: 1.400 Jahre Reinheitsgebot
In Deutschland wird vermehrt halal produziert. Neben Nischenherstellern sind es die großen Industriebetriebe, die auf korankonforme Viktualien setzen: Die Zertifizierung ist der Schlüssel für den Export in die islamische Welt
Von Joachim Göres
Auch wer es sonst nicht so streng sieht – beim Fastenbrechen während des Ramadan, der dieses Jahr am 12. Mai endet, wird noch strenger als sonst darauf geachtet, dass die Lebensmittel halal sind. Mehr und mehr werden in der Lebensmittelindustrie auch in Deutschland einzelne Produktlinien oder die gesamte Herstellung an die Vorschriften des Koran angepasst. Die sind auch mit anderen Vorgaben wie der Bio-Zertifizierung kompatibel.
Halal – dieses Siegel gibt es für Lebensmittel, Kleidung, Medikamente oder Kosmetika. Für den Käufer zeigt es an: Das Produkt wurde nach islamischen Regeln hergestellt und ist somit für Muslime „halal“ – das arabische Wort für „erlaubt, zulässig“. Halal-Lebensmittel müssen etwa frei von Schweinefleisch und Alkohol sein, zudem müssen sie getrennt von Nicht-Halal-Produkten hergestellt und transportiert werden.
Angesichts von weltweit rund 1,6 Milliarden muslimischen Verbrauchern – zu den größten Halal-Märkten zählen Indonesien, Bangladesch, Ägypten, Nigeria und Pakistan – ist das Halal-Siegel ein Muss für Unternehmen, die in diese Regionen exportieren. Europa ist dagegen für den Absatz weniger wichtig, hier ernähren sich nach Schätzungen vier Prozent der Verbraucher halal.
„Im Moment sehen wir uns mit einer außergewöhnlichen Anzahl von Anfragen konfrontiert, was darauf schließen lässt, dass der Halal-Markt 2021 weiter stark steigen wird“, sagt Günther Ahmed Rusznak, Präsident der Islamic Information, Documentation und Certification GmbH. Halal-Zertifizierer wie sie überprüfen, ob bei der Produktion alle Regeln eingehalten werden. Wenn ja, gibt’s ein Siegel.
Auch die Wiesenhof-Geflügelschlachtereien in Lohne (Oldenburger Geflügelspezialitäten), Wildeshausen (Geestland Putenspezialitäten) und Dannenberg (Allfein Feinkost) sind halal-zertifiziert. Nach den Halal-Vorgaben muss ein Tier noch leben, wenn es geschlachtet wird. „Dabei wird akzeptiert, dass die Tiere vor dem Entbluten entsprechend den deutschen Tierschutzvorgaben betäubt werden“, sagt Ingo Stryck, Marketingleiter der PHW-Gruppe.
Das unbetäubte Schächten von Tieren ist in Deutschland verboten. Stryck beschreibt die Arbeitsweise der Halal-Zertifizierer so: „Bei jeder Prüfung werden Produktproben entnommen und zur Tierartbestimmung und zur Untersuchung auf Alkohol in ein Labor überstellt. Das erste Audit findet stets in Begleitung von Vertretern anerkannter islamischer Institute statt. Des Weiteren erfolgt mehrfach im Jahr eine unangekündigte Kontrolle durch muslimische Auditoren des Zertifizierungsinstituts.“ 25 Prozent ihres Umsatzes erzielt die deutsche Fleischindustrie im Export.
Der Aromahersteller Symrise aus Holzminden bietet mehr als 200 Inhaltsstoffe für Kosmetika, die den Regeln des Islam entsprechen. Zudem liefert Symrise, mit 3,5 Milliarden Euro Umsatz einer der Branchengrößen, auch Aromen für die Lebensmittelindustrie. Sie werden in den halal-zertifizierten Produktionsstätten in Holzminden und Singapur hergestellt.
Günther Ahmed Rusznak, IIDC GmbH
Halal-Experte Norbert Kahmann betont, dass bei der Zulassung auch die Umstände eine Rolle spielen: „Bei Medikamenten ist Schweinegelatine grundsätzlich zugelassen, wegen der guten Wirkung.“ Symrise lässt seine Produkte auch als koscher zertifizieren. Dabei ergeben sich nicht selten ähnliche Anforderungen – im Islam und im Judentum ist Schweinefleisch verboten.
Der Lebensmittelkonzern Dr. Oetker stellt seit 2008 halal-zertifizierte Pizzen her, unter anderem im westmecklenburgischen Werk Wittenburg. Diese Pizzen sind in Europa nicht erhältlich. „Eine hohe Relevanz hat die Halal-Zertifizierung unserer Pizzen in Ländern der Golf-Region, Malaysia und Singapur. Dort stellen wir eine positive Entwicklung fest, die auch durch erhöhte Nachfrage nach Tiefkühlprodukten bedingt durch die Covid-19-Situation getrieben ist“, sagt Oetker-Sprecher Matthias Hanigk.
Die Kriterien der Zertifizierer unterscheiden sich teilweise. Zu den strittigen Fragen gehört etwa, ob maschinell geschlachtet werden darf oder nur per Hand. Umstritten ist auch, ob Fleisch aus Massentierhaltung halal sein kann. Die Siegel stoßen bei Muslimen je nach Glaubensrichtung und Region auf unterschiedliche Wertschätzung. Der Wurstproduzent Eggelbusch, der rund ein Drittel seines Umsatzes mit Halal-Produkten macht, lässt sich sowohl vom Halal Professional Institut aus Quakenbrück als auch von der Zertifizierungsgesellschaft SGS Germany aus Emstek überprüfen – mit mehr Zertifikaten will man mehr muslimische Verbraucher erreichen.
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