Freigesetzte Künste

Ihre besten Zeiten hatte die „Kunst am Bau“ nach dem Zweiten Weltkrieg: In Hamburg hat davon zumal Bildhauer Fritz Fleer profitiert, der vor 100 Jahren geboren wurde

Sitzen als eingefrorene Bewegung: Fritz-Fleer-Plastik in Schloss Gottorf Foto: Carsten Rehder/dpa

Von Bettina Maria Brosowsky

Als Sparte der Kunstproduktion scheint sie etwas in Vergessenheit geraten: die sogenannte Kunst am Bau, oft auch im stadträumlichen Umfeld eines neuen Gebäudes positioniert. Von einem früheren „Automatismus“ spricht mitunter der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD), „sodass jeder Bauherr ein Kunstwerk einplanen musste – von wechselnder Qualität“. Davon zu unterscheiden wäre die „Gestaltung des öffentlichen Raums mit künstlerischen Interventionen“.

Damit hält er der Standard hoch, den Bremen 1973 gesetzt hatte: Als Auslöser ästhetischer, sozialer und kommunikativer Prozesse im Alltag sollte Kunst im öffentlichen Raum dienen. Die entsprechenden Programme haben seither die baugesetzliche Pflicht zur Immobilienverhübschung abgelöst.

Als Bauherr pflegt nur noch der Bund so eine Selbstverpflichtung: Für seine Bauten – Ministerien in Berlin und Bonn, staatliche Forschungsinstitute, Einrichtungen des Militärs oder auch Auslandsrepräsentationen – stellt er einen prozentualen Anteil der Bau-, Umbau- oder Sanierungskosten für künstlerische Interventionen zur Verfügung. Vergangenes Jahr beging er sogar das 70-jährige Jubiläum dieser Aktivitäten, eine Online-Präsentation will in einem „Museum der 1.000 Orte“ all die bekannten und auch unbekannten Schätze an ihren teils nicht öffentlich zugänglichen Stand- und Installationsorten ins Bewusstsein rücken.

Auch im kommunalen Radius gab es eine große Tradition der Kunst am Bau. Sie kann ihre Wurzeln sogar noch viel länger zurückverfolgen, nämlich bis in die Weimarer Republik. In Hamburg etwa zog Oberbaudirektor Fritz Schumacher lokale Künst­le­r:in­nen für die Ausgestaltung öffentlicher Bauten hinzu. In Hannover sind bis heute noch rund fünfzehn nonfigurative Baureliefs von Friedrich Vordemberge-Gildewart an Mietshäusern präsent. Der später bedeutende abstrakte Maler, Grafiker, Typograf und Hochschullehrer verdiente sich ab 1920 damit seine Brötchen sowie erste künstlerische Sporen.

Eine Hochphase erlebte die Kunst im baulichen Kontext in den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Es gab, so scheint es, in jenen Jahrzehnten Künstler:innen, die den größten Teil ihres Schaffens dieser Disziplin zu verdanken haben. In Hamburg wäre es Fritz Fleer (1921–1997), dessen 100. Geburtstag im November anstünde und auf Würdigung wartet. Ihm widmete die Lichtwark-Gesellschaft 1981 Band 20 ihrer Hamburger Künstlermonografien. Die angeführte Arbeitsbiografie strotzt nur so von figuralen Bronzeplastiken und Aufstellungsorten in ganz Hamburg.

Allein von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Saga soll er 16 Aufträge erhalten haben, 14 Arbeiten sind noch heute im Besitz des Unternehmens. Hinzu kommen solche für Kirchen – Bronzetüren, Reliefs, komplette Ausstattungen – und öffentliche Einrichtungen außer in Hamburg auch in Hannover, Braunschweig, auf Helgoland und in Schleswig.

Die Publikation würdigte Fleer damals als „geborenen Bildhauer“. Streng definitorisch und handwerkstechnisch schuf er freilich Plastiken, baute also Volumen für den anschließenden Bronzeguss auf, statt steinernes Material subtraktiv zur Skulptur zu behauen. Der Band stellte Fleers Werk in die Tradition eines Aristide Maillol, also der tektonisch gebauten Form, und nicht eines Gustave Rodin, der malerischen Spielart, deren Linie über Alberto Giacometti bis Eduardo Chillida reicht.

Fleers Ahnen hingegen sind Ernst Barlach, Käthe Kollwitz und sein Lehrer Edwin Scharff, Professor an der Hamburger Landeskunstschule. Sie alle trieb das Bildnis des Menschen um, bei Fleer meist in Gestalt seines nackten Körpers, in einer eingefrorenen Bewegung oder einer verhaltenen, symbolischen Tätigkeitsgeste: archaische Reduktion und das Gegenteil emphatischer Grundstimmung.

Von der städtischen Wohnungs-baugesellschaft erhielt Fritz Fleer

16 Aufträge

Sei es der „Jüngling mit Möwe“ auf einer Grünfläche zwischen Lombards- und Kennedybrücke, sein „Großer ­Speerträger“ bei den Grindelhochhäusern, „Schreitender“ in einem Park in Langenhorn oder „Großer Lautenspieler“ im Innenhof des Hauses der Jugend in Wilhelmsburg: Eine asketische Simplizität machte die Plastiken Fleers zu stummen Zeugen einer Zeit, die ihren geistigen Kompass suchte und ihn künstlerisch in einer etwas moralinsauren Komplexitätsverweigerung zu finden hoffte.

Seit Kurzem steht nun am Archäologischen Museum in Hamburg-Harburg eine lebensgroße Bronzeskulptur von Fritz Fleer. Die Knabenfigur aus dem Jahr 1958 blickt vom Thörl-Brunnen über den Museumsplatz, sie stand zuvor auf einem Schulgelände in Wandsbek, musste wegen eines Umbaus weichen.

Man sollte diesen Umzug nicht gleich als Wiederbelebung der Kunst am Bau und der Plastik im öffentlichen Raum überbewerten. Aber in Pandemie­zeiten mit ihren unberechenbaren Lockdowns hätte es Charme, die Künste aus ihren Gefängnissen zu befreien. Vielleicht finden sie im Außenraum zu neuartiger Blüte.

Das erkannte man auch in der Hamburger Kunsthalle: Bis voraussichtlich in den Mai strahlt derzeit täglich ab der Dämmerung vom Dach der Galerie der Gegenwart – vulgo: dem Ungers-Bau – ein Lichtkunstwerk des Berliners Moritz Frei. Die Leuchtschrift „I don’t believe in dinosaurs“ soll vom persönlichen Zweifel selbst an der wissenschaftlichen Erkenntnis erzählen. In ihrer Bildtechnik greift auch diese Arbeit in die Nachkriegsjahre zurück: Die amerikanische Konzeptkunst erkor einst die sterile Neonröhre zum künstlerischen Ausdrucksträger. Es fehlt also nur noch der Spirit unserer Zeit.