkommen, sofort Rahmenbedingungen für eine viel stärkere Reduzierung der CO2-Emissionen zu setzen.

Und wenn die Politik untätig bleibt, wird es neue Verfassungsbeschwerden geben?

Foto: Helen Nicolai

Remo Klinger (im Interview) hat zwei der vier erfolgreichen Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz geschrieben. Er ist promovierter Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Bekannt wurde er als Anwalt der Deutschen Umwelthilfe bei deren Klagen für saubere Luft in den Städten. Er lehrt außerdem als Honorar­professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.

Sicherlich. Aber nicht alle Wege führen nach Karlsruhe. Für die Deutsche Umwelthilfe klage ich bereits seit September beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg gegen die Bundesregierung, weil die bisher vorgesehenen Maßnahmen nicht einmal ausreichen, um die aktuell geltenden deutschen Klimaziele einzuhalten. An diesem Montag werde ich dem Gericht einen neuen 50-seitigen Schriftsatz schicken. Das OVG will im Herbst verhandeln. Schon da wird sich zeigen, wie wirkungsvoll der Karlsruher Klimabeschluss ist.

Geg­ne­r:in­nen einer strengen Klimapolitik weisen darauf hin, dass es kein deutsches Klima gibt und es dem Weltklima wenig bringt, wenn sich nur Deutschland einschränkt.

Auch darauf hat das Bundesverfassungsgericht eine klare Antwort: „Der Staat kann sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen“, ist einer der Karlsruher Leitsätze. Jeder Staat muss das tun, was in seiner Macht und Verantwortung steht. Der Zeigefinger auf andere darf rechtlich nicht von eigenem Fehlverhalten ablenken.

Früher haben Sie gespottet, das Staatsziel Umweltschutz sei nur „Verfassungslyrik“, anders als die einklagbaren Grundrechte. Müssen Sie nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Abbitte tun?

Ja. Sogar gern. Dass das Gericht diesen verfassungsrechtlichen Weg einschlägt, war für alle Experten überraschend. Aber nun ist die Zeit des Spottens vorbei. Wir müssen jetzt umdenken.

die juristischen köpfe hinter dem klage-erfolg
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Roda Verheyen hat die Verfassungsbeschwerde geschrieben, mit der auch Luisa Neubauer von Fridays for Future klagte. Anwältin Verheyen hatte schon 2018 mit Greenpeace-Unterstützung vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen die deutsche Klimapolitik geklagt. Außerdem gehörte sie zum Anwaltsteam beim kürzlich gescheiterten „People’s Climate Case“ am Europäischen Gerichtshof.

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Felix Ekardt hat schon im Jahr 2018 – gemeinsam mit der Anwältin Franziska Heß – als Erster beim Bundesverfassungsgericht eine Klimaschutzklage eingereicht. Er war also der Pionier in diesem Feld, zwei Jahre vor den anderen Klagen. Unterstützung erhielt die Klage vom BUND und vom Solarenergie-Förderverein. Ekardt ist habilitierter Jurist und leitet die Forschungstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik.

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Gabriele Britz war am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts die federführende Richterin für diesen Fall. Sie hat den Beschluss vorbereitet, der dann einstimmig erging. Britz ist seit 2011 Verfassungsrichterin, zuvor war sie Rechtsprofessorin mit einem Schwerpunkt im Umwelt- und Energierecht. In Karlsruhe war sie erst für den Schutz der Familie zuständig, wechselte dann aber zum Umweltrecht.