: Berlin kriegt eins auf den Deckel
Das Gesetz zur Mietenbegrenzung hat gewirkt und astronomische Preisentwicklungen gestoppt. Trotz vorheriger Warnungen sind so viele Wohnungen wie lange nicht gebaut worden. Doch nun sind die alten Probleme wieder da
Von Erik Peter
Berlins Mieter*innen waren 667 Tage vor Mietsteigerungen geschützt. So lange ist es her, dass sich der Senat aus SPD, Linken und Grünen auf Eckpunkte für ein Mietendeckelgesetz mit dem Stichtag 18. Juni 2019 einigte. In den Tagen zuvor hatte der Immobilieneigentümerverband Haus & Grund Vermieter*innen noch mit Countdown aufgefordert, die Mieten zu erhöhen. Dies sei die letzte Chance „für lange Zeit“.
Die anvisierten fünf Jahre, die der Deckel gelten sollte, wurden jedoch am Donnerstag vom Bundesverfassungsgericht beendet. Die Karlsruher Richter*innen des Zweiten Senats gaben einer Normenkontrollklage von 284 Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU und FDP statt. Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen sei verfassungswidrig und nichtig, so das Urteil. Berlin habe aufgrund abschließender Bundesregelungen nicht die Kompetenz gehabt, die Mietpreise zu regulieren. Indem das Gericht das Gesetz auch rückwirkend für unwirksam erklärte, ignoriert es zudem die Folge sozialer Härten für viele betroffene Mieter*innen.
Der Urteilsspruch ist ein schwerer Schlag für die rot-rot-grüne Koalition, deren wichtigstes Gesetz der vergangenen viereinhalb Jahre damit vom Tisch ist, und noch viel mehr für die Mieter*innen der Stadt. 1,5 Millionen Mietparteien waren geschützt vor dem, was in der Stadt von vielen nur noch „Mietenwahnsinn“ genannt wurde – galoppierende Preise, die sich immer weniger Normalverdienende leisten konnten. Auch bei Wiedervermietungen – Neubau ausgenommen – sollten Obergrenzen für Entspannung sorgen, auch wenn dies die meisten Vermieter*innen durch Schattenmieten zu umgehen versuchten, die nun nach dem Scheitern des Gesetzes fällig werden dürften – für viele sicherlich auch rückwirkend.
Das Gesetz hatte im ersten Jahr seines Bestehens seine Wirkung dennoch nicht verfehlt. Laut dem im März vorgestellten Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin waren 2020 die Angebotsmieten in der Stadt erstmals seit Aufzeichnungsbeginn vor 16 Jahren gesunken: Der mittlere Mietpreis lag mit 10,14 Euro pro Quadratmeter 31 Cent niedriger als im Jahr zuvor. In allen anderen deutschen Großstädten waren die Mieten im vergangenen Jahr weiter gestiegen.
Mit Inkrafttreten der zweiten Stufe des Deckels im vergangenen November mussten gar als überhöht definierte Mieten in 340.000 Wohnungen abgesenkt werden. Dafür hatte sich insbesondere die ehemalige Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher der Linken eingesetzt, und damit die ursprüngliche Idee eines reinen Mietenstopps, die zuerst von der SPD aufgegriffen wurde, verschärft. Viele Mieter*innen konnten ihr Glück kaum fassen, monatlich um durchschnittlich rund 40 Euro entlastet zu werden, manche auch um einen dreistelligen Eurobetrag.
Nun lautet das Schreckenswort: Nachzahlung. All das gesparte Geld können Vermieter*Innen nun auf einen Schlag nachfordern. Mit Vonovia präsentierte sich unmittelbar nach der Entscheidung ein erster privater Vermieter als Gönner. Obwohl es ihnen rechtlich zustehe, habe man sich „entschieden, keine Mieten nachzufordern“, hieß es.
Entgegen den Schreckensszenarien der Immobilienlobby wurden 2020 in Berlin fast 20.000 Wohnungen neu gebaut, so viele wie seit dem Bauboom Mitte der 1990er Jahre nicht mehr. Übrig blieb den Gegner*innen des Gesetzes zuletzt nur noch das Lamento über die gesunkene Zahl von Wohnungsangeboten. Tatsächlich hatten viele Vermieter*innen frei werdende Wohnungen lieber leerstehen lassen, statt zu regulierten Preisen zu vermieten.
Nun heißt es also: Zurück zu den bekannten Problemen – oder wie es der Stadtsoziologe Andrej Holm, einst verhinderter Staatssekretär von Lompscher, ausdrückte: „Eine rechtliche Klärung in Karlsruhe ist leider keine Problemlösung. Wohnungsfrage bleibt weiter dringlich und auch die Politik ist weiter gefordert.“ Er verlangt: „1. Mieter*innen vor Nachzahlungen schützen, 2. Mietenstopp im Bund durchsetzen und 3. öffentliche Bestände ausbauen.“
Sebastian Scheel (Linke), der Lompscher Mitte 2020 im Amt als Senator folgte, kündigte im Gespräch mit der taz Hilfen für Betroffene an: „Wir lassen die Mieter*innen mit den Auswirkungen, die das haben wird, nicht im Stich.“ Mit einem Notfallfonds könnte bedürftigen Mieter*innen bei den Nachzahlungsforderungen ihrer Vermieter*innen unter die Arme gegriffen werden. Auch Berlins CDU-Vorsitzender Kai Wegener forderte ironischerweise, dass kein*e Mieter*in seine Wohnung verlieren dürfe.
Mit dem Urteil sind dem Land Berlin weitergehende Regelungen zur Mietbegrenzung versperrt. Scheel appellierte deshalb an den Bund, „uns eine Öffnungsklausel zu geben oder ein wirksames soziales Mietrecht zu schaffen“. Aus Berlins organisierter Mieterschaft ertönten ähnliche Stimmen: „Für einen wohnungspolitischen Paradigmenwechsel werden wir künftig noch lauter und kämpferischer eintreten. Dafür werden wir uns verstärkt auf die bundesweite Vernetzung und den Kampf für einen bundesweiten Mietenstopp konzentrieren“, hieß es vom Mietenwahnsinn-Bündnis, das noch für den Donnerstagabend zu einer ersten Demonstration aufrief.
Noch mehr Energie wird nun wohl in das Volksbegehren zur Vergesellschaftung der Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen fließen. Kommen bis Ende Juni etwa 170.000 gültige Unterschriften zusammen, können die Berliner*innen parallel zu den Bundestagswahlen im Herbst über die Enteignung abstimmen. Vom Bündnis Deutsche Wohnen & Co enteignen hieß es am Donnerstag: „Nur die Enteignung und Vergesellschaftung von Wohnraum bieten die Perspektive für ein Berlin mit bezahlbaren Mieten – jetzt erst recht.“
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